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Die Russen kommen, und Thailand freut sich
Bernd LinnhoffIn keinem anderen Land der Welt erntet Russland derzeit so positive Schlagzeilen wie in Thailand. 80 Prozent der russischen Touristen reisen in diesen Tagen ins südostasiatische Königreich, die Hälfte davon aus Sibirien. Fliehen sie vor den Heizkosten im sibirischen Winter? Aeroflot und andere Airlines offerieren Direktflüge aus neun russischen Regionen nach Phuket und Pattaya, wo das touristische Gewerbe die friedliche Invasion mit offenen Armen wilkommen heisst.
Nach Abklingen der Pandemie und dem Ende aller Einreiserestriktionen erholt sich Thailands Tourismus stetig. Touristenvisa sind nun 45 Tage lang gültig statt 30 wie bisher. Die Zahlen der letzten Woche stützen die Hoffnung, die für 2022 angepeilten zehn Millionen Touristinnen und Touristen registrieren zu dürfen – 2019 waren es noch 40 Millionen. Täglich kommen zwischen 50'000 und 60'000 Menschen auf Thailands Flughäfen an, was speziell auf Bangkoks Hauptflughafen Suvarnabhumi für lange Schlangen vor den Immigrationsschaltern sorgt. Die meisten Besucher kommen aus Indien, Südkorea, Singapur und Malaysia.
Die im Juni fast über Nacht erfolgte Cannabis-Legalisierung verlieh dem Begriff High Season im «Land des Lächelns» eine ganz neue Anmutung. Nun gibt es Gras an jeder Ecke, und die Zielgruppe freut sich über eigens entworfene Reiseführer für Cannabis-Shops. Doch die Vermutung, die vereinigten Kiffer aller Länder könnten den Tourismus befeuern, wird sich kaum erfüllen, da eine Regulierung des ungezügelten Gebrauchs droht.

Thailand hat schon lange einen Stammplatz in den Träumen vieler Menschen und konservierte diesen Platz auch während der Pandemie. Von den Lesern des Condé Nast Traveler wurde das Königreich jüngst wieder unter die Top 3 der besten Destinationen der Welt gewählt. Bangkok landete auf Platz 4 bei den «besten Städten der Welt», das Chiva-Som auf Platz 1 «der besten Spas der Welt».
Noch ist nicht abzusehen, wie stark Thailand-Fans aus der Schweiz, Deutschland und Österreich die gerade beginnende Hochsaison beflügeln werden. Die Sehnsucht ist gross, doch dank enorm gestiegener Flugpreise und höherer Lebenshaltungskosten scheitert mancher Traum am Budget. Wer dennoch fliegt, spart an den Ausgaben vor Ort.
«Im Moment liegen wir bei 60 bis 70 Prozent im Vergleich zu den Vor-Covid-Jahren.»
Daniel Schneider, vor 63 Jahren in Basel geboren, lebt seit 30 Jahren in Chiang Mai. Die «Rose des Nordens» profitierte von drei gut besuchten Tagen beim wunderschönen Loy-Krathong-Fest (7.-9. November), Tausende säumten bei der grossen Parade die Strassen im Zentrum. Bereits seit September verzeichnet Daniel Schneider in seiner Agentur Siam Sun Tours stark steigende Buchungen: «Im Moment liegen wir bei 60 bis 70 Prozent im Vergleich zu den Vor-Covid-Jahren. Auch für den Februar sieht es schon gut aus.»
Phuket, die grösste Insel im Königreich, baut nicht nur auf russische und indische Gäste. Das nahe Patong Beach ankernde Kreuzfahrtschiff «Spectrum of the Seas» kündete vom nächsten strategischen Ziel: Neue Häfen rund um die Insel sollen mit den Kreuzfahrtriesen auch die wieder einmal gewünschten Qualitätstouristen an die Strände und in die Shops spülen. Wobei der Begriff Qualität nur ein Synonym für Kaufkraft ist. Während die Billigtouristen, die in den Hostels der Einheimischen schlafen und an den Garküchen der Einheimischen essen, nicht mehr so erwünscht sind wie damals, als sie Thailand auf die touristische Landkarte brachten.

Hotel- und Resort-Betreiber auf Thailands zweitgrösstem Eiland Koh Chang werben mit Preisnachlässen für Zimmer und Speisen um Touristen. «Die Strände an der Ostküste des Golfs von Thailand sind voll», berichtet Wichit Sukrasuyanon, Präsident der Trat Tourism Association. Hua Hin, gegenüber gelegen an der Westseite des Golfs, setzt ganz auf asiatische Kunden in einer Entfernung von weniger als sechs Flugstunden. Auf Touristen aus Indien oder Südkorea zum Beispiel.
«Es würden mit Sicherheit noch mehr Touristen kommen, wenn die Flugpreise nicht so hoch wären», sagt Ralf Clement, Geschäftsführer der Agentur Sunshine Holidays Samui und Spezialist für den Süden im Golf. «Das erste Quartal in 2023 ist fast schon sehr gut gebucht, insgesamt stehen wir aktuell bei 75 Prozent im Vergleich zur Ära vor Corona. Seit drei Jahren gibt es erstmals wieder ausgebuchte Hotels und Engpässe bei den Ferienhäusern. Zudem sind fast alle Tour-Anbieter wieder aktiv, auch die ersten Kreuzfahrtschiffe liegen wieder vor Koh Samui.»
«Jeder Gast, der in diesen Tagen ankommt, auch ein Symbol für bessere Zeiten.»
Wer derzeit durch die Hauptstadt Bangkok spaziert, sieht kaum noch Unterschiede zum Gewusel früherer Jahre. Auch die Bar-Betreiber in der Stadt der Engel oder in Pattaya staunen über volle Etablissements, nachdem ihr Geschäft während der Pandemie komplett einbrach und die Zukunft der Nächte im Dunkeln lag.
Alle Beteiligten in Thailands Tourismusgewerbe schielen in Richtung Nord/Nordost, zum grossen Nachbarn China. Wenn Chinesen ihr Land verlassen, um sich die Welt anzuschauen, sind es immer gleich Millionen oder Zig-Millionen. Mit den Chinesinnen und Chinesen begann der Thailand-Boom, der 2019 in 40 Millionen Gästen gipfelte. Der Beginn des Booms ist noch nicht lange her. Erst 2012 lockte «Lost in Thailand», der bis dahin erfolgreichste chinesische Film, Chinesen en masse an die Originalschauplätze rund um Chiang Mai. So fing es an, und dann explodierten die Zahlen.
Ohne die chinesischen Nachbarn hätten die Zahlen auch 2019 vielleicht bei etwa 25 Millionen gelegen. Die Frage ist, ob wir dem Urlaubsparadies Thailand einen ähnlich massiven Zustrom wie vor Covid-19 überhaupt wünschen sollen. Andererseits hat die Pandemie viele Familien in wirtschaftliche und auch psychische Not gestürzt; die Zahl der Depressionen ist auf zwölf Prozent gestiegen. So ist jeder Gast, der in diesen Tagen ankommt, auch ein Symbol für bessere Zeiten. Mit den Chinesen allerdings ist vorerst nicht zu rechnen. Sie müssen zuhause bleiben und mit den drastischen Einschränkungen der Zero-Covid-Politik leben, von der Staatspräsident Xi Jinping nicht lassen will.
