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Die schwarze Metallskulptur von Monika Sosnowska im Muzeum Susch: eine massive, dekonstruierte Treppe, die fast eine Tonne wiegt und 14 Meter hoch über alle vier Stockwerke des Museums reicht. Bild: Conradin Frei

Die Kunst-Achse durchs Hochtal

Silvia Schaub

Das Engadin lockt nicht nur mit Natur und Glamour, sondern positioniert sich zunehmend auch als Hotspot für Kunst. Dank dem neuen Muzeum in Susch bietet es für Kunstliebhaber von St. Moritz bis Sent eine Fülle von Galerien und Museen.

Natürlich ist es einerlei, wo man im Engadin steht: Das unvergleichliche Licht, das schon so manchen Dichter, Schriftsteller und vor allem Künstler in das Hochtal gelockt hat, ist fast überall gleich. Und doch gibt es weisse Flecke auf der Landkarte, die bis anhin verschmäht wurden. Das Dorf Susch am Fuss des Flüelapasses zum Beispiel. Bekannt ist der Ort höchstens wegen seiner Burn-out-Klinik – oder weil man im Stau steht vor dem nahegelegenen Vereina-Tunnel. Genau dort, an diesem schattigen Punkt im Niemandsland zwischen St. Moritz und Scuol, hat eine polnische Milliardärin nun einen Kunstort geschaffen, der seinesgleichen sucht. Grazyna Kulczyk heisst sie, ist eine leidenschaftliche Kunstsammlerin zeitgenössischer polnischer und mitteleuropäischer Kunst und will mit ihrem Museum für Gegenwartskunst die Welt nach Susch holen.

Dazu erwarb sie ein Ensemble aus Pfarrhaus, Empfangs- und Wirtschaftshäusern sowie einer ehemaligen Brauerei, die zu einem Kloster aus dem 12. Jahrhundert gehörte. Für das Muzeum (die polnische Schreibweise von Museum) haben die Architekten Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy die existierenden Strukturen behutsam restauriert und mit neuen Anbauten kombiniert, so dass in dem verwinkelten Gebäude 26 Räume mit einer Fläche von 1500 Quadratmetern entstanden. Darin werden neben einer permanenten Ausstellung zwei Wechselausstellungen pro Jahr gezeigt, dazu auch Forschung und Debattier-Veranstaltungen über Kunst betrieben.

Insbesondere die Installationen, die ortsspezifisch von den Künstlern geschaffen wurden, überzeugen wie etwa Sara Masügers Installation «Inn Reverse», die mit skulpturalen Formen die natürlichen Felsformationen des Engadins widerspiegeln soll. Oder Miroslaw Balkas glänzender, sich langsam drehender Stahlzylinder, der sich in einer natürlichen Grotte befindet. Spektakulär ist die schwarze Metallskulptur von Monika Sosnowska, eine massive, dekonstruierte Treppe, die fast eine Tonne wiegt und 14 Meter hoch über alle vier Stockwerke des Museums reicht. Und manchmal ist das Kunstobjekt schlicht die Natur, wie etwa im Raum mit der Quelle, die meditativ über den Felsen tropft.

«Die Dichte an Kunst ist im Engadin einzigartig»

Künstler und Kunstliebhaber jubeln bereits. Wie etwa Rolf Sachs, der in St. Moritz wohnt und in einem Interview in der «NZZ am Sonntag» meinte: «Die Dichte an Kunst ist im Engadin einzigartig.» Nun sei mit dem Muzeum eine Achse entstanden, die von St. Moritz bis Scuol führe.

In der Tat verbindet Susch die Kunst-Hotspots im Ober- mit denjenigen im Unterengadin. Als Magnet dient internationalen Kunstfreunden immer noch St. Moritz, wo sich neben dem Segantini-Museum (mit seinem beeindruckenden Tryptichon) in den letzten Jahren eine Handvoll illustrer Galerien angesiedelt haben – angefangen bei Carsten Greve und Andrea Caratsch bis zu Künstlersohn Vito Schnabel. Seit diesem Winter sind auch Hauser & Wirth in St. Moritz vertreten. Weiter unten im Tal lockt in Madulain die Kunsthalle «La Stalla». Nur einen Sprung ist es von dort nach Zuoz, das mit seinen zahlreichen Galerien die wohl grösste Kunstdichte im Tal aufweist. Darunter stechen die Galerie Tschudi in der Chesa Madalena gleich am Dorfplatz hervor sowie die Galerie von Monica de Cardenas. In S-chanf hat sich der Basler Stefan von Bartha eine Dependance eingerichtet.

