Here & There

On Location: Roland Schäfli auf der Dingle-Halbinsel, Irland, Schauplatz des Films «Ryans Tochter», erschienen 1970. Bild: HO

Ein Kontinent und seine Filmspuren

Andreas Güntert

Drehorte besuchen und dabei Film-Luft schnuppern: Das macht vielen Reisefans Spass. Für Roland Schäfli ist es eine Passion. Der Schweizer Autor über die schönsten Drehorte Europas und wie der Tourismus mehr aus seinen Filmspuren machen könnte.

Wo zog Amélie de Montmartre ihre Kreise in Paris? In welchen Ecken von Spanien wurde einst der Wilde Westen für Filmproduktionen nachgestellt? Und wo verlaufen die Filmspuren des James Bond in Switzerland?

Über solche Themen können Filmfans stundenlang sprechen. Roland Schäfli auch. Aber nicht nur. Der Schweizer Autor verfolgt Filmspuren weltweit und spürt Drehorte auf.

Drehorte in 17 europäischen Ländern

Mehr noch: Schäfli schreibt auch darüber. Dieser Tage ist sein jüngstes Buch erschienen. In «Location Tour – Die schönsten Drehorte Europas» beschreibt er die reiche Film-Geschichte eines ganzen Kontinents (Travelnews hatte dazu auch schon berichtet).

Was für den Filmkenner und Reisefan erstaunlich ist: Wie wenig touristische Länder wie die Schweiz aus ihrem Schatz an Movie-Locations und Filmkulissen machen. Klar, es gibt positive Beispiele. Das Tessin etwa zeigt auf einer eigenen Landingpage seine «filmreifen Ferienorte», das Chaplin-Museum in Vevey setzt Massstäbe – doch in der Breite wird das Thema noch sehr schwach bespielt und vermarktet.

Der Internaut spricht mit Roland Schäfli über sein Buch, Filmschauplätze in Europa – und was denn ein touristisches Pionierland wie die Schweiz tun könnte, um endlich aufzudrehen beim Thema Filmtourismus.

«Location Tour – Die schönsten Drehorte Europas» – das Buch von Roland Schäfli. Bild/Collage: Internaut

Herr Schäfli, Sie sind ein wissenschaftlich forschender Cineast. Woher kommt Ihre Leidenschaft für Film und Kino, für Drehorte und deren Geschichten?

Roland Schäfli: Zum einen, weil ich jener Generation entstamme, für die der Film-Abend am Fernseher daheim noch die Aura des Lagerfeuers hatte. Den einen Streifen, der in einer Woche angesagt war, sah jeder andere auch, man konnte den Film am nächsten Tag in der Schule eingehend besprechen. Zum anderen hatten wir es mit einem raren Kulturgut zu tun: Wenn man einen Film verpasst hatte, dauerte es fünf Jahre, bis er endlich wieder gezeigt wurde. Kommt dazu, dass ich schon recht früh ein selbständiger Kinogänger war.

Wann gingen Sie erstmals ins Kino?
So ab zehn Jahren ging ich alleine hin. Lesen und Kino, das war mein Programm. Ich wurde quasi von Karl May und James Bond sozialisiert. Später habe ich dann meinen ganzen Lehrlingslohn für Fachliteratur in der Zürcher Filmbuchhandlung Rohr liegen gelassen.

Welches war die Alma Mater ihrer Kino-Leidenschaft?
Als Ostschweizer waren das für mich das Scala und das Pax in Frauenfeld. Beide Kinos gibt es heute leider nicht mehr.

In Ihrem neuen Buch «Location Tour – Die schönsten Drehorte Europas» spürten Sie den Drehorten von über 350 Filmen in 17 Ländern des Kontinents nach. Weshalb die Plackerei?

Eine Plackerei war das nicht. Es ist pure Leidenschaft. Film-Locations sind immer eine Reise wert. Es kommt nicht von ungefähr, dass Filme meist an den schönsten und historisch interessantesten Orten gedreht werden. Was die Sache aber erst richtig interessant macht: Filmstars und Regisseure sind im Umgang mit den Locations oft nachlässig.

Wie meinen Sie das?

Sie sind nachlässig in dem Sinne, dass – zumindest früher – kaum je angegeben wurde, wo genau ein Film oder Szenen daraus gedreht worden sind. Oder in welchem Gebäude. Und ob dieses Gebäude zweckentfremdet wurde und ob es überhaupt noch steht.

Welche Fragen treiben wissensdurstige Filmfans sonst noch um auf dem Movie-Werkplatz Europa?

Wo führten die Wiener Wege von Orson Welles in «Der dritte Mann» überall durch? Wo genau in Zermatt checkten Charles Bronson und Jill Ireland im Streifen «Ein Mann räumt auf» ein – und steht dieses Hotel heute noch? In welchem Andermatter Hotel übernachtete die Crew des Bond-Films «Goldfinger»? Solche Themen machen für Cineasten, die tiefer graben wollen, einen grossen Teil des Filmtourismus-Reizes aus.

