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Der Ötzi-Trek führt zur Ötzi-Fundstelle beim Tisenjoch auf 3208 Metern Höhe. Bilder: Noemi Harnickell

Auf den Spuren der Gletschermumie

Noemi Harnickell

Der 2021 konzipierte Ötzi-Trek hat es in sich. Er führt vom österreichischen Landeck in Tirol nach Bozen in Südtirol, wo die beliebte Gletschermumie heute ausgestellt ist.

Es ist dieses Gefühl in den Füssen, das eine Wanderung so unvergesslich macht. Dieser dumpfe Schmerz in den Fusssohlen, das Drücken der Wanderschuhe gegen die Knöchel, die Socken, die an den Zehen reiben. Indes streckt und windet sich der Pfad scheinbar endlos durch die Ötztaler Alpen, während sich das Rauschen des Niedertalbachs mit dem Blöken der Schwarznasenschafe vermischt, die an den Hängen grasen. «Nur wo du zu Fuss warst, warst du wirklich», behauptet der Schriftzug auf dem T-Shirt eines Bergführers. Erst wenn dir die Füsse so richtig wehtun, verstehst du, was bereits Ötzi, der Mann aus dem Eis, vor 5000 Jahren durchgemacht haben muss.

Die schmerzenden Füsse sind jedoch nur die Nebenwirkung einer Wandertour, die durch beeindruckende Geröll- und Gletscherlandschaften und Bergpanoramas führt. Da ist zum Beispiel der Stuibenfall, mit 150 Metern der höchste Wasserfall des Tirols, der über einen Hängesteg bestiegen werden kann. Der Weg führt zum Tauferberg, einem Hochplateau, das vor 9000 Jahren durch einen Erdrutsch in den Ostalpen entstand. Höhlen und moosbewachsene Steinblöcke machen den Wald hier zu einem fast verzauberten Ort. Der Ötzi-Trek führt durch Vent am Fusse der Wildspitze, mit 3768 Metern die höchste Erhebung Nordtirols, über die Martin-Busch-Hütte zur Ötzi-Fundstelle beim Tisenjoch auf 3208 Meter Höhe.

Der Ötzi-Trek windet sich endlos durch die Ötztaler Alpen.

Die Gletschermumie wurde 1991 während einer Wanderung von dem Ehepaar Erika und Helmut Simon gefunden. Der mysteriöse Tote erhielt in der Folge viele Namen, von «Uomo del Similaun» bis «Frozen Fritz», aber «Ötzi» blieb schliesslich hängen. Ötzi ist mit einem Alter von rund 5000 Jahren die älteste natürlich erhaltene menschliche Mumie. Der Schnee, mit dem Ötzis toter Körper einst bedeckt wurde, blieb liegen und verwandelte sich über die Jahre in Gletschereis – der Beginn einer neuen Kaltzeit. Erst mit dem Schmelzen des Eises im Sommer 1991 sollten Ötzis mumifizierte Überreste wieder ans Tageslicht gelangen.

Letzte Mahlzeit: Rothirsch und Körnerbrei

Der Ötzi-Fund ist für die Wissenschaft bis heute eine sprichwörtliche Goldgrube. Erfahren wir doch viele Einzelheiten über die menschliche Besiedelung der Alpen in der Steinzeit und die Lage der Gletscher. Aber: Wer war Ötzi wirklich? Über die Frage streiten sich die Wissenschaftler seit nunmehr 30 Jahren. Dabei sind erstaunlich viele Details bekannt. Etwa, dass Ötzi von hinten mit einem Pfeil erschossen wurde – die Pfeilspitze befindet sich bis heute in seiner Schulter. Oder dass seine letzte Mahlzeit aus Körnerbrei, Rothirsch, Moos und Farn bestand. Und wussten Sie übrigens schon, dass Ötzi auch eine Raucherlunge hatte?

Wie das Leben des Steinzeitmannes ausgesehen haben könnte, darüber können wir nur mutmassen. Das Ötzi-Dorf in Umhausen, ein archäologischer Freilichtpark, nähert sich dieser Frage. Von Waffen über nachgebaute Hütten, Feuerstellen und Steinzeitgräber: Im Ötzi-Dorf darf der Besucher alles anfassen und sich sogar im Feuermachen mit Steinen üben.

Nein, ein Spaziergang ist er nicht, der Ötzi-Trek. Für acht Tage angedacht, beginnt die Route in Landeck und endet im Archäologiemuseum Bozen, wo Ötzi zu sehen ist. Eine kostenlose, speziell für den Trek entwickelte App kann unterstützend zur Wanderung heruntergeladen werden. Sie verfügt über Wanderkarten und vibriert, wenn das GPS Ötzi-relevante Koordinaten lokalisiert.

Die Ötztaler Alpen sind ein Fenster in eine Zeit, an die sich nur noch die Felsen und das Eis erinnern.

«Du wirst sehen, hören und riechen, was auch schön Ötzi wahrgenommen hat», verspricht die App in der Einleitung. «Je weiter du nach oben gehst, desto mehr ähnelt sich die Landschaft, desto näher kommst du dem Ötzi.» Es mag klischiert klingen, aber die Ötztaler Alpen sind ein Fenster in eine Zeit, an die sich nur noch die Felsen und das Eis erinnern. Ein schauriger Gedanke, den man auf 3000 Metern so schnell nicht los wird.

Aber eines ist doch anders als vor 5000 Jahren. Stell dir vor, du kommst mit schmerzenden Füssen in der Gaststätte an, du ziehst die Wanderschuhe aus, endlich – Freiheit für die Zehen! Aus der Küche dringt schon der unverkennbare Geruch von Spätzle mit Soss’ und noch während du dich auf eine knarzende Holzbank sinken lässt, kommt der Kellner vorbei. In der Hand trägt er ein Glas Marillenschnaps für dich und du weisst, für diesen Augenblick hat sich die ganze lange Wanderung gelohnt.