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Gut gefüllter Seccheto-Strand in Marina di Campo auf Elba. Bild: Adobe Stock

Einwurf Vom Schweine-Gesetz in der Tourismuswelt

Vanessa Bay

Zurück vom gut besuchten Elba-Strand und von Gesprächen mit lokalen Touristikern, die sich noch mehr Gäste gewünscht hätten, fragt sich Vanessa Bay: Ist mehr wirklich mehr? 

Das Schweine-Gesetz, habe ich mal in einem Buch gelesen, besagt: «Wenn etwas gut ist, ist mehr vom selben besser.» Ich will den Schweinen ja nicht dreinreden – aber für uns gilt dieses Gesetz so gut wie nie. Beim Essen und Trinken wissen wir das alle, auch wenn wir es immer mal wieder temporär vergessen. Und auch sonst kommt mir nichts in den Sinn, für das das Schweine-Gesetz gelten würde. Nicht mal fürs Ständig-der-Gesundheit-Nachrennen – das kann nämlich ganz schön krank machen.

Ich war soeben in den Ferien – als «heavy Repeater» einmal mehr auf der Insel Elba – und mir schien, die Insel sei touristisch schon mehr als gut bevölkert. Für mein subjektives Empfinden so voll wie zu den touristisch besten Jahren vor der Pandemie. Ich hätte es locker mit weniger Gesinnungsgenossen ausgehalten. Das sehen die Touristik-Freunde, die ich dort traf, aber ganz anders. Vom Hotelier über den Campingplatzbetreiber bis zum Mietwagenvermieter: Ihrer Meinung nach sei heuer viel zu wenig los. Und man müsse sich überlegen, wie man dies ändern und die Frequenzen weiter steigern könne.

Wahrscheinlich kennen sie das Schweine-Gesetz nicht, aber sie scheinen daran zu glauben … Gerade beim Tourismus, davon bin ich felsenfest überzeugt, gilt das Gesetz absolut nicht. Im Gegenteil: Hier gilt das Wein-Gesetz, das inzwischen sogar die hiesigen Weinbauern kennen: Nur Mengenbeschränkung ergibt Qualität! Bei gewissen Touristikzielen wird so etwas zwar bereits praktiziert, aber fast ausschliesslich dann, wenn ein zu grosser Besucherandrang beispielsweise antike Sehenswürdigkeiten zu schädigen droht. Oder denken wir an Venedig und die Kreuzfahrtschiffe. Das wird dann in der Regel staatlich verordnet – also nicht von jemandem freiwillig gemacht, der damit auch auf Umsatz verzichten müsste.

Wie bei Goldlöckchen

Es ist jedoch nicht wie im Märchen von Goldlöckchen, wo die Dinge immer genau richtig sein müssen: nicht zu heiss der Brei, nicht zu kalt; nicht zu hart das Bett, nicht zu weich. Man wird im Tourismus nie objektiv wissen können, genau so und so viele Besucher sind für eine Destination oder eine Sehenswürdigkeit optimal. Oder eben «goldrichtig». Und wer wäre dabei überhaupt Goldlöckchen, das immer weiss, was genau richtig ist?

Gleichzeitig wird aber auch niemand bestreiten wollen, dass manchmal zu viel zu viel ist. Mindestens aus der Sicht der Reisenden und Touristen – vielleicht aber eben nie aus der Sicht der Umsatzverantwortlichen. Nur denkt zu kurz, wer meint, jeder Umsatz-Franken mehr sei per se besser. So wie Mengenbeschränkung besseren – aber eben weniger! – Wein ergibt, folgt daraus noch keineswegs Umsatzeinbusse. Denn besserer Wein kann teurer verkauft werden.

Man stelle sich vor, man wüsste schon vor der gebuchten Reise: Unsere Feriendestination wird nicht unangenehm überlaufen sein. Die dortigen Touristik-Verantwortlichen garantieren das. Welch ein Paradies für Reisende. Natürlich ist es nicht trivial, wie das technisch-organisatorisch zu bewältigen wäre. Aber darum geht es mir hier nicht. Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Punkt.

Strategie der Mengenbeschränkung

Aber dieser Wille, der ist eben das Problem. Eine Strategie der Mengenbeschränkung müsste im Kopf beginnen. Touristikverantwortliche müssten für ihren Verantwortungsbereich ein (ganz und gar subjektives!) Goldlöckchen-Empfinden haben: Wie viel ist bei uns genau richtig? Erst dann kommt die Frage der praktischen Umsetzung.

Natürlich müsste das nicht nur breit kommuniziert, sondern gleichzeitig marketing- und medienmässig ausgeschlachtet werden. «Wir bedauern, wenn Sie in dieser Saison keinen Platz mehr bei uns gekriegt haben. Aber freuen Sie sich auf ein nächstes Mal: Wenn es dann klappt, werden Sie mit touristisch angenehmen, niemals überlaufenen Ferientagen, rechnen können.»

Oder finden Sie die heutige Laisser-faire-Strategie besser, bei der so gnadenlos auf Wachstum gesetzt wird, bis es sich so weit herumspricht, dass es den Touristen selbst reicht – und sie ausbleiben. Die Destination ist nicht mehr in, heisst es dann … Wie konnte das bloss geschehen?

Die gute Nachricht lautet, einigermassen abgegrenzte Reisedestinationen könnten – völlig unabhängig davon, was andere tun – mit so einer Goldlöckchen-Strategie anfangen und sich damit einen herausragenden Namen machen. Die schlechte Nachricht lautet, dafür müssten sich die jeweiligen unabhängigen Umsatzverantwortlichen einer solchen Region miteinander absprechen und einigen: Für uns in XY sind so und so viele Reisende genau richtig. Mehr wäre nicht besser. Vielleicht sollte man dafür einen Goldlöckchen-Award vergeben.