Wer vom Muzeum in Susch Richtung Osten fährt, wird auch im Unterengadin auf seine Kosten kommen. In den vergangenen Jahren hat sich in dieser Ecke der Schweiz in Sachen Kunst einiges getan. Der international bekannte Künstler und Lokalmatador Not Vital hat vor zwei Jahren das Schloss Tarasp erworben und lässt es derzeit sorgfältig umbauen. Neben eigenen Werken und solchen aus seiner persönlichen Sammlung veranstaltet er auch Wechselausstellungen, vornehmlich von befreundeten Künstlern.

Ganz in der Nähe, im ehemaligen Badehaus des Kurhotels Scuol, liegt die Fundaziun Nairs, ein Kulturort erster Güte. Als ein Kompetenzzentrum für Kunst und Kultur bezeichnet Christof Rösch, künstlerischer Leiter und Kurator, den Ort. Dank der vor rund zwei Jahren erfolgten Renovation werden hier nicht nur Wechselausstellungen und Tagungen im Bereich der Kunst und Architektur durchgeführt, in den ehemaligen Badestuben und Ruheräumen können 30 Kunstschaffende beherbergt werden.

Noch mehr Not Vital bekommt der, der seinen «Parkin Not dal Mot» besucht (nur in den Sommermonaten geöffnet). Der weitläufige, wilde Park eingangs von Sent birgt eine ganze Fülle seiner Kunstobjekte, wie etwa die Eselsbrücke oder die fliegende Bühne, das Glashaus oder der behaarte Turm. Ein anderer Schweizer Künstler erhält ebenfalls in Sent eine grosse Bühne: Alberto Giacometti. Im Keller der Pensiun «Aldier» zeigt Hotelier und Kunstliebhaber Carlos Gross seine einzigartige Grafiksammlung des Künstlers aus dem Bergell. Womit der Bogen zum anderen Ende des Engadins wieder geschlagen wäre.

Wo Kunstfreunde nächtigen

Ein Hotspot für Kunstliebhaber ist das Hotel Castell in Zuoz der Sammlerfamilie Bechtler. An der Pipilotti Rist-Bar genehmigt man sich einen Absacker, im Saal diniert man unter einer Installation von Gerad Steiner und Jörg Lenzlinger. Draussen verweilt man im Skyspace von James Turrell oder meditiert auf der Konstruktion von Tadashi Kawamata. www.hotelcastell.ch

Das Gasthaus Krone in La Punt ist nicht nur ein einladendes Hotel, sondern auch ein kleines Kunsthaus. Beeindruckend sind die grossflächigen Werke von Not Vital im Gang im Parterre. Auch in den Zimmern stösst man auf die Werke des Künstlers. In den Speiseräumen hängen alte Original-Plakate und in der Steiner-Stuba Originalfotos des Engadiner Fotografen Albert Steiner. www.krone-la-punt.ch

Bloss von einem Hotel zu sprechen wäre im Falle der Villa Flor in S-chanf eine Untertreibung. Im mit kosmopolitischem Flair eingerichtete Haus trifft man überall auf Werke zeitgenössischer Künstler wie Beat Zoderer, Florio Puenter oder Julian Schnabel. Die Villa Flor versteht sich als Begegnungsraum für Künstler und Kunstinteressierte. So kann es gut sein, dass man sich abends im Salon neben Richard Long oder Stefan Balkenhol einen Drink genehmigt. www.villaflor.ch

Kultur Pur: Unter diesem Motto bietet alpinelodging.ch aus Pontresina für ihre Gäste ein Package an, das an vier Tagen zu den wichtigsten Kunstorten zwischen dem Bergell und dem Unterengadin führt (u.a. im Muzeum Susch, Parkin Sent, Segantini Museum St. Moritz, Atelier Giacometti Stampa). Es können auch einzelne Tage gebucht werden. www.alpinelogding.ch

Lohnenswert ist in diesem Sommer auch ein Stopp im Hotel Waldhaus in Sils Maria, das seinen 111. Geburtstag feiert. «Wir schenken uns und Ihnen zu Beginn unseres Geburtstagsjahres im Juni ein kleines, ausgesuchtes Kulturfest mit vielfältigen Anlässen unterschiedlichster Couleur», sagt Waldhaus-Kulturchef und Mitbesitzer Felix Dietrich. Unter anderem gibts ein Theater mit Christof Marthaler and Friends, eine Zaubershow mit den Magier-Weltmeistern Wolfram und Gernot Bohnenberger, Konzerte mit «Las Lodolas» und «Incantanti», die Nachwuchsschauspieler vom Jungen Theater Graubünden und von der Shakespeare Company Zuoz, Arthur Godel lädt den Korrespondenten Bernard Imhasly zum Gespräch über Indien und zum Abschluss bringt Manfred Ferrari noch einmal das Musiktheater «Novecento» auf die Bühne. www.waldhaus-sils.ch (das Jubiläumsprogramm dauert bis am 30. Juni 2019)

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