Flug

Wer sich nicht an die Anweisungen des Flugpersonals hält, muss mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Bild: Fotolia

Jetzt geht's den Hooligans der Lüfte an den Kragen

Jean-Claude Raemy

Es gibt zwar prozentual nicht mehr Vorfälle mit renitenten Passagieren als früher - absolut jedoch schon. Die steigende Anzahl Vorfälle führt nun zu Überlegungen über verschärfte Massnahmen gegen solche Passagiere. Wir haben uns mit SWISS zu diesem Thema unterhalten.

Jeden Freitag publiziert Travelnews kuriose Geschichten, welche sich unter der Woche in der globalen Reisewelt abgespielt haben – nicht selten sind darunter Vorfälle mit auffälligen, bisweilen gar «renitenten» Flugpassagieren. Auch in anderen Medien liest man immer wieder Geschichten über trötzelnde, prügelnde, respektlose und widerspenstige Passagiere. Ist das Problem wirklich grösser als früher?

Der Luftfahrt-Dachverband IATA hat für 2016 eine Verringerung der weltweiten Fälle registriert: Damals gab es einen gemeldeten Vorfall pro 1424 Flügen; im Vorjahr hatte es noch einen Vorfall pro 1205 Flügen gegeben. Das meiste davon waren zudem «Level 1»-Vorfälle, also verbale Auseinandersetzungen, die sich deeskalieren liessen und keine Änderungen am Flugbetrieb zur Folge hatten. Ein Drittel der Vorfälle war auf Alkohol- oder Drogeneinfluss zurückzuführen.

An sich sind das gute Nachrichten. Doch es gibt eine schlechte Seite dazu: Obwohl die Gesamtzahl der Vorfälle abgenommen hat, hat die Zahl der «Level 2»-Vorfälle zugenommen. Dabei geht es um tätliche Auseinandersetzungen, obszönes Verhalten, Bedrohung, Belästigung und verbotene Manipulation an Sicherheitseinrichtungen im Flugzeug. Oder mit anderen Worten: Die Schwere der Vorfälle hat zugenommen.

SWISS setzt auf gut geschultes Personal

Wie sieht es bei unserer SWISS aus? Detaillierte Zahlen zu renitenten Passagieren werden grundsätzlich zwar nicht kommuniziert. Sprecherin Karin Müller lässt allerdings wissen, dass die Anzahl renitenter Passagiere im Verhältnis zu den transportierten Passagieren an Bord (hochgerechnet auf 100‘000 Passagiere) in den letzten Jahren tendenziell gestiegen, im Vergleich zu 2016 jedoch 2017 minim gesunken sei. Die Erhöhung der Fälle in den vorangegangenen Jahren führt Müller auf die Zunahme der Passagierzahlen zurück. Bei aktuell fast 17 Millionen Passagieren sei die Anzahl Vorfälle jedoch «extrem gering». Dies führt sie vor allem auf die verstärkte Sensibilisierung des eigenen Boden- und Kabinenpersonals zurück.

Trotzdem: Auch bei SWISS kommen natürlich solche Fälle vor. Alkohol-, Drogen oder Medikamentenkonsum sind auch bei SWISS bei weitem die grösste Ursache für renitente Passagiere an Bord, gefolgt von missachteten Sicherheitsbestimmungen und verbalen Entgleisungen gegenüber dem Kabinenpersonal. Einen Trend will Sprecherin Karin Müller aber nicht erkennen – heute seien die Airlines und deren Crews mehr auf das Thema sensibilisiert, es gebe ein strikteres Reporting, so dass eben auch relativ glimpfliche Vorfälle wie verbale Auseinandersetzungen rapportiert werden und so die Vorfallzahlen in die Höhe schrauben, ohne dass die eigentliche Flugsicherheit wirklich mehr als früher gelitten hat.

Trotzdem wird das eigene Personal speziell für solche Fälle geschult, denn Sicherheit hat oberste Priorität und jegliche Gefährdung des Luftverkehrs muss unter allen Umständen verhindert werden. «SWISS trainiert und sensibilisiert sowohl das Kabinen- als auch das Bodenpersonal darauf, auffällige Passagiere bereits am Boden zu identifizieren», erklärt Müller. Zur umfassenden Ausbildung gehört, unterschiedliche Situationen situativ zu beurteilen und zuerst zu deeskalieren sowie auch Folgemassnahmen aufzugleisen, sollte die Deeskalation nicht gelingen. Details zu den Trainings werden nicht bekannt gegeben. Klar ist nur, wie im Ernstfall vorgegangen wird: Zuerst suchen die Besatzungsmitglieder das Gespräch mit dem Fluggast. Sollte dieser sein Verhalten nicht ändern, kann eine mündliche Verwarnung ausgesprochen werden. Die nächste Stufe wäre eine schriftliche Verwarnung und im äussersten Fall würde der Fluggast bei Ankunft am Zielort den Behörden übergeben. «Das absolute Weisungs- und Entscheidungsrecht liegt beim Kapitän», hält Müller fest.

