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Die Mutter aller Wasserschlachten: Songkran, Thailands Neujahrsfest vom 13. bis 15. April. Bild: Zixww2020

Songkran auf Thailands Strassen, ein gefährliches Vergnügen

Bernd Linnhoff

«Natürlich gibt es in Thailand  Verkehrsregeln, die aber von den meisten Verkehrsteilnehmern nicht beachtet werden und die auch ein Farang gar nicht versteht», heisst es in der Broschüre: Tipps und Verhaltensweisen im thailändischen Strassenverkehr. Zu Recht. 

Wild, feucht und wunderbar: Songkran, Thailands Neujahrsfest vom 13. bis 15. April, wurde diesmal besonders exzessiv gefeiert. Drei Jahre lang hatte die Pandemie das Ereignis auf nahe Null heruntergedimmt. Aus dem traditionellen Reinigungsritual zum Jahreswechsel ist längst die Mutter aller Wasserschlachten geworden. Ein exzessives Spektakel für die Einheimischen und die Gäste aus aller Welt, die sich mit Pumpguns klatschnass schiessen und so ausgelassen zurückreisen in eine unbeschwerte Kindheit.

Doch die Woche rund um Songkran hat auch eine andere Seite: die sieben tödlichen Tage, wie sie umgangssprachlich genannt werden. In dieser Woche fahren die Menschen von ihren Arbeitsplätzen in den Städten heim in ihre Provinzen, um im Kreis der Familie zu feiern. Und zu trinken. Vor dem Fest forderte die Regierung Thailands Bevölkerung auf, den Alkoholkonsum einzuschränken, da dieser die Gehirnzellen zerstören und zu gewalttätigem Verhalten, Unfällen, langfristigem Gedächtnisverlust, Geschwüren, Leberverhärtung, hohem Blutdruck und chronischen Alkoholkrankheiten führen kann.

Mehr Unfälle, mehr Verletzte

Erzählt mir etwas Neues, sagen die Thais dann. Eine zeitgleich durchgeführte Umfrage ergab, dass 71,6 Prozent während Songkran mit Freunden und Familienmitgliedern Alkohol konsumieren würden. Das dürfte in Mitteleuropa nicht anders aussehen. Mittlerweile die Statistiken der sieben tödlichen Tage vor. Im letzten Jahr verzeichneten die polizeilichen Kontrollen 7141 Fälle von Trunkenheit am Steuer, verglichen mit 8575 in diesem Jahr, was einem Anstieg von 20 Prozent entspricht. Die meisten Sünder kamen mit einer Verwarnung oder einer Bewährungsstrafe davon, womit eine eventuelle Abschreckung entfiel.  

Es gab mehr Unfälle (2191) als im Vorjahr (1917), mehr Verletzte (2207/1869), aber weniger Todesopfer (252/278). Das bleibt zwar immer noch eine Schreckenbilanz, die Zahlen relativieren sich, weil es vor einem Jahr in der Nach-Covid-Zeit nur wenig Tourismus und insgesamt weniger Verkehr gab. Zu knapp 80 Prozent waren Motorräder an den Unfällen beteiligt; als häufigste Unfallursache wurden überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol am Steuer angegeben.

Eher nebenbei erfuhren wir, dass Bangkoks Polizei zwischen dem 15. und 17. April 30 ​Fahrer einer Motorradtaxi-Organisation wegen überhöhter Fahrpreise, aber auch wegen des Mitführens von Waffen und Drogen festnahm. Einige Fahrer wurden verhaftet, weil sie nicht nur «brutale» Preise forderten, sondern keinen Führerschein besassen oder illegale Fahrzeuge fuhren.

