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Dank stetigem Wind im Sommer lassen sich die Tage beim Wind- und Kitesurfen gut auf dem Silvaplanersee im Oberengadin verbingen. Bild: Silvaplana Surfing

Grosser Run auf den Silvaplanersee

Text: Anita Suter, Video: Markus Schlumpf, Travelcontent

Auf dem Silvaplanersee ging es schon vor den Sommerferien mächtig mit Wind- und Kitesurfen los. Dieses Jahr zieht das Wind- und Kitesurf-Mekka Silvaplana nicht nur die Stammgäste an, sondern auch solche, die eigentlich ins Ausland wollten.

Es herrscht Ferienstimmung am Ufer des Silvaplanersees. Die Temperaturen sind dank eitel Sonnenschein auch auf fast 1800 Metern über Meer angenehm warm, das Wasser glitzert und die aus den Boxen des Café Papalou dringende Musik erinnert an Strandtage. Zwei junge Frauen sind im Kajak unterwegs, ein Fischer wirft seine Angel aus, dahinter das Panorama verschneiter Berggipfel. Ein Stand-Up-Paddler gönnt sich und seinem Hund eine kleine Ausfahrt, ein anderer tut dasselbe mit Kind statt Vierbeiner. Erstere werden später noch unfreiwillig im Wasser landen. Und wieder andere Zeitgenossen schauen dem mediterran angehauchten Treiben bei einem Kaffee – oder auch bereits bei einem Gläschen Weisswein – von den Holzbänken und Lounge-Sesseln aus zu. Es ist ein Dienstagvormittag Ende Juni und am Silvaplanersee ist schon gehörig viel los – trotz Corona und obwohl die eigentliche Feriensaison gerademal in den Startlöchern steht.

Eine, die davon ein Liedchen singen kann, ist Sarah Missiaen. Die 35-jährige Bündnerin ist ihres Zeichens Inhaberin der Windsurfschule Silvaplana. Vor rund 40 Jahren von ihrem Vater, einem eingewanderten belgischen Surfprofi gegründet, ist diese eine Institution am Silvaplanersee.

«Wir wurden total überrannt, sowas habe ich hier noch nie erlebt», berichtet sie von den turbulenten ersten Wochen der diesjährigen Surf-Saison. Mit so einem rasanten Auftakt Mitte Mai hatte sie nicht gerechnet, denn aufgrund der Corona-Krise war unklar, ob Shop und Schule überhaupt öffnen können. Wegen der unsicheren Lage hatte die passionierte Surferin zunächst auch die Saisonstellen nicht besetzt. Doch dann kamen die Lockerungen just zum richtigen Zeitpunkt, und Missiaen konnte ihr Geschäft regulär öffnen, auch wenn mit äusserst kurzer Vorlaufzeit. Kunden und Surfschüler liessen nicht lange auf sich warten, der Juli war, abgesehen von einzelnen Lücken, schon im Juni ausgebucht. «Normalerweise füllen sich die Kurse erst sehr spontan, ein bis zwei Tage vor Beginn», berichtet sie über die Vorjahre.

Silvaplana statt Spanien

«Zum Glück waren wir parat», drückt Sarah Missiaen ihre Erleichterung über den intensiven Saisonstart aus. Denn normalerweise, so weiss sie nach zwölf Jahren Erfahrung zu berichten, nehme der Betrieb nur langsam Fahrt auf. «Die Leute wollten aber einfach raus, surfen», erzählt sie. Zwei ihrer Mitarbeitenden konnte sie spontan verpflichten, da deren Pläne für Auslandsaufenthalte durch die Corona-Krise zerschlagen wurden und sie – zum Glück für alle Beteiligten – spontan einspringen konnten. «Eigentlich wollte ich für den Sommer nach Spanien, dort in einer Surfschule unterrichten», erzählt Julia Sieber (29), die sich dafür eigens eine Auszeit von ihrem Beruf als Lehrerin genommen hatte. Der Job hier in Silvaplana seit jetzt aber eigentlich das bessere Los, berichtet sie, die Arbeit und der Ort gefallen der Thurgauerin enorm. Nur etwas kühl sei es hier im Vergleich zu Spanien, gibt sie lachend zu Protokoll.

