Future

Politexperte Erich Gysling (Mitte) und ST-Direktor Martin Nydegger (rechts) analysieren auf dem Podium des Hospitality Summit präzise das aktuelle Welt- und Tourismusgeschehen, auf Fragen von Moderator Roman Mezzasalma. Aller Bilder: TN

So will die Tourismusbranche aus der Krise finden

Am Hospitality Summit in der Halle 550 in Zürich-Oerlikon trafen sich gestern über 1000 Touristiker – das inhaltliche Highlight am ersten Summit-Tag setzten Politexperte Erich Gysling und Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger mit einem vertieften Blick auf die aktuellen Krisenherde.

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg – und jetzt, wie weiter? Der zweite Hospitality Summit in Zürich Oerlikon wirft die grossen Fragen auf. Über 1000 Touristiker folgten gestern am ersten Tag des zweitägigen Summits in der Halle 550 zahlreichen interessanten Experten-Voten und Diskussionen. Den Anfang bestritt Andreas Züllig, Präsident der Hotelleriesuisse, der Organisatorin des Summits.

Es gelte, dem Wandel offen, proaktiv und mit Mut entgegenzutreten, lautete seine Grussbotschaft an die versammelten Touristikerinnen und Touristiker, man müsse jetzt Möglichkeiten eruieren, um den Gästen der Zukunft auf bisher ungeahnte Art und Weise zu begegnen. Dazu forderte Züllig auf, Mittel und Wege zu finden, um Fach- und Führungskräfte von morgen wieder für die schönste Branche der Welt zu begeistern.

Denn bei der Personalknappheit drückt der Schuh. Nach zweijähriger Pandemie und dem diesjährigen Kriegsschock in Europa ist die Tourismusindustrie durchgeschüttelt, auch die Schweizer Hotellerie. Die Umwerfungen und Unsicherheiten haben viele Fachkräfte in die Flucht geschlagen. Umso mehr versucht sich nun die Hospitality-Branche neu zu finden und formieren. Doch sind wir denn überhaupt aus dem Gröbsten heraus? Dazu äusserten sich sehr präzise Politbeobachter und Reiseunternehmer Erich Gysling sowie Schweizer-Tourismus-Direktor Martin Nydegger, befragt von Moderator Roman Mezzasalma.

Erich Gysling, im Alter von bald 86 Jahren weiterhin Reiseleiter bei Background Tours und beneidenswert klar in seinen Aussagen und Analysen, beantwortet die schwierige Frage, wie lange denn nun noch der Ukraine-Krieg dauern dürfte: «Ich schätze, wir sind am Ende des ersten Drittels des Ukraine-Kriegs angekommen», so Gysling. «Im zweiten Drittel werden die Ukrainer versuchen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Ich habe aber meine grossen Zweifel, ob ihnen das gelingen wird. Im letzten Drittel werden wir sehen, ob es zu einem Gleichstand der Kräfte und zu einem Kompromiss kommt.» Er sehe jedenfalls kaum eine Möglichkeit, dass dieser Krieg vor Ende des Jahres zu Ende gehen werde. Und leider ist Gysling nicht optimistisch bezüglich dem Weltfrieden: «Ich rechne nach dem Ukraine-Krieg mit Krisen in Taiwan und Iran.»

«In Westeuropa sind wir nur marginal betroffen von einem Einbruch der Reiseströme.»

Was heisse dies nun für den internationalen Tourismus, welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf die weltweiten Reiseströme? Dazu sagt Martin Nydegger: «Zu Beginn am 24. Februar gab es einen unmittelbaren Reflex und die Buchungen sind eingebrochen, nach zwei, drei Wochen stabilisierte sich die Situation. Wir befürchteten zunächst, dass in den Fernmärkten der Krieg so verstanden wird, dass ganz Europa brenne, das ist aber nicht eingetroffen. In Westeuropa sind wir jetzt nur marginal direkt betroffen von einem Einbruch der Reiseströme, indirekt indes schon, etwa durch Lieferengpässe und Preissteigerungen.»

