Here & There
Caruggi-Feeling an der Via Soziglia
Andreas GüntertPesto-Hochburg, Hafenstadt, Transit-Station für Fähren, Kreuzfahrten und die Weiterfahrt in den Süden: So wird Genua meist wahrgenommen. Eine Stadt zwischen Meer und Bergen, die man in der Regel umfährt oder möglichst schnell wieder verlässt.
Die Genuesen wissen das natürlich. Doch Genua ist auch eine Hafenstadt, wie die NZZ einst treffend geschrieben hat, «die ihre Schwächen mit Fassung trägt.» Kommt dazu: Wer willens ist, kann der Altstadt von Genua viele Stärken abgewinnen. Sehr viele sogar.
Was die Magie von Genua ausmacht, sind die vielen Caruggi. So nennt man hier die schmalen Gassen der Altstadt, die sich in einem wahren Gewirr erstrecken und voller Überraschungen stecken.
Da und dort mag der Zahn der Zeit ziemlich zugebissen haben – womit aber auch viel Poesie verbunden ist. Italienische Lebensart, die sich auf den ersten Blick offenbart.
Genua Altstadt ist ein Thema, das ich der Internaut-Community schon zwei Mal zur Städtereisen-Wahl gestellt habe. Bei einer ersten internationalen Auswahl landete Genua 2018 auf dem dritten Platz.
Und als es dann zwei Jahre später aus sieben italienischen Städten zu wählen galt, reichte es wieder nur für Bronze.
Genua Altstadt: Im Gewirr der Caruggi
In diesem Sommer nun war es mein Ziel, Genua endlich mal auf die Spitzenposition zu hieven. Immerhin ist die Stadt – von der Schweiz aus gesehen – das nächstegelegene und naheliegendste Ziel zum Meer. Und sie soll über die größte Altstadt Europas verfügen.
Genova hat mich nicht enttäuscht. Inmitten des Caruggi-Labyrinths habe ich mich für die Via Soziglia entschieden. Die Strasse, die auch Via di Soziglia oder, mit ganzem offiziellen Namen, Via Macelli di Soziglia heisst, ist eine wahre Starke Strecke.
Die Via Soziglia liegt im Stadtviertel Maddalena und ist gespickt mit kleinen Läden, Restaurants und Entdeckungen jeder Art.
Die Via Soziglia ist auch deshalb eine wahre Starke Strecke, weil die Pandemie dem örtlichen Gewerbe und der Gastronomie hart zugesetzt hat. Was für uns Reisende nur heissen kann, dass wir das Angenehme mit dem Nötigen verbinden sollten: Hingehen. Geld ausgeben. Geniessen. Unterstützen.
Caruggi Genova: Ein Kaffeehalt
Einem guten Caffè kommt in Italien besondere Bedeutung zu. So ist es auch in Genua. An einer Starken Strecke sind neben der Qualität des Kaffees drei weitere Dinge wichtig: Lage, Lage, Lage.
Schliesslich wollen wir beim Caffè-Schlürfen sehen und erleben, was an unserer Strasse so alles ab- und aufgeht. Was leider zugegangen ist: Die legendäre Gran Bar Pasticceria Klainguti an der Piazza Soziglia. Die ganze Stadt ist gespannt, ob, wann und wie dieses Zuckerbäcker-Juwel mit Schweizer Wurzeln wieder öffnen wird.
Unser Ersatz im Caruggi-Gewimmel der Hauptstadt von Ligurien: Die Caffetteria Kicconero. Weil dieser Kaffee-Boxenstop mit seiner Lage an der Piazza Soziglia mitten im Geschehen liegt. Von hier gehen die Via Soziglia und die benachbarte Via Luccoli ab, die ebenfalls Starke-Strecke-Appeal hat.
Der Kaffee im Kicconero schmeckt hervorragend; zusätzlich wird das Angebot an heisse Espressi und Cappucini mit klirrend kalten Kaffeespezialitäten ergänzt.