Renitent sein kann richtig teuer werden

Weitere vorbeugende Massnahmen als die Personalschulung lassen sich kaum treffen. Abschreckend können allenfalls die Folgekosten für verhaltensauffällige Passagiere wirken: Wer an Bord einen Schaden verursacht, wird von der SWISS direkt zur Kasse gebeten. Und das kann in Flugzeug schnell richtig teuer werden. Komplizierter wird es, wenn externe Behörden, also die jeweils lokale Polizei, eingreifen muss: «SWISS hat in verschiedenen Fällen Anzeige bei den zuständigen Behörden eingereicht», bestätigt Müller, «bislang haben sich die finanziellen Schäden im Rahmen gehalten und die lokalen Behörden hatten den Verursachern die verfügbaren finanziellen Mittel bereits abgenommen, um Bussen und Verfahrenskosten zu decken. Im Falle von ausserplanmässigen Landungen wird ein Rückgriff auf den Verursacher im Einzelnen geprüft.» Sprich: Bei einer wegen einem «unruly passenger» verursachten Zwischenlandung in einem fremden Land kommt zunächst mal die dortige lokale Gesetzgebung zum Tragen; die Airline kann versuchen, rechtlich gegen den Passagier vorzugehen und für die (enormen) Kosten der Zwischenlandung aufkommen zu lassen, doch gibt es da zum Teil grosse Diskrepanzen.

Die IATA hat bereits 2014 versucht, die ursprünglich in der «Tokyo Convention 1963» (TC63) festgehaltenen Regeln im Umgang mit Vergehen an Bord zu modernisieren und daraus mit der UNO-Sonderorganisation ICAO (International Civil Aviation Organisation) das «Montreal Protocol 2014» (MP14) kreiert. Dieses gibt dem Land, wo eine Notlandung stattfindet, juristische Hoheit in Fällen, wo davor nur das Land entscheiden konnte, in welchem das Flugzeug bzw. die Airline registriert ist. Da wäre in gewissen schweren Fällen eine Todesstrafe denkbar gewesen. Vor allem aber verstärkt MP14 das Recht der Airlines, beim Passagier selber Entschädigungen anzufordern.

Das Problem: Bislang haben lediglich 31 Staaten weltweit MP14 unterzeichnet, 12 weitere sind «im Prinzip» dabei. Das Ziel wäre, «unruly passengers» in jedem (schweren) Fall vor Gericht zu ziehen – was heute offenbar aufgrund der hohen Verfahrenskosten und den tiefen zu erwartenden Entschädigungen noch selten der Fall sei. Die ICAO will bis Ende 2018 eine neue Anleitung für Staaten hierzu publizieren.

Härtere Abschreckungsmassnahmen in Ausarbeitung

Nicht alle Staaten warten dies ab, um dem Problem Herr zu werden. Obwohl wie gesagt prozentual solche Vorfälle nicht zunehmen, nehmen sie aufgrund viel mehr fliegender Passagiere eben absolut doch deutlich zu und werden auch stärker als früher mediatisiert, nicht zuletzt in sozialen Medien, weil andere Passagiere bei einem Vorfall gleich ihr Handy zücken und alles dokumentieren.

Russland zum Beispiel hat angekündigt, dass Bussen für «unruly passengers» massiv erhöht werden. Wer zum Beispiel künftig die Anweisungen des Captains missachtet, wird mit 40‘000 Rubel bestraft, was zehn Mal so hoch wie bisher ist. Schwere Zwischenfälle können unter dem neuen, noch zu genehmigenden Gesetz mit Gefängnisstrafe von bis zu 15 Tagen bestraft werden. Russland stellt sich auf den Standpunkt, dass man das Problem der «Hooligans der Lüfte» nicht einfach hinnehmen könne.

Indien führte seinerseits eine nationale «No-Fly-List» ein, auf Wunsch indischer Airlines. Diese hatten eine solche schon länger verlangt, das Fass brachte dann ein Minister zum Überlaufen, der eine Mitarbeiterin von Air India mit seinen Sandalen schlug, weil sie ihm keinen Business-Platz zuwies – nota bene auf einem reinen Economy-Flug... Laut indischen Medien zeigt die öffentliche Liste (wo aktuell allerdings erst wenige Namen zu finden sind) bereits Wirkung.

Wie macht es die SWISS? Eine No-Fly-Liste nach indischem Modell gebe es nicht, erklärt Müller. Allerdings sei es auch schon vorgekommen, dass Personen auf eine interne Liste kamen, nach welcher es ihnen für einen gewissen Zeitraum nicht mehr möglich war, bei SWISS zu buchen. Abschliessend hält Müller fest, dass trotz dem Umstand, dass das Problem eher selten ist, man bei SWISS offen sei für mögliche Verschärfungen der Gesetze. Bis dahin baue man auf eigene, klar definierte Prozesse, welche sich bewährt haben: «Die Nachbearbeitung eines Unruly-Falles ist breit abgestützt und erfolgt intern unter Einbezug aller relevanten Stellen, sowie extern in guter Zusammenarbeit mit der Polizei und den Behörden. Sämtliche Fälle werden zudem dem BAZL gemeldet und wir behalten uns in schwerwiegenden Fällen vor, Anzeige zu erstatten und zu veranlassen, dass die Person für eine gewisse Zeit nicht mehr die Möglichkeit hat, Flüge mit uns zu buchen. Des Weiteren beobachten wir die Situation kontinuierlich und stehen im engen Austausch mit den offiziellen Stellen.»

Merke: Wegen exzessivem Konsum von Rauschmitteln inklusive Alkohol oder aufgrund eines übertriebenen Gefühls von Anspruchsberechtigung in einem Flugzeug Radau zu machen, lohnt sich nie: Sie werden teuer dafür bezahlen und öffentlich, in Medien und im Internet, an den Pranger gestellt. Zuvorkommenheit lohnt sich in jedem Fall.