Flug

Ein Lokführer im Cockpit: Hans-Jörg Baumann (hinten) erhält vor Abflug ein paar Erklärungen von Captain Philipp Ehrensperger, derweil Co-Pilot Patrick Witten einige Instrumente prüft. Alle Bilder: TN

«Es gibt keinen Job mit einer vergleichbaren Aussicht aus dem Bürofenster»

Nach den interessanten Erlebnissen auf der Zugfahrt von Basel nach Chiasso sind die Vorzeichen nun umgekehrt: Lokführer Hans-Jörg Baumann schaut auf einem Flug von Zürich nach Malaga bei Pilot Philipp Ehrensperger im Cockpit vorbei, um sich ein Bild des Jobs über den Wolken zu machen.

Nur wenige Tage nach dem ersten gemeinsamen Arbeitstag im Zug treffen sich Pilot Philipp, Lokführer Hans-Jörg, Maître de Cabine Veronique und Zugbegleiterin Rajmonda bereits wieder. Dieses Mal unter umgekehrten Vorzeichen: Es geht auf einen Flug, und zwar von Zürich nach Malaga und zurück.
Treffpunkt ist um 10.30 Uhr im Operation Center (OPC) am Flughafen Zürich. Lokführer Hans-Jörg geht sogleich mit Pilot Philippe zum Pilotenbriefing. Gemeinsam mit Co-Pilot Patrick Witten suchen sie sich zunächst einen freien Stehtisch im Briefing-Raum, wo sich Philippe dann in einen PC einloggt. Es wird diskutiert, wer welche Teilstrecke fliegt, das zu erwartende Wetter und die Windverhältnisse werden erörtert, die potenziellen Ausweichflughäfen entlang der geplanten Route angeschaut. Es folgt eine Übersicht von technischer Seite – was ist am Flugzeug modifiziert, wie darf geflogen werden, was haben die Techniker für Bemerkungen. Danach folgen der «Airspace Check» und die Kerosinplanung. Laut Philippe ist es immer das Pilotenteam, welches berechnet und entscheidet, wie viel Kerosin getankt wird – legal muss bei jeder Landung noch Kerosin für mindestens 30 Minuten Flugzeit in den Tanks sein.

Beim Briefing der Piloten wird über die Flugroute, das zu erwartende Wetter, den Zustand des Flugzeugs, Ausweichflughäfen und mehr orientiert und diskutiert.

Erste Feststellung: In der Besprechung werden so viele Fachbegriffe der «Fliegersprache» verwendet, dass man als Aussenstehender nur hin und wieder versteht, worum es genau geht. Für Hans-Jörg ist überdies eine Kerosinplanung etwas völlig Unbekanntes; als Lokführer muss er ja nur für einen Stromanschluss des Getriebewagens sorgen. Parallelen gibt es aber auch: So ist die ganze besprochene Information auf einem Microsoft-Surface-Tablet abrufbar – die Piloten laden die vom Planning eingespeisten und von ihnen gecheckten und allenfalls noch ergänzten Informationen jeweils vor Abflug auf ihr persönliches Tablet herunter. Im Zug sind die wesentlichen Reiseinformationen für den Lokführer ebenfalls auf einem Tablet, der so genannten LEA. Und wie die LEA auch ist das Tablet zwar theoretisch WLAN-fähig, doch wird davon nicht Gebrauch gemacht, zumal die Piloten im Cockpit (noch) kein WLAN haben. Im Zug wie im Flug wird deshalb bei Ausfällen auf Backups oder notfalls auf Papier umgestellt.

Teambuilding zwischen Piloten und Crew

Nach Beendigung des Pilotenbriefings geht es für die beiden Piloten und den begleitenden Lokführer noch in den Briefingraum der Crew. Captain Philipp gibt dort eine Art kleinen «Pep Talk»: Er stellt sich und den Kollegen vor und erinnert daran, dass Zugpersonal mit dabei ist, der Fokus aber auf der eigenen Arbeit liegt. Darüber hinaus gibt er einige der Basis-Infos durch (Flugdauer, Flugzeugtyp, Auslastung auf dem Hin- und Rückflug, Wetter). Zuletzt folgen ein paar kurze Angaben zum Timing – wann trifft sich die gesamte Crew und wo – und fertig ist das Briefing. Crew und Piloten machen sich daraufhin mitsamt den Kollegen von der SBB auf zur Sicherheitskontrolle, nach welcher sie alle per Shuttle-Bus zum Flugzeug gebracht werden.