Genua Altstadt: Ein Mittagessen
Natürlich ist es im Süden immer besonders schön, das Abendessen irgendwo draussen zu geniessen. Daneben gibt es in Genua aber auch Lokale, die sich auf Pranzo – das Mittagessen – konzentrieren und abends schon gar nicht öffnen.
Eine solche Pranzo-Perle ist das I Canovacci, geführt von zwei Schwestern und dem Ehemann der einen Sorella. Ein Trio, das sehr unscheinbar geschäftet. Und um 15.30 Uhr jeweils Feierabend macht.
Tatsächlich ist es sehr einfach, an diesem Lokal vorbeizuschlendern und es gar nicht zu bemerken. Man muss schon in eine Nebengasse einbiegen, um überhaupt einmal den Eingang zu finden.
Ist dies einmal geglückt, kann man auf der Piazza della Maddalena einen herrlichen Mittag verbringen. Alimentiert von den Schwestern, die vom Lokal aus unermüdlich auftragen.
Was es zu essen gibt, tragen die Sorelle munter und begeisternd vor. Meist wird Pesto eine Rolle spielen, dazu werden vor der Santa-Maddalena-Kirche knusprige Sandwiches und andere Pranzo-Köstlichkeiten gereicht. Bis man die Chiesa mit ganzem Namen genannt hat, ist bestimmt schon das erste Getränk da: Parrocchia Santa Maria Maddalena e San Girolamo Emiliani.
Ein Mittagessen hier gleicht auch einem Gemälde des italienischen Lebens. Bambini tollen herum, Berufsleute gehen in gebotener Geschwindigkeit ihrem Gewerbe nach, Einheimische haben unheimlich wichtige Dinge zu besprechen, ältere Herren schlendern im coolen Italo-Rentner-Chic über die Piazza.
Genova Centro Storico: Ein Typ
Wenn Genua einen Soundtrack hat, dann können es nur die Lieder von Fabrizio de André sein. Die Lieder des Cantautore, der 1999 verstorben ist, wird auch heute noch verehrt in Genua.
Eine ganze Menge dazu erzählen kann Gitarrenbauer Andrea Incandela in seinem Laden A Ca‘ do‘ Dria an der Via Soziglia. Wenn er gut gelaunt ist, packt er auch mal seine Gitarre hervor und spielt ein Stück.
Natürlich ist dies der Ort für ein erstes Mitbringsel. Zum absoluten Halunkenpreis von 20 Euro erstehen wir dort eine Musikkassette von Fabrizio de André, passenderweise mit «il viaggio» betitelt.
Mit dieser Summe, würde ich sagen, habe ich dem nächsten Besucher dort ein paar Live-Stücke von Herrn Incandela vorfinanziert. Wenn der Maestro nicht im Laden ist, trinkt er meist an einem ganz bestimmten Ort Kaffee. Wo? Siehe weiter oben.
Übrigens ist es so, dass Andrea Incandela dann und wann auch mit seinen Kumpels live auftritt. Wann und wo, wird er Dir sicher in seinem Laden erzählen.
Und dabei auch auf ein Thema eingehen, dass wir hier aus Platzgründen ausklammern müssen: Welche Rolle Ö-Punkte im ligurischen Dialekt spielen und wie man diese richtig setzt. Zum Beispiel bei seinem Firmennamen.
Genua Altstadt: Ein Mitbringsel
Von der überteuerten Musikkassette hatten wir es schon. Deutlich günstiger ist unser zweites Mitbringsel aus dem Maddalena-Quartier.
Und einiges süsser obendrein.
Im Feinkostladen von Boasi haben wir uns für ein kleines Set an Amaretti entschieden. Sechs Stück werden dort für 3.90 Euro gereicht.
Für weitere Mitbringsel aus der Food-Kategorie ist die Via Soziglia ein reicher Fischgrund. Die Auswahl reicht von Saucen im Glas über Bio-Salami bis hin zu Olivenöl und weiteren Köstlichkeiten der italienischen Küche.
