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Die traumhafte Insel Hiddensee ist 16 Kilometer lang und liegt vor Stralsund in der Ostsee. Bild: TMV Gänsicke

Eine der schönsten deutschen Inseln

Cornelia Höhling

Unabhängig von den vielen Gästen, die in der eindrucksvollen Natur Bade-, Wander- oder Segelvergnügen suchen, ist die Ostsee-Insel Hiddensee ein Ort der Ruhe geblieben.

Für ihn war sie «die schönste deutsche Insel» und zudem das «geistigste aller deutschen Seebäder». Sechs Jahrzehnte lang hielt der in Schlesien (heute Polen) geborene bedeutende Dramatiker und Schriftsteller Gerhart Hauptmann (1862-1946) Hiddensee die Treue. Auch «Perle der Ostsee» oder «Capri des Nordens» genannt, zieht das der grösseren Insel Rügen vorgelagerte Eiland in Mecklenburg-Vorpommern mit Sandstränden, Hügeln und sehenswerten kulturgeschichtlichen Highlights seit langem Naturliebhaber und Feriengäste an.

Bis heute gelangt man auf die autofrei gebliebene Insel mit ihren vier Ortschaften Neuendorf, Vitte, Kloster und Grieben nur mit der Fähre oder einem Wassertaxi. Trotzdem kann sie bei knapp 17 Kilometern Nord-Süd-Ausdehnung in einem Tagesmarsch bewältigt werden. Unabhängig von den vielen Gästen, die in der eindrucksvollen Natur Bade-, Wander- oder Segelvergnügen suchen, ist sie ein Ort der Ruhe geblieben.

Kein Motorengeheul. Nur das Rauschen der Ostsee mischt sich mit dem Gekreisch der Möwen und dem Hufgetrappel von Pferden. Neben Pferdekutschen ist das Velo das übliche Fortbewegungsmittel durch Wälder, wildromantische Küstenabschnitte, das reizvolle naturgeschützte Gebiet mit Sanddornhecken, verträumten reetgedeckten Häusern und Vogelbeobachtungsstellen. Seit 1990 ist Hiddensee Bestandteil des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft. Insgesamt gibt es knapp 1000 Insulaner und genauso viele Velos im Verleih, sagt man. Dabei liegen E-Bikes längst im Trend. Ladestationen sind gebührenfrei.

Hafen Vitte auf der Insel Hiddensee. Bild: TMV Petermann.

Manche wollen den 1887/88 erbauten und für Touristen zugänglichen 28 Meter hohen Leuchtturm Dornbusch im Norden besteigen. Vom Hafen Kloster lässt sich Hiddensees Wahrzeichen in 25 Minuten zu Fuss erreichen. Aber in Kloster selbst gibt es mit Heimatmuseum, Inselkirche und Friedhof, Zeltkino, Galerien, Ausstellungen viel zu entdecken. In malerisch gelegenen Restaurants lässt sich fangfrischer Ostseefisch geniessen.

Wenngleich der Dichterkönig und spätere Literaturnobelpreisträger Hauptmann keineswegs wollte, dass die langgestreckte Insel «etwa ein Weltbad werde», konnte er sein 1885 für sich entdecktes Sommerrefugium nicht geheim halten. In den 1920er Jahren galt Hiddensee mit Gästen wie Käthe Kollwitz, Joachim Ringelnatz, Hans Fallada, Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann oder Asta Nielsen als Künstlerinsel. Auch die Familie der bekannten Puppenmacherin Käthe Kruse (1883-1968) besass seit 1904 in Kloster die «Lietzenburg», in der man heute Ferienwohnungen mieten kann. Nach zahlreichen Übernachtungen unter anderem bei einem befreundeten Pfarrer kaufte sich Hauptmann 1929 hier in der Kirchstrasse das «Haus Seedorn».

Weitgehend im Originalzustand

Hauptmanns Haus, das er um eine grosse Bibliothek erweitern liess, die über einen nachempfundenen Kreuzgang mit der ursprünglichen Villa verbunden ist, blieb weitgehend im Originalzustand erhalten und ist seit 1956 als Museum zugänglich. Jahr für Jahr genoss er dort in den Sommermonaten den weiten Blick über Bodden und Meer, lud Freunde ein und notierte nächtliche Einfälle mit Bleistift an der Wand seines Schlafzimmers im Obergeschoss, erzählt die Führerin Jana Kallius beim Rundgang. Für seine oft mit Gästen veranstalteten Abendessen habe er im Weinkeller alljährlich rund 450 Flaschen gelagert. «Auf Hiddensee beginnt der Sommer, wenn die Weinlieferung für Hauptmann kommt, und er ist zu Ende, wenn sein Weinkeller leer ist», hiess es bald schon bei den Einheimischen, sagt sie.

Die heutigen Besucher dürfen mit Kinderwagen und Hunden an der Führung teilnehmen. Plötzlich bellt ein Hund, weil zwei Katzen umherlaufen und es sich auf alten Stühlen bequem machen. Die Direktorin des Hauptmann-Hauses, Franziska Ploetz, die seit gut 18 Jahren gewissermassen unter seinem Dach lebt, hat damit kein Problem. Gehörten zu seinem Haushalt stets zwei Hunde, so sei diese Tradition im jetzigen Hauptmann-Haus mit zwei Katzen fortgesetzt worden, erläutert sie.

Der Leuchtturm am Dornbusch auf der Insel Hiddensee. Bild: TMV Petermann.

Manche jugendliche Besucher lassen sich leicht ablenken. Die neue Generation habe ohnehin Erklärungsbedarf, weiss die Direktorin. Wer war dieser Hauptmann überhaupt? Warum soll man ihn noch lesen? Deshalb sei anlässlich seines 150. Geburtstages ein Literaturpavillon mit aktueller elektronischer Technik eingeweiht worden, was den Sprung von der Gedächtnisstätte, zu deren Exponaten auch seine Nobelpreismedaille gehört, zum Literaturmuseum ermögliche. In der Buchhandlung gibt es auch Hauptmanns Lieblingsweine zu kaufen, deren einstige Lieferfirma ausfindig gemacht werden konnte.

Für 2024 werde allerdings die Generalsanierung des historischen Sommerhauses vorbereitet, um das Baudenkmal als authentischen Gedächtnisort auch für Lesungen und Konzerte zu erhalten, sagt Franziska Ploetz, die gleichzeitig Geschäftsführerin der Gerhart-Hauptmann-Stiftung ist. So müsse unter anderem das Fundament instandgesetzt werden. Durch neue Anspülungen ändere sich die Form der Insel ständig. So sammele sich Sand, der an der Nord- und Westküste abgetragen wird, hier im flachen Boddenwasser. Habe Hiddensee früher in der Draufsicht wie eine Glühbirne ausgesehen, glich sie auch schon einem Seepferdchen, erzählt sie.

Reges Interesse der Besucher findet auch die in der Nähe des Hauptmann-Hauses gelegene, auf den Grundmauern des ehemaligen Zisterzienserklosters errichtete Inselkirche. Daneben auf dem Inselfriedhof fand der 1946 in seiner Heimat Verstorbene seinem Wunsch entsprechend wie zahlreiche andere Berühmtheiten seine letzte Ruhestätte.

Ruhe? Hauptsache für die meisten Feriengäste ist heute Ortswechsel und für diesen sorgte Hauptmann häufig. Es scheint, als habe er Aurelius Augustinus beim Wort genommen: «Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.»