Here & There
Sowas von entspannt in der Bundesstadt
Andreas GüntertWer je einmal einen Musiker, eine Buchautorin oder einen Schauspieler interviewt hat, kennt das Meccano: Fragt man die Künstler nach ihrem besten Tonträger, Buch oder Film, dann fällt ihnen oft die immer gleiche Antwort ein.
Sie antworten: «Mein aktueller Tonträger». Oder: «Mein neuestes Buch». Oder: «Mein jüngster Film.»
Die Kunstschaffenden kommen natürlich meist deshalb auf diese wenig erstaunliche Antwort, weil sie zum Zeitpunkt des Interviews in der Regel auf Promo-Tour sind. Für ihren aktuellen Tonträger, ihren neuen Film oder ihr jüngstes Buch.
Der Internaut ist hier zwar nicht auf Promo-Tour. Trotzdem aber darf ich sagen: Die Rathausgasse Bern ist eine meiner absoluten Lieblingsstrassen aus der Serie Starke Strecke, die heute übrigens in ihrer 49. Folge erscheint.
Rathausgasse Bern: Hier schnuppern, selber mehr sehen
Angetan hat es mir die Rathausgasse vor allem deshalb, weil sie so entspannt ist. Weil hier lokale und regionale Anbieter tatsächlich Trumpf sind. Und weil die Rathausgasse eine meiner wichtigsten Anforderungen mehr als erfüllt.
Alle, die hier hinkommen, können zwar meine Tipps abklappern. Aber darüber hinaus lassen sich viele weitere Entdeckungen machen.
Wobei die Rathausgasse nicht immer so hiess. Früher war dieser Strang als Metzgergasse bekannt. Ein Sündenpfuhl muss das gewesen sein, mit leichten Mädchen, die unter den Arkaden (oder «Lauben», wie man hier sagt) auf ihre Kunden warteten.
Von dieser Zeit des Rotlicht-Milieus erzählt eines der weniger bekannten Chansons des wohl bekanntesten Berner Troubadours: Mani Matter. In «Eisi» geht es um Liebe und um enttäuschte Liebe. Weil Liebe eben an der Metzgergasse oft nur eines war: Ein Geschäft. Apropos Geschäft: Noch ein Metzger ist übrig geblieben an der einstigen Metzgergasse.
Und apropos Mani Matter: Der Liedermacher, der so vielen späteren Musikern ein Idol war, hat seine eigenen 50 Strassenmeter just im Gebiet der Rathausgasse. Der «Mani-Matter-Stutz» führt am Ende der Strasse (oder am Anfang, je nachdem) Richtung Aare zur Brunngasshalde/Postgasshalde hinunter.
Das Wort «Stutz» steht im Schweizerdeutschen zwar meist etwas derb für einen Franken oder Geld schlechthin. Hier aber, und das merkt jeder, der den Weg hochgeht, greift die andere Bedeutung des Wortes: Eine steile Stelle im Gelände.
Bern Rathausgasse: Ein Drink
Wir sollten noch einen Moment lang beim Thema Sound aus Bern bleiben. Dass so viel Grossartiges der Schweizer Populärmusk ausgerechnet aus Bern kommt, ist nicht zuletzt einem Berner Pionier des Mundart-Rock zu verdanken.
Einem Menschen aus Interlaken namens Urs Alfred Hofer. Wobei ihn unter diesem Namen wohl niemand kennt. Den Namen, den alle kennen: Polo Hofer.
Polo Hofer war ein Original und Mundartrock-Wegbereiter, der mit der Band Rumpelstilz Songs wie «Kiosk» oder «Teddybär» schuf. Stücke, die sich – nicht zuletzt auch wegen seines Ausnahme-Keyboarders Hannery Amman («Chopin aus dem Berner Oberland») in die Festplatte aller Schweizerinnen und Schweizer einfrästen.
Polo Hofer, der später mit dem Stück «Alperose» einen der grössten Evergreens der Schweizer Pop-Geschichte ablieferte, war Stammgast im Café des Pyrénées an der Ecke Rathausgasse/Kornhausplatz. Nur schon deshalb müssen wir hier unseren (ersten) Drink nehmen.
Polo Hofer, dem Alkohol wie dem Rauch sehr zugetan, hat wohl überall in Bern Spuren hinterlassen. Aber wohl selten sind sie so konzentriert erfasst wie im Fumoir des Café des Pyrénées, das heute als Mini-Museum für Polo gilt.
Wenn Du übrigens selber vor Ort bist, kannst Du schon «Café des Pyrénées» sagen. Du kannst es aber auch so sagen, wie es Tout Berne sagt: «Pyri».