Centro storico di Genova: Ein Hotel
Beim Rundgang durch Genua kann der Wunsch erwachen, selber mal einen Palazzo zu besitzen. Oder, etwas realistischer, in einem Palazzo zu übernachten.
Letzteres lässt sich gut einrichten, ganz in der Nähe der Via Soziglia sogar.
Das Haus, erbaut im 16. Jahrhundert, ist reich an Fresken, die 25 Zimmer sind mit hohem Designanspruch eingerichtet. Wobei sich hier für einmal Design und Funktion nicht gegenseitig ausschliessen, sondern gut ergänzen.
Das Hotel gehörte einst auch zur famosen Liste der Palazzi dei Rolli. Jene Häuser also, die früher in Genua hohen Besuch beherbergen durften.
Ferner gehört eine kleine Dachterrasse und ein extrem stylisher Aufenthaltsraum zum Haus, das in der Kategorie vier Sterne angesiedelt ist.
Wer sich einen Aufenthalt hier nicht leisten mag oder kann, kann trotzdem etwas von der Magie dieses Ortes einfangen. Mit einem Caffè vor dem Hotel, auf der Piazza delle Vigne.
Via Soziglia Genua: Die Anreise
Fast alle, die in Genua etwas länger als einen halben Tag Station machen, werden irgendwann im Hafen aufkreuzen, wo auch das grosse Aquarium liegt. Vom Acquario di Genova aus ist es dann nicht mehr weit bis zur Piazza Soziglia. Vom Bahnhof Genova Piazza Principe ist es zu Fuss etwa eine Viertelstunde.
Je nachdem, wie gut die Hafenstrasse SS1 überquert werden kann, dauert es irgendwo zwischen fünf und zehn Minuten, bis Du im charmanten Caruggi-Gewirr der Altstadt ankommst. Und damit auch an der Via Soziglia.
Genua Sehenswürdigkeiten in Gehdistanz zur Via Soziglia
Was es in Genua an Kirchen und Palazzi zu sehen gibt (und das ist eine ganze Menge), ist in aller Regel leicht zu erreichen von der Via Soziglia her. Wenn man sich denn zurechtfindet im Gassengewirr.
Ebenfalls wenige Minuten entfernt von unserer Starken Strecke befindet sich die Piazza de Ferrari, eine Hochburg der Touristen-Selfies. Und Ausgangspunkt für weitere Entdeckungsreisen, die sich leicht zu Fuss machen lassen, etwa die Prachtstrasse XX Settembre. Ebenfalls nahe: Die mittelalterliche Piazza San Matteo.
Und auch zur berühmten Via Garibaldi (Strada Nuova), gesäumt von herrschaftlichen Palästen (Palazzi dei Rolli), Adelspaläste im Renaissance- und Barockstil,, sind es zu Fuss keine fünf Minuten. Ebenso zum Palazzo Ducale, dem Dogenpalast von Genua und zur Kathedrale San Lorenzo.
Obwohl im Gewirr der Caruggi wenig vom Flair des Hafens verspürbar ist, gelangt man doch recht schnell an den Ort des Geschehens. Der alte Hofen, der Porto Antico von Genova, lässt sich über ein paar Strässchen in kurzer Zeit erreichen. Besuchenswert dort unter anderem: Das Meeresmuseum Galata.
Kleiner Tipp: Einen schönen Überblick gewinnt man im Hafen von Genua, wenn man mit dem gläsernen Lift der italienischen Feinkost-Kette Eataly einmal hochfährt. Prima Vista, Leuchtturm inklusive.
Wer gut zu Fuss ist, wird von der Altstadt her auch eine erste Spiaggia erreichen. Denn rings um Genua herum spielt das Thema Strand eine wichtige Rolle.
Aber das ist ein Thema, das wir ein anderes Mal vertiefen werden.