Die Amerikaner sind zurück? «Es treffen da historisch nicht nachvollziehbare Ereignisse zusammen», sagt der ST-Direktor dazu. «Wir stellen nach zweijährigem Zuhausebleiben einen riesigen Nachholeffekt dem Reisen gegenüber fest, insbesondere in den USA. Und die transparente Berichterstattung über den Ukraine-Krieg hilft zu verstehen, dass Westeuropa nicht mitten drin steht. Der Krieg lässt sich jedenfalls viel besser einschätzen, als dies noch bei der Corona-Krise der Fall war.»

Auf den russischen Markt angesprochen, sagt Nydegger: «Der Ausfall der russischen Gäste mit 350'000 Logiernächten macht rund zwei Prozent aus». Sie seien insofern auch wichtige Gäste, weil sie oft in der Nebensaison anreisen, im Januar und Herbst, und lange bleiben. «Aber wegen Russland wird die Balance im Schweizer Tourismus nicht durcheinandergewirbelt. Dank unseren 33 weltweiten Niederlassungen können wir unsere Eier in ganz verschiedene Körbe verteilen, dass wenn es mal rattert an einem Ort, nicht gleich das ganze Konstrukt zusammenfällt».

«Wir wollen nun einen klügeren Tourismus.»

Weiter erläutert Martin Nydegger, dass Schweiz Tourismus die Datenerhebung in den einzelnen Märkten während der Coronakrise weiter ausgebaut habe, um herauszufinden, welches Land für touristische Botschaften wieder empfänglich ist. «Für uns als Marketingorganisation ist der Buchungszeitraum zweitrangig. Erstrangig wollen wir wissen, wann sind die jeweiligen Zielgruppen wieder empfänglich für unsere touristische Botschaft.» Und dies sei aktuell ausser in Russland und China überall der Fall.

Für das Jahr 2022 prognostiziert Martin Nydegger ein leichtes Minus bei Schweizer Gästen, aber noch immer über dem Niveau von 2019. Bei den europäischen Märkten rechnet er mit einem Level von 85 Prozent gemessen am Rekordjahr 2019. Bei den Fernmärkt gebe es die West-Ost-Unterscheidung, Nord- und Südamerika boome, Golfstaaten und Indien ebenso, China sei noch nicht reisefähig. Er rechne auch künftig wieder mit 45 Prozent Schweizer Gästen, 35 Prozent europäischen Gästen und 20 Prozent Gästen aus Fernmärkten, wie vor der Corona-Krise.

Aktuell will nun Schweiz Tourismus hier punkten: bei der battle of attention, den Bemühungen die Aufmerksamkeit zu erhalten. Zweitens wolle Schweiz Tourismus Lehren aus der Pandemie ziehen, «wir wollen nun einen klügeren Tourismus, einen besseren Tourismus, der sich besser über die Schweiz verteilt, der sich besser über das Jahr verteilt und dass wir verstärkt die Nachfrage nach Nachhaltigkeit aufnehmen». Man sei als Branche klüger geworden und wolle diese Learnings umsetzen und Nydegger setzt dabei das Thema Nachhaltigkeit auf die Stufe der Qualitätsoffensive, die vor 20 Jahren umgesetzt wurde.

Weiter verweist Nydegger auf den gesteigerten ästhetischen Anspruch, angesichts der Preissteigerung, die die Schweiz erlebt wegen teurerer Fachkräfte und Rohstoffe. «Mit der Qualität sind wir gut dran, bei der Nachhaltigkeit haben wir mit Swisstainable eine Antwort, beim ästhetischen Anspruch, dass man in der Schweiz nicht nur draussen in der Natur schöne Ferien verbringt, sondern auch drinnen in den Hotels, können wir noch zulegen».

(GWA)