Das gehört vor dem Abflug auch dazu: Ein kurzer Austausch mit der Cabin Crew in deren Brîefingraum.

«Das Briefing der Piloten ist deutlich länger als unser kleines Teammeeting, weil mit Wetterbedingungen und Ausweichflughäfen Parameter berücksichtigt werden, die wir selten beachten müssen», entfährt es Hans-Jörg auf dem Weg ans Gate, «darüber hinaus treffen wir das Zugbegleiterteam erst auf dem Zug, nicht schon vorher.»

Beim Flugzeug angekommen, geht das geschäftige Treiben los: Nach den Formalitäten werden die Vorbereitungen getroffen. Der eine Pilot macht mit dem Lokführer den Rundgang ums Flugzeug, während der Andere das Cockpit vorbereitet. Schon kurz darauf erfolgt das Boarding. Es herrscht Zeitdruck: Die aus Brüssel hereinkommende Maschine hatte Verspätung…

Vom Bubentraum zum Traumberuf

Während Hans-Jörg beim Austausch im Zug in der Vorwoche selber nicht fuhr, ist dieses Mal Philipp selber am Steuer. Allerdings wie im Briefing abgemacht auf dem Hinflug als «pilot monitoring». First Officer Patrick fliegt und hat damit die Kontrolle über die Steuerung des Luftfahrzeugs; Captain Philipp übernimmt den Funkverkehr mit den Bodenstellen und nimmt auf Aufforderung des Co-Piloten, in diesem Fall also des «pilot flying», Schaltungen vor. Hans-Jörg darf im Cockpit das Ganze live erleben; Zeit für Gespräche und Erklärungen gibt es allerdings erst nach dem sicheren Start wieder.
Nach einigen Minuten folgt denn auch über den Bordlautsprecher die Ansage: «Cabin Crew released». Während sich die Flight Attendants an ihre Arbeit machen, hat Philipp jetzt die Möglichkeit, Hans-Jörg etwas mit dem Cockpit vertraut zu machen. Mit Blick auf die vorbeiziehende Landschaft erklärt der Captain, was ihn bewogen hat, Pilot zu werden: «Es war mein ‚Bubentraum‘. Zwischenzeitlich habe ich dieses Jobziel aus den Augen verloren, doch als es um die Wahl eines Studiengangs ging, war auch der Pilotenberuf als Option plötzlich wieder da. Ich habe dann bei der damaligen Swissair eine Eignungsabklärung gemacht und bestanden, und musste mich dann entscheiden. Ich habe mich für meinen Bubentraum entschieden und eine Pilotenkarriere eingeschlagen. Das habe ich bis heute nicht bereut.» Wie bei Hans-Jörg geht die Berufswahl letztlich also auf einen «Bubentraum» zurück. Klassisch und irgendwie auch sympathisch.
Die Grund-Ausbildung habe 18 Monate gedauert und erfolgte bei der Swissair Aviation School (heute Lufthansa Aviation Training, eine Partnerfirma von SWISS). «Das klingt nach einer relativ kurzen Dauer, ist aber höchst intensiv», erklärt Philipp. Man wechselt zwischen Theorie mitsamt internen Prüfungen sowie Praxisblöcken ab. Der fliegerische Teil passiert zunächst innerhalb der Schweiz, später verbringt man auch drei Monate in einer Flugschule in Florida, weil dort die Bedingungen ideal sind, mit vielen Flugplätzen und stabilem Wetter. Zum Abschluss gibt es nochmals einen Theorieblock mit einer grossen Abschlussprüfung.
Nach der Grundausbildung werden die Piloten von der Firma, in unserem Fall also von der SWISS, übernommen. «Je nach Bedarf der Firma wird man dann auf einen ersten Flugzeugtypen eingeteilt», erklärt der Pilot, «zunächst in der Narrowbody-Flotte, also entweder dem Airbus A320 oder der Bombardier C-Series. Diese Ausbildung, das so genannte Type-Rating, dauert nochmals vier bis fünf Monate. Nachdem man eine gewisse Erfahrung gesammelt hat, kann man sich dann intern für eine Zuteilung auf einen anderen Flugzeugtypen bewerben, und durchläuft dabei nochmals eine separate Ausbildung.»

Captain Philipp erklärt Lokführer Hans-Jörg, wozu die vielen Knöpfe im Cockpit gut sind.