Altstadt Bern: Ein Kaffeehalt
Zwitschern, Schnattern, Picken: So preist sich das Café Volver selber an. Dem bekanntermassen hispanophil veranlagten Internaut gefällt es natürlich über alle Massen, dass das Tapas-Thema in der Altstadt Bern so hübsch präsent ist.
Wer einen Platz draussen ergattert, hat einen guten Überblick zur Situation auf der Strasse. Und zum Mani-Matter-Stutz hinüber, wo gäng jemand hochschnaubt, den oder die man kennen könnte.
Bern Rathausgasse: Eine Mahlzeit
Das Wort Stuzzichino mag zwar im Italienischen für ein «Häppchen» oder «Vorspeise» stehen, aber das ist in einem Falle eine grobe Untertreibung. In jenem Falle nämlich, wenn es um das italienische Lokal Lo Stuzzichino an der Bener Rathausgasse geht.
Die Pasta-Portionen sind ebenso gross wie schmackhaft. Das Restaurant, eher klein und unscheinbar, bleibt uns als Ort grossartiger Italianità in Erinnerung.
Gewinnt das Lo Stuzzichino bei uns einen Preis für überschäumende und überbordende Freundlichkeit jener Sorte, die gleich jeden Neuankömmlig zum ewigen Freund des Hauses macht? Jetzt mal ehrlich: Eher nicht.
Gewinnt das Lokal bei uns einen Preis für die Kombination aus effizienter Bedienung und hervorragender Nudelkultur? Ehrlich: ja.
Rathausgasse Bern: Ein Shop
Eine Spezialität der Berner Altstadt sind einerseits die Arkaden, daneben (oder besser: darunter) sich auch die vielen Keller-Lokale. Unglaublich, was es da unter Tage alles zu entdecken gibt.
Einer der Keller-Läden, der es uns besonders angetan hat, ist das Strick-Atelier 9v9.
«9v9» steht für «nueve veces nueve», neun mal neun. Die Argentinierin Florencia «Flor» Castillo produziert hier Schals, Pullover und andere Stricksachen, die gut passen zu einem entspannten Herbstabend.
Oder aber eigentlich immer.
Bern Altstadt: Noch ein Shop
In den Arkaden der Rathausgasse findet sich eine schöne Verschränkung aus Digital- und Analog-Shopping. Clomes funktioniert als Showroom und Laden-Auslage für den gleichnamigen Online-Story.
Eine gute Adresse für Schmuck, nachhaltige Mode, Accessoires und Schmuck.
Rathausgasse Bern: Ein Mitbringsel
Ein Mitbringsel zu finden, ist an der Berner Rathausgasse überhaupt kein Problem. Eine wahre Fundgrube diesbezüglich ist der Shop Einladen.
Brillenetuis, Holzspielsachen, Keramiktassen, Lichterketten – das ist eine höchst unvollständige Beschreibung des Angebots, das in Werkstätten und anderen sozialen Institutionen produziert wird.
Hübsch und edel gibt sich auch die Papeterie-Abteilung. Von dort stammt unser Mitbringsel. Ein Buchzeichen mit Stifthalter, das Modell «Eintauchen» des Schweizer Labels Fidea.
Quasi eine Cloud im Analog-Format. Beides zusammen, Band und Bleistift, für 17 Franken (oder Stutz) eingetütet.
Zum Ende unseres Bummels, der von Polo Hofer zu Mani Matter, von den Arkaden in die Kellerlokale und wieder hoch in die Strasse führt, gilt es noch etwas zu erklären.
Altstadt Bern Rathausgasse: Die Anreise
Wenn Dein Bummel entlang der Rathausgasse einer der entspannten Sorte werden soll, empfehlen wir auch eine Anreise, die mit einem Mindestmass an Aufregung verbunden ist. Also zu Fuss.
Vom Bahnhof Bern her sind es gemütliche 15 Minuten – ein Viertelstündli, wie man hierzulande sagen würde – bis zum Kornhausplatz. Also dort, wo zwei Dinge beginnen: Die Rathausgasse. Und die Polo-Hofer-Verehrung. Im Pyri.
Übrigens: Da ist noch eine weitere Starke Strecke in Bern
Lust auf eine weitere Starke Strecke in Bern? Da hat der Internaut etwas für Dich. Nur etwa 15 Gehminuten entfernt von der Rathausgasse liegt die Lorrainestrasse Bern.
Für die Serie «Starke Strecke» porträtieren der Internaut und seelenverwandte Autorinnen und Autoren städtische Strassen aus aller Welt, die nicht globalisiert sind.
Kein Starbucks, kein Zara, kein Hennes & Mauritz, kein McDonald’s – sondern lokale und regionale Anbieter aus Gastronomie, Hotellerie, Shopping und Kultur.
«Starke Strecke» ehrt Strassen, die Locals und Zugereiste gleichermassen glücklich machen.
Hier gehts direkt zu allen Starken Strecken.