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Google Flights weist bei der Flugsuche die CO2-Belastung aus – und könnte so einen Branchenstandard schaffen. Bild: Adobe Stock

Kommentar Die Macht von Google Flights

Gregor Waser

Welcher Flug ist am günstigsten? Welcher hat den geringsten CO2-Ausstoss? Google Flights manövriert sich in eine immer zentralere Rolle bei der Flugsuche. Was das für Konsumenten, Reisebüros, GDS und Airlines heisst? Eine Auslegeordnung.

Wie oft am Tag nutzen Sie die Google-Suchmaschine? Drei Mal, zehn Mal, fünfzig Mal? Viele Konsumenten und Arbeitstätige haben fast schon eine Standleitung zu diesem immensen Google-Datenkessel. Auch bei der Flugsuche nimmt Google mit «Google Flights» eine immer bedeutendere Rolle ein – dank Benutzerfreundlichkeit, dem Zugriff auf jegliche Flugdaten und schnellen Antwortzeiten.

Man gebe in der Google-Suche «Flug Zürich London» ein oder per Sprachsuche «Ok Google», dann «Flug Zürich London», tippt oder spricht die gewünschten Reisedaten 25. Juni hin, 30. Juni zurück ein und sogleich tauchen auf dem Bildschirm die verfügbaren Flüge auf, aufgelistet nach dem tiefstem Preis, neuerdings auch mit der Ausweisung der CO-Emission pro Flug. Über diesen neuen Zusatz und wie es bei Google dazu kam, die CO2-Emissionen auszuweisen, darüber haben wir diese Woche berichtet.

Der British-Flug nach London ist 45 Franken teurer als jener mit der Swiss, stösst indes 18 Prozent mehr CO2-Emissionen aus, zeigt die Google-Flights-Abfrage.

Auf den ersten Blick ist das bloss eine Spielerei. Wer interessiert sich schon für CO2-Emissionen ... Fliegen bringt eine Umweltbelastung mit sich, Autofahren und Fleischessen aber auch, was soll's, Kopf runter und ab ans Reiseziel. Doch ist diese Mir-doch-egal-Haltung im Jahr 2022 wirklich noch in den Köpfen vieler Reisenden? Immer mehr Reisende und vor allem auch Firmen nehmen den CO2-Fussabdruck ernst und wollen so umweltschonend wie möglich ans Reiseziel, so sie überhaupt noch ins Flugzeug steigen. Pandemie und Ukraine-Krieg haben die Nachhaltigkeit aus den Schlagzeilen verdrängt, an der Erderwärmung hat sich aber nichts geändert.

Beim zweiten Blick wird klar: die Ausweisung der CO2-Emissionen auf Google Flights bietet nicht nur einen Service für umweltinteressierte Reisende, sondern birgt auch Veränderungspotenzial für diverse Player in der Flug- und Reiseindustrie, ob Airlines, GDS oder Reisebüros, auch angesichts jüngster Marktentwicklungen und Rahmenbedingungen.

Noch keine einheitlichen Standards

Zwar hat es bisher schon verschiedene Bemühungen gegeben, den CO2-Ausstoss pro Flug auszuweisen. Doch diese Daten basierten meist auf reinen Distanzvorgaben und fixer Umrechnung in CO2. Das Zürcher Google-Flights-Entwicklungsteam hat sich aber auf die Fahne geschrieben, jeden einzelnen Flug individuell zu betrachten und dabei geflogene Routen, Flugzeuttypen, Flugzeugklassen und die prognostizierte Auslastung in die Berechnung der CO2-Emission pro Passagier einfliessen zu lassen. Weil es verschiedene Bemühungen und keine einheitlichen Standards gab, konnten sich bisher gerade auch Travel Management Companies, also die Geschäftsreise-Büros, die das Reisen für Firmen und Grossfirmen abwickeln, hinter der Entschuldigung verstecken, so lange es keinen Standard gibt, verzichten wir auf die Ausweisung der Emissionen.

Seit letztem Herbst arbeitet nun Google mit der Travalyst Coalition zusammen, einer Initiative für umweltbewussteres Reisen, hinter welcher Reiseunternehmen wie Booking, CTrip, Skyscanner oder Tripadvisor stehen. Und der Kontakt mit den Airlines, um über Datenaustausch und mögliche Standards zu sprechen, hat sich intensiviert. Denn die Airlines beackern das Umwelthema mittlerweile sehr intensiv. Plötzlich wollen sie alle als grün gesehen werden, was wiederum mit Corsia zu tun hat, dem Regelwerk, das vorsieht, die CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2020 einzufrieren.

Airlines verwedeln Vergleichbarkeit

Es gilt noch eine zweite Rahmenbedingung nicht aus dem Auge zu verlieren: in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Airline-Industrie zunehmend versucht, direkt an den Kunden zu gelangen, die GDS (die gobalen Reservationssysteme) zu umgehen und den Reisebüros die Kommissionen zu streichen. Wie sie das unter anderem gemacht haben? Mit immer komplizierteren Tarifen und dazubuchbaren Einzelleistungen, um unter dem Strich die Vergleichbarkeit zu den Preisen der Mitbewerber zu verwedeln.

