Future

Trendforscherin Anja Kirig beschäftigt sich mit der Tourismus- und Freizeitkultur. Bild: PD

«So kann der Tourismus in Zukunft eine neue Qualität erreichen»

Trend- und Zukunftsexpertin Anja Kirig sagt, was Resonanz-Tourismus ist und spricht von einer veränderten Reisemotivation.

Frau Kirig, jüngst tauchte vermehrt der Begriff Resonanz-Tourismus auf. Was ist darunter zu verstehen?

Anja Kirig: Eine neue Sehnsucht nach Wachstum, treibt die Reisenden von heute an. In der Vergangenheit führten vor allem die Anzahl der Sonnenstunden, die Sehenswürdigkeiten einer Destination oder ein besonders guter Rundum-Service die Liste der Reisemotivationen an. Eine immer wichtiger werdende Reisemotivation ist das Erleben von Momenten, die die Menschen persönlich wachsen lassen und die ihnen nachhaltig in Erinnerung bleiben. Das verwundert auch nicht: Die zunehmende Schnelllebigkeit und Digitalisierung unserer Gesellschaft führt dazu, dass der Wunsch nach ungefilterter Authentizität, ehrlicher Herzlichkeit und menschlichem Austausch stärker wird. Menschen suchen auch auf ihren Reisen nach Verbundenheit. Sie möchten in Resonanz zu den Menschen vor Ort und zur Natur gehen.

Wie schauen Resonanzerfahrungen aus?

Resonante Beziehungserfahrungen können je nach Individualität auf unterschiedliche Weise entstehen und für jeden eine andere Bedeutung haben: Für die einen ist es Tierbeobachtung bei einer Safari oder Dschungeltour, die zu einer Verbundenheit mit der Natur führt. Für Musikliebhaber ist es vielleicht, den Festival- oder Konzertbesuch-Besuch in einen Urlaub im Ausland einzubetten und sich als Teil einer Fangemeinde zu fühlen oder auch eine Begegnung des kulturellen Austauschs zu erfahren. Für wieder jemand anderen können Resonanzerfahrungen auch während des klassischen Strandurlaubs passieren. Sei es durch eine Begegnung mit dem warmen Sand, Geschmackserlebnissen der lokalen Küche oder der Gastfreundschaft. Resonanzmomente sind sehr persönlich, vielschichtig und nicht immer planbar.

Das bedeutet, Resonanz-Tourismus ändert die Motivation der Reisenden, weg von Pauschalreisen hin zu achtsamen Reisen?

Zum Teil, ja. Wir sehen, dass die Menschen nicht mehr nur an Orte reisen, weil man dort gewesen sein muss oder weil die Destination Entspannung verspricht. Diese Reisemotivationen sind zwar immer noch bei vielen erkennbar, aber es gibt eben heute auch vermehrt Reisende, die vor allem auch ihre Sehnsucht nach innerem Wachstum stillen möchten. Resonante Erfahrungen können dabei die Reisebiografien der Menschen prägen und inneres Wachstum in Form von Entwicklung und Selbstveränderung fördern, also jene Momente, die eine Erfahrung für eine Person sehr individuell und transformativ werden lassen. Dies kann sich zwischen Menschen entwickeln, in Kontakt mit Natur oder Kultur oder eben auch durch Resonanz mit einem Thema, Spiritualität oder Geschichte.

«Aus unserer Spass- und Erlebnisgesellschaft wird eine Erfahrungsgesellschaft.»

Worin liegt die Entstehung dieses Trends begründet?

Eine Studie des Zukunftsinstituts hat gezeigt, dass sich die Entwicklung des Trends Resonanz-Tourismus schon seit längerem vollzieht und sich dabei durch sämtliche Gesellschaftsschichten hindurch zieht. Es handelt sich also nicht nur um eine Bewegung innerhalb des Luxussegments. Viele Menschen schaffen ihre resonanten Momente im Urlaub, indem sie zum Beispiel Campen oder Wandern gehen oder zum Beispiel Übernachtungen in familiengeführten kleineren Pensionen oder Apartments buchen anstatt in Luxushotels. Ich bin der festen Überzeugung, viele Menschen suchen in ihrer Auszeit nach solchen Urlaubsmöglichkeiten und Resonanzerfahrungen, ohne dass sie sich tatsächlich bewusst darüber sind.

Aus unserer Spass- und Erlebnisgesellschaft wird eine Erfahrungsgesellschaft. Das bedeutet, dass es gerade auf Reisen nicht länger um ein kurzfristiges Erlebnis geht, sondern um anhaltende Erfahrungen. Und das betrifft Menschen unabhängig von Herkunft, Alter, Kontostand. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt. Da Reisen über einen längeren Zeitraum nicht möglich war, machten sich viele Menschen Gedanken darüber, was sie von ihrer Auszeit, wenn Reisen wieder möglich ist, eigentlich erwarten.

Welche Bedeutung besitzt dieser Trend für Unternehmen der Tourismusbranche?

Für Tourismusakteure geht es vor allem darum, dass durch den Trend des Resonanz-Tourismus die Nachfrage von Produkten und Dienstleistungen durch die nach Lebens- und Resonanzräumen überlagert wird. Entscheidend ist demnach, sich nicht nur noch auf das eigene Angebot und die Touristen konzentrieren, sondern auf das Reiseerlebnis insgesamt und die Lebensqualität aller Menschen vor Ort – einschliesslich der eigenen Mitarbeiter. Es gilt die klaren Angebotspunkte eines Reiseorts und einer Unterkunft nicht mehr nur noch als Vorteile zu verkaufen, sondern zu hinterfragen, wie ein Ort so gestaltet werden kann, dass Resonanz möglich wird und Reisende darüber nachhaltig prägen kann. Auf diese Weise kann der Tourismus in Zukunft eine neue Qualität erreichen, als wertvoller Erlebnis- und Begegnungsraum, der Lebensqualität bietet - und sich gleichzeitig vom Tourismus, wie wir ihn kennen, lösen.

Evaneos zum Beispiel setzt sich für einen verantwortungsvolleren Tourismus ein: Ohne die negativen Auswirkungen zu ignorieren, konzentriert sich der französische Anbieter auf die positiven Effekte – vor allem auf die lokale Wirtschaft, indem er eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren ermöglicht. Die Reisenden werden direkt mit ihren lokalen Reisen-Experten in Kontakt gebracht und erfahren so ungefilterte Resonanz. Die lokalen Reiseagenten kennen nicht nur Pfade abseits des Massentourismus in einem Land, sie können die Reisenden auch direkten Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung bringen, zum Beispiel indem sie Kochkurse bei einheimischen Familien vermitteln. Es entsteht eine ganz neue Möglichkeit für die Reisenden Gespräche zu führen und Empfehlungen wirken zu lassen.

Wie beeinflusst der Trend den Massentourismus?

Auch der Massentourismus wird sich auf lange Sicht an die neu gewichteten Bedürfnisse der Reisenden anpassen. Massentourismus wird nicht von heute auf morgen verschwinden, das ist klar. Aber der Trend des Resonanz-Tourismus wird Massentourismus verändern. Tourismus-Konzepte, wie wir sie aktuell kennen und für «normal» halten, werden sich ändern. Genauso wie sich touristische Konzepte in den vergangenen Jahrzehnten und auch Jahrhunderten schon immer an gesellschaftliche Bedürfnisse und Strukturen angepasst haben.

(TN)