Der Bond-Stunt aus «GoldenEye» zum Nachmachen: Tourist beim Bungee-Jump von der 220 Meter hohen Verzasca-Staumauer. Bild: Ticino Turismo

Haben Sie eine Lieblings-Bond-Destination in der Schweiz?

Als Skifahrer kann ich nur sagen: das Schilthorn. Die Szenen für «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» waren grandios. Noch besser: Dass man heute noch die gleiche Strecke wie im Film selber befahren kann. Davon konnte ich mich erst grad kürzlich selber wieder überzeugen.

Im Buch spüren Sie die Schweizer Wege des James Bond auf und folgen ihm in 20 Locations durchs ganze Land. In jüngster Zeit aber, scheint es, hatte der Geheimagent weniger Schweizer Auftritte. Weil andere Länder mehr bezahlen, um Schauplatz eines 007-Films zu sein?

Eine Location kann sich nicht mit einem Geldangebot attraktiver machen. Wichtiger ist, dass sie frisch wirkt und nicht schon von jeder Seite abgefilmt wurde. Gerade die Bond-Produzenten haben hohe logistische Anforderungen an einen Drehort.

Welche Anforderungen?

Wenn eine 200-köpfige Crew für eine Produktion unterwegs ist, spielt es eine Rolle, ob und wie die ganze Truppe günstig untergebracht und verpflegt werden kann. Noch wichtiger: Sind Profis am Ort, die alles organisieren können? Wie einfach kann es geregelt werden, eine Bergstrasse drei Tage lang für eine Verfolgungsszene zu sperren? Solche Faktoren sind relevant für den Entscheid, das Budget und dann die Pre-Production, also an alle Vorbereitungen, die der Realisierung eines grossen Filmprojekts vorausgehen.

«Die Länder des damaligen Jugoslawien sind durch die vielen Karl-May-Verfilmungen – Winnetou! – natürlich sehr spannend.»

Welche europäischen Länder sind für Film- und Drehort-Fans am ergiebigsten?

Das kommt natürlich ganz auf den persönlichen Geschmack an. Was man sicher sagen kann: die Länder des damaligen Jugoslawien sind durch die vielen Karl-May-Verfilmungen – Winnetou! – natürlich sehr spannend. Flächenmässig stösst man wohl in Prag auf die meisten Drehorte, und landschaftlich schön in Szene gesetzt war Schottland in «Highlander» oder Irland in «Ryans Tochter».

In welchen Schweizer Hotels stiegen und steigt die internationale Film-Prominenz am liebsten ab?

Hochburgen dürften wohl die Zürcher Hotels Dolder Grand und Baur aus Lac sein, ebenso wie das Gstaad Palace. Als Ortschaft war Klosters eine Zeitlang eine regelrechte Film-Hochburg.

Macht die touristische Schweiz genug aus ihren Filmdrehorten?

Im Vergleich mit anderen Ländern geschieht hier eher wenig. Irland und Schottland etwa sind auf diesem Gebiet viel aktiver; in der Stadt Wien gibt es eine wunderschöne Tour, die auf den Spuren von «Der dritte Mann» bis in die Kanalisation führt. Grosses Kino.

Was müsste die Schweiz tun, um ihren Schatz an Movie-Locations zu heben und damit den Filmtourismus zu fördern?

Es geht letztlich nicht nur um Tourismus, sondern um die künftige wirtschaftliche Nutzung. Ich bin da in Kontakt mit dem Gremium, das sich für diese Aufgabe neu bildet und politisch Fahrt aufnimmt. Erstellt werden sollte eine Datenbank, in der Details abzurufen sind:  Was wurde wo und wann gedreht, und wie sieht der Schauplatz heute aus? Daraus könnten Touristiker Packages und Erlebnisreisen schnüren und es würde den Entscheid von Filmemachern beeinflussen, ihr Geld hier auszugeben.

Könnte ein touristisches Package zum Sehen und Erleben lauten: «Wandern, von einem Drehort zum andern»?

Genau. Oder auch per Velo. Ab Chur etwa kann man mit dem Fahrrad die einzelnen Drehorte von «Es geschah am hellichten Tag» wunderbar abfahren.

Roland Schäfli vor dem Hotel Storchen in Zürich. Bild: Internaut

Viele der Filme, die Sie für Ihr Buch recherchiert haben, sind bezüglich Aktualität schon ein wenig länger her…

…das ist nicht falsch, hat aber auch damit zu tun, dass Filme für die Generation ü40 wohl eine andere Bedeutung hatten und haben als für heutige Generation. Film war damals weniger das Konsumgut, das es heute oft darstellt. Kommt dazu: Lange Zeit galt für Filme: Shot on location. Es gab also reale Drehorte, die man heute noch besichtigen kann. Heute gilt leider immer öfter: Shot in the Computer.

Heisst das, dass Sie mit Netflix nichts anfangen können?

Das klassische Kino ist zwar im Umbruch. Aber die Faszination Film wird sich auch künftig durchsetzen.