Here & There

Der neunjährige Man Nan an seinem grossen Tag, bei der Parade des alljährlichen Festes Poy Sang Long. Alle Bilder: Bernd Linnhoff

Poy Sang Long: Einmal Prinz sein – und dann Mönch

Bernd Linnhoff

Ein Junge vom Dorf in den Fussstapfen Buddhas – Thailand-Korrespondent Bernd Linnhoff schildert ein eindrückliches Reiseerlebnis, das in diesem Jahr vom 3. bis 5. April stattfindet.

Dies ist die Geschichte von Nam Nan. Sie spielt im Nordwesten Thailands. Der Neunjährige ist der Stolz seiner Mutter Angoon («Söhne bringen Glück»), ein liebenswerter, charmanter, ein ruhiger Geselle. Doch mit der Ruhe ist es nun vorbei. Denn Nam Nan wird drei Tage lang das Leben Buddhas nachspielen. Erst als Fürstensohn Siddharta Gautama im prächtigen Gewand, dann in der einfachen Robe des Mönchs. So ist es seit hundert Jahren Brauch in der Provinz Mae Hong Son, wo – diesseits und jenseits der Grenze zu Myanmar – das Bergvolk der Tai Yai (burmesisch: Shan) zuhause ist.

Schon lange wollte ich Poy Sang Long live erleben, das alljährliche «Fest der Kristallsöhne» Anfang April. Nach einem Luftsprung von meinem Wohnort Chiang Mai nach Mae Hong Son, über hoch gelegenen, stets nebligen Regenwald, bin ich nun ganz nah dran. Der Flug dauerte nur 25 Minuten, in denen die Propellermaschine der Bangkok Airways allerdings mit einer turbulenten Choreografie die Achtsamkeit der Passagiere schulte.

Im Dorf Ban Pha Bong bin ich nun für einige Tage der einzige Fremde. Aber mit Familienanschluss. Denn Angoon ist eine Freundin meiner Frau. Ich wohne im Pitchapon-Resort, im «Mango-Haus», einem kleinen Bungalow am Rande eines Reisfeldes. Die Anlage gehört dem Dorfvorsteher.

Nam Nans Mutter nimmt mich mit zum Tempel, denn dort wird rasiert, das erste von vielen Ritualen. 18 Knaben müssen Haare lassen. Wie seine Kameraden, so blickt auch Angoons Sprössling der Prozedur mit gemischten Gefühlen entgegen. Hat er sonst den Schalk im Nacken, ist es nun die Klinge des Mönchs. Es ist Nam Nan eine Ehre, aber weh tut es trotzdem. Die Zeremonie endet im nahe gelegenen Bach, wo die Kahlen ihre Kopfhaut kühlen und Glatzen betasten.

«Morgen», sagt mir Angoon danach, «haben die Jungen ihren ersten grossen Auftritt. Um vier Uhr.» «Morgens», fügt sie freundlicherweise hinzu. «Ist das okay für dich?» «Natürlich», sage ich. Genau meine Zeit. Tiefschlaf.

Doch um 3.45 Uhr schlafwandle ich die anderthalb Kilometer durchs Dorf. Ban Pha Bong liegt noch im Dunkeln, bei etwa 25 Grad schon jetzt, am Tag werden es 35 sein. Mich wundert, dass ich allein unterwegs bin. Am Tempel, auch hier kein Licht, bin ich der einzige Kunde. Also wandere ich zurück und schlafe tief, als Angoon an die Tür meines Bungalows klopft. Es ist sechs Uhr. «Ich dachte schon, du kommst nicht», sagt sie, «wir haben uns Sorgen gemacht!» «Ich war schon um Vier am Tempel», sage ich. «Langsam müsstest du doch wissen, dass Thais immer etwas später kommen», entgegnet Angoon.

Das Schminken und das Anlegen des floralen Kopfschmucks habe ich verpasst, auch das Ankleiden von Nam Nan. Zum ersten Segen der Novizen erscheine ich gerade noch rechtzeitig. Über die Hauptstrasse führt der anschliessende Premierentanz der kleinen Derwische, auf den Schultern ihrer männlichen Verwandten, in «mein» Resort. Denn dort bittet der Dorfvorsteher zum Gruppenfoto.

Der nächste Tag, die Grosse Parade

Um sechs Uhr morgens soll sie beginnen, haben mir mehrere Quellen unisono versichert. An die buddhistischen Anstosszeiten muss ich mich zwar gewöhnen; andererseits will ich nicht ausgerechnet den Gipfel der Feierlichkeiten verpassen. Also bin ich um Sechs am Tempel. Ausser mir am Start: 1 Mönch. «Wie lange lebst schon in Thailand?», fragt er mich. «Gut zehn Jahre.» «Da müsstest du doch wissen, dass die Thais gerne etwas später…» Ist ja gut.

Die Parade beginnt um 8.10 Uhr. Das ganze Dorf wandert durchs Dorf. Buddhistische Rituale sind näher am Leben als die anderer Religionen, zumindest nach meinem Verständnis vom Leben. Es bleibt immer Zeit für Thailands wahre Obsession: das Essen. Keine Spur vom tödlichen Ernst katholischer Zeremonien, wie sie in meiner Erinnerung eingebrannt sind.

Am frühen Abend, ein weiteres Ritual steht an, stört es keinen der älteren Mönche, dass die Novizen bei den gewohnt langatmigen Gebeten selten still sitzen können. Die folgende Heimkehr Nam Nans, den Abend im Kreis seiner Familie, werde ich nicht vergessen. Oma kocht auf offener Flamme. Die Spielkameraden platzen vor Energie. Opa und Onkel tanzen mit dem Jungen auf den Schultern; auch ich darf diese tragende Rolle spielen in einigen völlig losgelösten Stunden. Der kleine Prinz ist zuhause, geniesst die Zuneigung, Wärme, Geborgenheit.

Am nächsten Morgen, beim letzten Tanz, geben die Novizen noch einmal alles. Die Ordinierung zum Mönch steht bevor und danach der Gang ins Kloster. Die Helden sind müde. Nam Nan sitzt auf seinem Hocker wie ein Boxer nach dem Schlussgong. Befächert von Verwandten, ein Handy in der Linken, einen Handventilator in der Rechten. Seine Mutter, Masseurin von Beruf, lindert die wunden Schenkel.

Das Finale: Der Prinz wird Mönch

Und zwar auf vollem Magen, denn erst wird gegessen, wir sind schliesslich in Thailand. Nach dem Rasieren der Augenbrauen und geschminkt sehen die 18 Jungen nun aus wie Mädchen. Mit dem Gewand legen sie Tand, Glitter und irdische Genüsse zur Seite; die Mönchsrobe verheisst bescheidenere Freuden.

Nam Nan wird mindestens eine Woche im Kloster bleiben, das ist Pflicht. Er allein entscheidet, ob er dort die Haare nachwachsen lässt oder ob er so schnell wie möglich in die Schule und ins weltliche Leben zurückkehrt.


Unser Thailand-Korrespondent Bernd Linnhoff ist Autor des kürzlich erschienenen Buches «Thailand unter der Haut. 31 Nahaufnahmen aus einem fernen Land».