Dieses Bemühen der Airlines, direkt an den Endkunden zu gelangen, spielt wiederum Metasearchern wie Kayak, Momondo oder Skysanner oder eben auch Google Flights in die Karten. Denn sie versprechen eine grösstmögliche Vergleichbarkeit der verschiedenen Airline-Tarife, Google Flights zudem neu auch die Vergleichbarkeit der Umweltbelastung jedes einzelnen Fluges. Wie Google Flights bereits festgestellt hat: bewegen sich zwei Airline-Tarife auf ähnlichem Niveau, spricht sich die Konsumentin oder der Konsument für den grüneren Tarif aus. Wenn Google Flights nun die bessere User Experience als Momondo, Kayak & Co. bieten kann, dann landen die Leute früher oder später bei Google.

Google will nach wie vor keine Flüge direkt verkaufen, und somit das kommerzielle Geschäftsmodell ändern. Gerade mit der Aufnahme des CO2-Ausstosses in der Resultatliste der Flugsuche sieht sich Google klar als Technologieanbieter, der in der Lage ist, einen Defacto-Standard zu setzen. Allerdings ist und bleibt die Zusammenarbeit mit allen wichtigen Akteuren ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Der aktuelle Challenge für Google ist, das eigene, unumstössliche Gesetz, Suchergebnisse in Millisekunden zu präsentieren und gleichzeitig grosse Tarifabweichungen zwischen Suchresultat und effektiver Buchung zu vermeiden. Das Bemühen der Airlines, mit NDC und der dynamischen Preisgestaltung die Vergleichbarkeit zu erschweren, erhöht auch die Anforderung an schnelle Antwortzeiten. Herkömmliche Cachelösungen mit Zwischenspeicherung der Flugpreise funktionieren schlicht nicht mehr. Prädiktive Analytik und hohe Datenqualität werden zwingende Erfolgsfaktoren. Wenn Google diesen Challenge besser schafft als die Metasearcher, dann wird Google das Rennen gewinnen. Denn für den Konsumenten heisst das unter dem Strich: auf Google lassen sich die Tarife der Airlines und der OTA wie auch weiterer Anbieter perfekt nebeneinander vergleichen. Allerdings gilt diese Stärke vorerst mal für einfache Flugreisen. Bei komplexen Circle Trips sieht das noch anders aus.

Fluch und Segen

Für die Airlines stellt der zunehmend starke Player Google Flights sowohl Fluch wie Segen dar. Der Segen: Google übernimmt gerade die Entwicklungkosten für ein Umwelttool, das früher oder später jede Airline integrieren will oder muss. Der Fluch: alles was Vergleichbarkeit darstellt, hassen die Airlines. Wann immer Airlinetarif neben Airlinetarif aufgelistet wird, drückt das auf den Preis.

Und wie wohl die GDS rüber zu Google Flights blicken? Mit gemischten Gefühlen. Auch Sabre, Amadeus und Travelport möchten schon seit längerem CO2-Emissionen ausweisen. Doch weil es bisher zu viele Kalkulationstools gab, fehlte die Akzeptanz. Wenn nun aber ein neuer Branchenstandard von Google geschaffen wird, ist das nicht gut für die GDS als Tech-Provider der Reiseindustrie. Denn auch bei der Schaffung von NDC (New Distribution Capabilty, der Möglichkeit Zusatzverkäufe zu tätigen) standen die GDS im Abseits, die IATA und die Airlines entwickelten den Airline-Standard. Nun blüht den GDS die selbe Beobachterrolle bei der Entwicklung eines CO2-Emissionstools.

Für Reisebüros und Reiseveranstalter muss das alles nicht zwingend eine schlechte Entwicklung sein. Sie haben weiterhin die Möglichkeit bei der Kundenberatung alle Tools, ob Airline-Webseite, GDS, Metasuche, Google Flights oder weitere Reservationssysteme zu Hilfe zu ziehen. Ihre Trumpfkarte, die Übersicht über alle verfügbaren Tarife zu haben, gepaart mit der individuellen Beratung etwa bei Einreisebestimmungen, Reisetipps und der Verknüpfung weiterer Reisebausteine, hat weiterhin grossen Wert.

Nur hat das Reiseuniversum mit Google Flights jüngst einen immer stärkeren Player dazubekommen. Der bald schon das ganze Reisebusiness samt Buchbarkeit an sich reisst? Davon ist vorerst nicht auszugehen. Solange Google die Millionen und Milliarden mit Werbung anhäuft, solange diese Marketingmühle wie geschmiert läuft, wird Google sicher nicht ins Risiko gehen und die kommerzielle Transaktionauf auf sich nehmen, also Buchung, Zahlung, Ticketausstellung, Umbuchung und Refunds.