Modernisierung am Boden und in der Luft

Verbesserungen im Job gegenüber früher sieht Philipp vor allem im technologischen Bereich, mit den Tablets, auf welche die Piloten die Flugplanungsunterlagen herunterladen können. Zudem können die Flugrouten mittlerweile direkt auf dem Flugzeug in den Navigationscomputer hochgeladen werden und müssen nicht mehr von Hand eingegeben werden. «Die Vorbereitung auf Flüge gestaltet sich dadurch anders. Im A320, wo wir uns gerade befinden, haben wir auch immer wieder kleine strukturelle Verbesserungen, beispielsweise neu übersichtlichere Karten direkt in unserem Blickfeld. Und mit dem Bombardier C-Series hat natürlich ein topmodernes, von der SWISS mitkonzipiertes Flugzeug Einzug in unsere Flotte gehalten, das ist für die Piloten schon ein Quantensprung.»

Die Arbeitstage seien trotz der Verbesserungen aber nicht kürzer geworden, eher sogar noch intensiver. Die SWISS-Piloten fliegen viel, natürlich im Rahmen der regulatorischen bzw. vertraglichen Vorgaben. Eine Belastung sei das schon: «Schön ist aber, dass man immer mit unterschiedlichen Teams unterwegs ist. Mit Co-Pilot Patrick hier bin ich beispielsweise letztmals vor rund zwei Jahren geflogen. Darüber hinaus gibt es keinen Job mit einer vergleichbaren Aussicht aus dem Bürofenster. Für mich ist Pilot auch nach vielen Jahren im Beruf immer noch ein Traumjob.»

Lokführer Hans-Jörg kann das nachvollziehen. Faszinierend für ihn ist der permanente Austausch zwischen Pilot und Co-Pilot. «Wenn ein Lokführer unterwegs ausgetauscht wird, hat man nur gerade während der Wartezeit im Bahnhof Zeit, den anderen kurz über allfällige Störungen oder Besonderheiten zu informieren», sinniert er. Was aber vergleichbar sei: Der Kontroll-Rundgang um das Flugzeug vor dem Abflug, was bei den Lokomotiven ja auch gemacht wird. Vergleichbar sei auch die grosse Verantwortung, welche man sowohl als Pilot/Lokführer als auch als Flight Attendant/Zugbegleiter gegenüber den reisenden Kunden habe: «Es sind viele, und alle haben Erwartungen in Bezug auf Service, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Von daher ist es wichtig, dass man stets fokussiert ist und sich aufs Wesentliche konzentriert.»

Wäre Hans-Jörg noch jünger, könnte er sich vorstellen, auch einem Pilotenjob nachzugehen: «Ich habe nun erstmals gesehen, wie das so abläuft auf einem Flug – die Vorgänge sind sehr interessant. Bei mir ist aber, wie letzte Woche schon erklärt, die mangelnde Kenntnis von Fremdsprachen ein Problem. Ich mag es überdies, alleine Verantwortung zu tragen und gut Platz zu haben im Lokführerstand. Es hat aber natürlich auch Vorteile, zu zweit zu sein, gerade in Krisensituationen, wo man sich absprechen und Massnahmen untereinander aufteilen kann.»

Keine Ruhe nach der Landung

Beim Rückflug kann Hans-Jörg etwas mehr entspannen und die vorbeiziehende Landschaft mal aus der Höhe, dafür nicht ganz so aus der Nähe wie üblich, für sich geniessen. Philipp ist nun «pilot flying» - und wird kurz nach der Landung gleich nochmals fliegen müssen, dann von Zürich nach Frankfurt und zurück.

Nachdem die Maschine sicher wieder in Zürich gelandet ist, gibt es eine kurze, aber herzliche Verabschiedung in der Gangway, nachdem alle regulären Passagiere die Maschine verlassen haben. Der Lokführer und der Pilot geben sich die Hand und stellen fest, dass der Austausch hoch interessant war und ihnen neue Einblicke in den Alltag des anderen gegeben haben. . Trotz der Intensität und den beengten Platzverhältnissen im Flugzeug war es für alle Beteiligten ein aussergewöhnlicher Tag.

Herzliche Verabschiedung in der Gangway zwischen Pilot Philipp (l.), der gleich weiter nach Frankfurt muss, und Lokführer Hans-Jörg.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit SWISS und SBB. Lesen Sie am kommenden Montag im vorläufig letzten Teil unserer Serie «Jobtausch SWISS/SBB», wie es Zugbegleiterin Rajmonda auf dem Flug nach Malaga ergangen ist. 

(JCR)