Here & There

Im alten Hafen von Zierikzee – das Meer lockt. Bilder: SC/Romantik

Kaum Schweizer in dieser Ecke der Niederlande

Silvia Schaub

Dabei gibt es viele Gründe, nach Zeeland in die südlichste Provinz der Niederlande zu reisen. Die vielen Sonnenstunden, das Meer und die Weite sind nur einige davon.

Die beiden Teenager Lukas und Thomas ziehen voller Energie an den Seilen der YE 36 «Andries Jacob» und hieven die Segel unter der Anleitung von Kapitän Krijn fast im Alleingang hoch. Und schon krängt das einstige Zeeland-Muschelhoogaars harmonisch im Wind vor dem Städtchen Veere.

«Wind hat es hier zum Glück immer genug», meint Krijn, der frühere Feuerwehrsmann, lachend und rückt seine Schiebermütze zurecht. Fast täglich ist der Pensionierte auf dem historischen, 15 Meter langen Segelschiff auf dem Veerse Meer unterwegs. Meist sind Gäste dabei, denen er Geschichten über das 123 Jahre alte Schiff erzählt – und gleich auch noch einen Crashkurs im Segeln gibt.

So kann jeder, der will, am Steuer stehen und das Schiff durchs Veerse Meer manövrieren. Das ist gar nicht so einfach, weil oft sehr viel los ist auf dem Wasser – Segel- und Motorboote und auch Wasserskifahrer, die sich an eine Art Wasserskilift hängen. «Lee vor Luv», erklärt Krijn, wer wann Vortritt hat. Also geht’s los Richtung Damm.

Der Kapitän der «Andries Jacob» hat die Segel gehievt.

Das Veerse Meer wird durch einen Damm von der Nordsee abgetrennt. Das war nicht immer so. Erst seit 1961 besteht der Veerse Gatdam. Der dahinter liegende Nordseestrand bei Vrouwenpolder ist sehr beliebt bei Kitern und Surfern.

Damalige Katastrophe noch präsent

Der Grund für die 2,8 Kilometer lange Verbindung zwischen der Halbinsel Walcheren und der Insel Noord-Beveland geht auf die verheerende Sturmflut in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 zurück. Damals wurden weite Teile von Zeeland und anderen Regionen überflutet, 1835 Menschen verloren ihr Leben.

Die Katastrophe ist bei den Zeeländern immer noch sehr präsent. Fast jede und jeder hat eine Geschichte dazu zu erzählen. Stadtführerin Ulrike Feller zeigt an der Quaimauer von Veere, wie hoch damals das Wasser stand. «Es stieg um fünfeinhalb Meter.»

Blick auf das Städtchen Veere.

Gleich dahinter liegt das Romantik-Hotel Auberge De Campveerse Toren, wo Hendrina Van Cranenburgh das Zepter schwingt. Die kecke Köchin führt das Hotel in 2. Generation. «Auch meine Eltern haben das Hochwasser hautnah miterlebt», erzählt sie. Aber das über 500 Jahre alte Gebäude, das als die älteste Herberge der Niederlande gilt, hatte zum Glück keinen Schaden genommen.

Und so kann man noch heute in einem der 17 Zimmer im Haupthaus oder in den Nebenhäusern nächtigen. Man fühlt sich dabei fast etwas königlich. Denn auch das heutige Königspaar Máxima und Willem-Alexander stieg hier schon ab, wie Hendrina stolz berichtet.

Auch das Königspaar war schon im Romantik-Hotel Auberge De Campveerse Toren.

Das Städtchen mit seinen schmalen Gassen und den historischen Häusern mit den typischen farbigen Backsteinen, den Misbaksels, wirkt geradezu beschaulich. Dabei war es einst eine wichtige Handelsstadt mit über 6000 Einwohnern; der Wohlstand beruhte auf dem Tuch- und Wollhandel, den man mit Schottland führte.

Monumental wirkt die Kirche aus dem Jahr 1348. Ab 1811 wurde sie unter Napoleon als Militärspital genutzt, heute ist es eine Kulturstätte. Vor allem Touristen aus Deutschland und Belgien finden den Weg in diese Gegend und geniessen die Bilderbuchlandschaft mit dem Meer, den hübschen Häusern und den Blick über den weiten Horizont.

Von Kanälen und Wasserläufen durchzogen

Mit knapp 400'000 Einwohnern ist das an Belgien grenzende Zeeland eine der dünn besiedelten Provinzen der Niederlande. Schweizerinnen und Schweizer fanden bisher nur selten den Weg hierhin. Dabei hat Zeeland viel zu bieten. Überall ist die Gegend von Kanälen und Wasserläufen durchzogen, und weil die Niederlande einst eine Seemacht war, trifft man noch heute auf jahrhundertealte Häfen, die die weltoffene Region mit der restlichen Welt verbanden.