Auch für einen Teil ihrer Surf-Kunden sei der Silvaplanersee Ersatz für eine geplatzte Reise ans Meer, fügt Sarah Missiaen an. Ein Umstand, der ihr neben den Stammgästen auch viele neue Gesichter beschert. «Normalerweise fahren auch Viele runter an den Comersee», führt die Tochter eines Belgiers und einer St. Moritzerin aus. Dieser sei nur eine Stunde Autofahrt entfernt, das Wasser aber zehn Grad wärmer. Nicht so dieses Jahr, in dem Italien für Ferienmacher aus bekannten Gründen nicht gerade zuoberst auf der Hitliste steht. «Extrem Viele kommen dieses Jahr zum ersten Mal hierher», erzählt sie begeistert. Die Schweizer, ein Volk von Surfern? Die Szene sei tatsächlich gross, meint Sarah Missiaen, wenn auch gut verteilt. Denn in der Schweiz gebe es viele Seen, auf denen man Windsurfen kann. Aber so ideal wie auf dem Silvaplanersee seien die Bedingungen hierzulande allerdings nirgends. Grund ist der thermische Wind, bei dem die anderen Seen das Nachsehen haben. «Der Malojawind ist unser aller Arbeitgeber hier», bringt sie das naturgemachte Erfolgsrezept von Silvaplana auf den Punkt.

Sarah Missiaen, Inhaberin der Windsurfschule Silvaplana, freut sich über einen erfolgreichen Sommer. Bild: HO

Surfing als Erfolgsgeheimnis

«Wir setzen seit fast 40 Jahren aufs Windsurfing, seit etwa 20 auch auf die Kiter. Das kommt uns jetzt zu Gute», sagt Daniel Bosshard, der Gemeindepräsident von Silvaplana, in Hinblick auf die speziellen Umstände des diesjährigen Sommers. Der Lockdown sei zwar als Schock gekommen, für Juli und August verzeichne man nun aber – nicht zuletzt wegen verschiedener Marketingmassnahmen - über gute bis sehr gute Buchungsstände, sagt er mit Blick auf die anstehende Ferienzeit. «Silvaplana wird zurzeit vor allem von der Schweizer Bevölkerung neu entdeckt», bestätigt Bosshard. Viele nähmen die Chance war, anstatt einer Auslandsreise nun Ferien in der Schweiz zu machen. «Das Engadin ist eines der südlichsten Täler im Land, viele nutzen jetzt die Gelegenheit, es zu entdecken.» Aufgrund der Anfahrtswege von fünf bis sieben Stunden fühle sich das Engadin für Gäste aus der Romandie fast wie Ausland an, führt der seit über 40 Jahren in Graubünden wohnhafte Emmentaler aus. Viele Westschweizer würden das Engadin daher noch nicht kennen. Silvaplana ist also gut besucht, von Kapazitätsengpässen könne man aber nicht reden, winkt er ab.

Bereits ausgebucht ist hingegen der an die Surfschule angrenzende Campingplatz. Dies obwohl die regulären Stellplätze diesen Sommer nur an Saisongäste vermietet werden. Um dennoch noch den einen oder anderen Gast zusätzlich begrüssen zu können, wurden kurzerhand einige Parkplätze in zusätzliche Stellplätze verwandelt. Ein Augenschein zeigt; viele der Campierer sind mit Surfbrettern, Segeln und Kajaks im Gepäck angereist. Wird es bald eng auf dem ikonischen Bergsee? Missiaen beschwichtigt: «Es ist schon sehr viel los auf dem See. Wir machen aber das Beste draus.» Auf dem Wasser habe es viel Platz, und damit sich die Wind- und Kite-Surfer nicht ins Gehege kommen, sind verschiedene Zonen eingerichtet worden. Ausserdem reguliert die Natur das Aufkommen auf dem Wasser manchmal gleich selbst: An diesem Dienstagnachmittag im Juni wird der vielbesungene Malojawind nämlich durch Abwesenheit glänzen. Der Ferienstimmung am Silvaplanersee tut dies jedoch keinen Abbruch.