Thailands Asphalt-Rodeo

Statistiken und Meldungen wie diese fördern das Verständnis dafür, dass Thailand in der Unfallstatistik weltweit oft unter den ersten Drei zu finden ist. Thailands Strassen, sagen die einheimischen Medien, sind Todesfallen. Ausländer und Weicheier erkennt der Fachmann daran, dass sie Regeln einhalten oder auf die aktuelle Farbe der Ampel achten. Aber das gibt sich mit der Zeit, Thailands Asphalt-Rodeo erfordert modifizierte Verhaltensweisen. Das gilt auch für Zebrastreifen in den größeren Städten. Ausländer und auch Einheimische wiegen sich dort in einer trügerischen Sicherheit; in der mobilen Hierarchie rangieren die Fussgänger ganz unten. Dort, wo die Opfer wohnen.

In Thailand sind 22 Millionen Motorräder registriert und daher an den meisten Unfällen beteiligt. Dennoch habe ich mit 65 Jahren einen Motorradführerschein, was meinem Leben in Chiang Mai einen ganz neuen Drive verliehen hat. Ich brauchte einen fahrbaren Untersatz, da es in der Stadt kaum Motorradtaxis gibt, weil fast jeder Einwohner ein Motorrad hat. Ein Motobike ist billiger und man kommt in den Staus der Innenstadt schneller voran. Freunde aus Bangkok behaupten, Chiang Mais Verkehr sei gefährlicher als der in der Hauptstadt.

Für meine empfindliche Seele ist er jedenfalls aufregend genug. Vor allem nach Anbruch der Dunkelheit, wenn die 17- bis 20-jährigen unter ihren Helmen nicht mehr zu identifzieren sind und umgehend zwei bis vier Testosteron-Gänge zulegen. Im engagierten Duell mit den Lieferfahrern von Shopee, Linemen, Foodpanda und Grab, die alle Angst haben, dass das Essen vor der Auslieferung kalt werden könnte.

Frage nach Führerschein bleibt aus

Motorradverleiher in vielen Touristenorten fragen ihre Kunden oft nicht nach einem Führerschein. So taumeln viele Anfänger ohne jede Erfahrung auf den Strassen herum (Linksverkehr!), viele gehen nach wenigen Tagen zu Fuss und sehen aus wie Ehrenmitglieder eines Versehrtensportvereins. In Chiang Mai versuchen junge Chinesinnen, den aus der Heimat gewohnten Rechtsverkehr einzuführen. Sie sind überrascht über die vielen Geisterfahrer, die ihnen auf ihrer Spur entgegenkommen.

In Thailand sind 22 Millionen Motorräder registriert und daher an den meisten Unfällen beteiligt. Bild: Vitalijs Barilo

Die Schreckenszahlen auf den Strassen meiner Wahlheimat kann ich mir nur damit erklären, dass die Thais als Buddhisten an Wiedergeburt glauben. Sonst würden sie anders fahren. Dass ich seit dem Erwerb des Führerscheins drei Unfälle mit meinem schwach motorisierten Yamaha-Scooter gebaut habe, kann ich nicht den Thais in die Schuhe schieben. Zweimal war ich selbst schuld, beim letzten Unfall lief mir ein junger chinesischer Tourist grundlos vor die Flinte. Später beteiligte er sich sogar an den Krankenhauskosten. Ihn habe ich nicht erwischt, aber der Sturz war so heftig, dass ich aussah wie kurz nach einer Notschlachtung. Eine fränzösische Touristin fiel bei meinem Anblick in Ohnmacht.

Doch neben ein paar Schrammen und Platzwunden blieb es bei einem Jochbeinbruch. Denn ich habe gelernt, das Gefühl wehenden Haupthaars nicht mehr mit Freiheit zu verwechseln. Ich trage stets einen Helm. Irgendwann werde ich ihn mit Gold überziehen. Schließlich hat er mich dreimal vor schweren Verletzungen bewahrt. Und die Leute werden bei meinem Anblick frei nach Rembrandt sagen: Da kommt er wieder, der Mann mit dem Goldhelm.


Bernd Linnhoff ist Autor des kürzlich erschienenen Buches «Thailand unter der Haut» und betreibt den Blog Faszination Fernost.