Stopp auf der Fietsen-Tour bei Oma's Snoepwinkel.

Am besten lassen sich diese beim «Fietsen» entdecken, dem Radfahren. In fast allen Teilen von Zeeland ist ein gut ausgebautes Radwegnetz vorhanden. Nur muss man stets mit einem Kontrahenten rechnen: dem Wind. Egal, woher man kommt, gefühlt hat man immer Gegenwind. Besonders hartnäckig bläst er der Nordseeküste entlang, auch wenn man etwas geschützt wird durch die Deichverbauungen. Auf sie trifft man hier überall. Wie Tausendfüssler stehen sie in der Landschaft.

Sie sind so etwas wie die Lebensversicherung der Niederländer. Ohne die Deiche würden heute zwei Drittel des Landes von der Nordsee verschlungen. Diverse Dämme riegeln nun die hochwassergefährdeten Arme des Mündungsdeltas von Rhein, Maas und Schelde ab. Der imposanteste ist das 1961 erbaute Oosterschelde-Sturmflutwehr, eines der grössten und ehrgeizigsten Bauprojekte der Welt. Manche nennen es auch das achte Weltwunder.

Ohne das Oosterschelde-Sturmflutwehr und die weiteren Deiche lägen die Niederlande zu zwei Drittel unter Wasser.

Um die Gezeiten zu erhalten, wurden auf einer Länge von neun Kilometern 62 Öffnungen von jeweils 40 Metern Breite in das Wehr eingebaut, so dass Ebbe und Flut erhalten bleiben. Bei Bedarf – sprich Hochwasser – kann es per Knopfdruck vollständig geschlossen werden, was seit seiner Errichtung erst einmal, im Jahr 1983, vorgekommen ist.

Grösstes Naturschutzgebiet

Mitten in diesem Bauwerk-Komplex liegt die künstliche Insel Neeltje Jans, die heute einen Freizeitpark beherbergt. Trotz der Verbauungen der Deltawerke befindet sich hier auch eines der grössten Naturschutzgebiete der Niederlande, das seit 2002 ein Nationalpark ist: die Oosterschelde. Überall sieht man Salzwiesen und Schlickflächen, die von Wasservögeln aufgesucht werden. Wer Glück hat, kann bei Niedrigwasser auch Seehunde und Schweinswale beobachten.

Der Nationalpark zieht sich bis hinüber auf die Insel Schouwen-Duiveland, die über den Deich erreichbar ist. Und hier erwartet einem neben lauschigen, versteckten Stränden noch eine weitere Überraschung.

Fährt man bei Zierikzee Richtung Norden, entdeckt man bei Dreischor Weinreben am Strassenrand. Die Niederlande eine Weinregion? Gar nicht so ungewöhnlich, wie Jip van Kralingen berichtet. Sie arbeitet im Weingut De Kleine Schorre. Erst 2001 gegründet, verfügt das Weingut bereits über 14 Hektaren Weingärten und gehört zu den Grossen im Lande.

Besuch im Weingut «De Kleine Schorre».

Weinbauer Johan van der Velde hat sich auf weisse Rebsorten spezialisiert: Weiss- und Grauburgunder, Müller-Thurgau (Rivaner) und Auxerrois. Er ist ein typischer Umsteiger, sein Vater hatte auf den Feldern einst Kartoffeln, Zwiebeln und Karotten angebaut.

«Aber der Betrieb war zu klein», erklärt Mitarbeiterin Jip. Ein Nachbar riet, auf Wein zu setzen. «Das Klima ist hier perfekt, wir haben viele Sonnenstunden, und der Boden ist durch die Muschelschalen kalkhaltig.» Jedenfalls kommen die Weine der Jung-Winzer gut an. Sie werden mittlerweile sogar hoch über den Wolken in den Jets von KLM in der Businessklasse serviert.

Sie passen übrigens perfekt zu den kulinarischen Spezialitäten Zeelands: Muscheln, Austern, Krebse oder Meeresspargeln. Gondelt man durch die Landschaft, trifft man immer wieder auf Farmen und Restaurants entlang des Wassers, die ihre Spezialitäten fangfrisch anbieten.

Aber auch in Zierikzee wird man damit verwöhnt, etwa im Bistro des Hotels Mondragon. Das Romantik Hotel direkt am alten Hafen mit den historischen Booten wurde erst 2020 eröffnet, gilt aber bereits als die beste Adresse im Ort. Insbesondere das Gourmet-Lokal Cristó lockt Feinschmecker aus allen Himmelsrichtungen an, denn hier kocht Jeffrey Buijl, Bocuse d’Or-Teilnehmer 2021.

Zur Verdauung flaniert man gemütlich durch die Altstadt, die mit ihren historischen Häusern ein wahres Gesamtkunstwerk ist, setzt sich für einen Absacker in eines der Hafen-Cafés und geniesst die heitere Stimmung mit den geselligen Niederländern.