Karriere

Mario Winiger hat in seinen über 20 Jahren als Fluglotse schon viele herausfordernden Situationen erlebt. Bild: Mario Winiger.

Kein Job für schwache Nerven

Linda von Euw

Piloten sind auf sie angewiesen, genauso wie Passagiere: Fluglotsen sorgen dafür, dass der Luftverkehr reibungslos läuft. Auf ihren Schultern lastet eine grosse Verantwortung. Ein Besuch bei Skyguide im Tower des Flughafens Zürich.

Die Monitore blinken, aus den Kopfhörern der Fluglotsen vernimmt man das vertraute Rauschen, das man aus den Ansagen der Piloten im Flugzeug kennt. Ab und zu ertönt eine kurze Anweisung des Lotsen auf Englisch, gefolgt von einem «Roger». Ansonsten fällt vor allem eines auf: Die absolute Ruhe, die im Tower am Flughafen Zürich herrscht.

Es ist 11 Uhr morgens. Für den Flughafen Zürich heisst das: Hochbetrieb. Von 10 bis 14 Uhr startet und landet alle zwei Minuten ein Flugzeug. Von Hektik ist im Tower nichts zu spüren. «Ein Besucher würde nicht einmal merken, wenn wir eine brenzlige Situation hätten. Ausser vielleicht, dass plötzlich die Sanität oder Feuerwehr auf der Piste auftaucht», sagt Mario Winiger, der seit über 20 Jahren als air traffic controller bei Skyguide arbeitet.

Im hinteren Bereich des hellen Towers sitzt der dienstleitende Fluglotse – in der Regel ein erfahrener, älterer Mitarbeiter. Er koordiniert die Aufgabenverteilung und sorgt dafür, dass die im Einsatz stehenden Lotsen die vorgeschriebenen Pausen machen und regelmässig die Positionen wechseln. Mehr als zwei Stunden am Stück darf nicht gearbeitet werden, eine Schicht dauert inklusive Pausen sieben Stunden. «Wer sich nicht 100-prozentig wohlfühlt, bleibt zu Hause», sagt Vladi Barrosa, Mediensprecher von Skyguide. Zu viel Verantwortung lastet auf den Schultern der Lotsen.

Täglich starten und landen am Flughafen Zürich je 400 Flugzeuge. Bis zum 40. Lebensjahr müssen die über 500 Fluglotsen in der Schweiz alle zwei Jahre zum Gesundheitscheck. Ab 40 Jahren jedes Jahr. Wer nicht mindestens 60 Prozent arbeitet, verliert seine Lizenz. Dafür ist der Beruf gut bezahlt: Der durchschnittliche Jahreslohn beträgt beachtliche 180’000 Franken. Da stellt sich die Frage: Einmal Skyguide, immer Skyguide? «Die meisten Fluglotsen bleiben sehr lange im Beruf. Aufgrund der Spezialisierung ist ein Wechsel in einen anderen Beruf nicht so leicht. Man kann aber bei Skyguide auch Teilzeit in Projekten mitarbeiten und wer will, kann als Fluglotse auch praktisch überall im Ausland arbeiten», sagt Winiger.

Konzentriert koordinieren die Fluglotsen die Starts und Landungen der Flugzeuge am Flughafen Zürich.

Talent, Multitasking und kognitive Fähigkeiten

Die Ausbildung eines Fluglotsen ist teurer als die eines Piloten: Etwa 1 Million Franken kostet Skyguide die drei Jahre dauernde Schulung eines Fluglotsen. Das erste halbe Jahr wird nur Theorie gebüffelt: Meteorologie, Luftverkehrsfahrtgesetze und Flugzeugtypen-Erkennung stehen beispielsweise auf dem Stundenplan. Danach geht es in einen der drei Tower-Simulatoren (jeder kostete rund 1,4 Millionen Franken), wo die Arbeitsabläufe erlernt werden. Das letzte Jahr arbeitet der angehende Fluglotse dann im Einsatzgebiet gemeinsam mit einem Coach.

600 bis 700 junge Menschen bewerben sich jährlich bei Skyguide für die Ausbildung als Fluglotse. Wer über 30 Jahre alt ist, hat fast keine Chance mehr, diesen Beruf zu erlernen. «Fluglotsen werden mit 56 Jahren pensioniert. Da macht es schon Sinn, dass wir das Eintrittsalter beschränken. Gerade weil die Ausbildung sehr aufwendig ist und ab 30 gewisse kognitive Fähigkeiten abnehmen», erklärt Barrosa.

Die Selektion ist streng: Nur 3 Prozent aller Bewerber schaffen das Auswahlverfahren. Im Laufe der Ausbildung fliegen weitere 50 Prozent raus. «Man muss ein gewisses Talent für diesen Beruf mitbringen und Talent kann man nicht erlernen», erklärt Barrosa. Auf dem Radar sieht ein Lotse zum Beispiel nur zwei Dimensionen, die Dritte muss er sich vorstellen können. Auch sind ausgeprägte kognitive Fähigkeiten gefragt, unter Druck muss ein kühler Kopf bewahrt werden und nicht zuletzt muss ein Lotse multitaskingfähig und flexibel sein. Klingt eigentlich nach den idealen Voraussetzungen für Frauen. Aber: Nur 30 Prozent der Fluglotsen sind weiblich. «Das liegt wohl vor allem daran, dass es sich um einen technischen Beruf handelt», resümiert Winiger.

Die Lotsen haben den Feldstecher stets griffbereit - hier entdecken sie gerade einen Helikopter im Luftraum.

Ein zweites Überlingen wird es nicht geben

Wer an Fluglotsen denkt, denkt wahrscheinlich früher oder später auch an das Unglück in Überlingen (D) vor 16 Jahren, als zwei Passagiermaschinen in der Luft zusammenstiessen: «Skyguide hat sich massiv verändert. So ein Fehler wie damals würde heute so nicht mehr passieren», ist Barrosa überzeugt.

Denn im Tower sind während den Betriebszeiten immer mindestens vier Fluglotsen anwesend und in der Überflugkontrolle gilt das Vier-Augen-Prinzip. Auch die Technologie am Boden wurde verbessert. Wird der vorgeschriebene Mindestabstand zwischen zwei Flugzeugen unterschritten, wird der Fluglotse automatisch von einem System gewarnt. Piloten sind seit dem Unglück angewiesen, bei Kollissionsgefahr auf das in jedem Flugzeug eingebaute Traffic collision avoidance system (TCAS) zu hören. Es koordiniert automatisch die beiden sich gefährlich annähernden Flugzeuge und weist den einen Piloten zum Steigen und dem anderen zum Sinken an.

Der langjährige Fluglotse Winiger kennt solche Unglücke nur aus der Theorie: «Dass Flugzeuge wegen technischer Probleme umkehren müssen, kommt öfters vor. Aber einen Absturz habe ich zum Glück noch nie erleben müssen.» Wo gearbeitet wird, passieren aber in der Regel Fehler. Für einen Fluglotsen kann so einer verheerend sein. Dennoch kommt es auch hier vor, dass ein Lotse durch eine kurze Unaufmerksamkeit eine ungewollte Situation herbeiführt. Selbst wenn dabei kein Passagier zu Schaden kommt, kann es vorkommen, dass sich der Lotse später vor Gericht verantworten muss. «Leider haben wir auch in Zürich von Zeit zu Zeit so einen Fall. Allerdings sind es wirklich sehr wenige», sagt Winiger.