Flug

Verspätete Ankunft, verpasster Anschlussflug? Fluggastrechtportale haben sich ein lukratives Geschäftsmodell mit der Einforderung von Entschädigungen geschaffen. Bild: TN

«Claim Agencies sind unnötig!»

Gregor Waser

Portale, die sich für Passagierrechte einsetzen, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Für die Airline-Industrie sind sie moderne Wegelagerer, die mit teils unlauteren Mitteln Forderungen stellen. Jetzt reagieren BAZL und B.A.R.

Sie nennen sich Fairplane, Flightright, Refund.me, Airhelp oder Euclaim – und verdienen sich an der Airline-Industrie eine goldene Nase. Immer mehr Fluggastrechte-Portale – oder Claim Agencies auf Englisch – wollen im Namen von Flugpassagieren, die ihren Flug verpasst haben oder verspätet angekommen sind, Geldforderungen bei den Airlines eintreiben. Im Erfolgsfall behalten die Claim Agencies 25 bis 30 Prozent des rückerstatteten Betrages für sich.

Die umfassende EU-Verordnung 261/2004, die auch für die Schweiz gilt, sieht bei Nichtbeförderung, Annullierung des Fluges oder grosses Verspätung diese Kompensationen vor: 250 Euro bei Flügen bis zu einer Distanz von 1500 Kilometern, 400 Euro (bis 3500 Kilometer) und 600 Euro (über 3500 Kilometer). Die Entschädigung kann halbiert werden, wenn sich die Reise, je nach Entfernung, nicht länger als zwei, drei oder vier Stunden verzögert.

Nur wüssten viele Passagiere von dieser Verordnung und ihren Rechten nichts, behaupten die Claim Agencies und gelangen gewieft an die Medien: sie nennen horrende Gesamtbeträge, die von den Passagieren nicht eingefordert werden, oder verbreiten Rankings der unpünktlichsten Airlines – und können sich Schlagzeilen und damit Bekanntheit bei Passagieren sicher sein.

Unterschriften gefälscht

Doch offensichtlich agieren die Portale nicht immer mit lauteren Mitteln. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hält jetzt in einem Schreiben fest: «Beim BAZL sind verschiedentlich Vollmachten von Inkassobüros (sogenannten Claim Agencies) eingegangen, bei welchen die Unterschrift des Passagiers offensichtlich gefälscht worden ist. Solche Vollmachten wurden vom BAZL zurückgewiesen.» Europaweit seien verschiedentlich gravierende Missbräuche von einzelnen Claim Agencies festgestellt worden. 

Neu fordert das BAZL (alle Details hier), dass Claim Agencies, verschiedene Dokumente einreichen müssen – von einer vom Passagier unterzeichneten Erklärung bis zur ID-Kopie; in Anlehnung an eine entsprechende Information der EU-Kommission.

«Betroffene Passagiere sollten sich zuerst an die Airline wenden»

Doch was sagen die Airlines zur aktuellen Forderungsflut der Claim Agencies? travelnews.ch hat mit dem B.A.R., der Swiss und Easyjet gesprochen. Der neue Präsident des Board of Airline Representatives (B.A.R.), Emirates Schweiz-Chef Jürg Müller, sagt klipp und klar: «Claim Agencies braucht es in der Schweiz nicht! Sie sind schlicht unnötig».

B.A.R.-Präsident Jürg Müller.

«Betroffene Passagiere sollten sich im Zusammenhang mit der Einforderung von Passagierrechten gemäss der EU-Verordnung 261 zuerst an die entsprechende Airline wenden», sagt er weiter. Im Falle eines Disputes könne beim BAZL, der Durchsetzungsstelle für Passagierrechte in der Schweiz, eine Anzeige eingereicht werden (BAZL-Formular hier). «Ich bin überzeugt, dass die allermeisten Fälle auf diesem Weg gelöst werden». Das B.A.R. begrüsse die Verschärfung der Eingabepflichten. Zudem hält Müller fest: «Die Airline bezahlt im Falle einer berechtigten Forderung gleich viel, unabhängig ob direkt an den Kunden oder via Claim Agency. Bei einer Transaktion via Claim Agency erhält der Fluggast jedoch 25 Prozent weniger!»

Airlines setzten sich für ein faires und transparentes Regelwerk ein, in Bern und Brüssel, aber auch in anderen Regionen der Welt, sagt Müller: «Auch wenn sicherlich noch Verbesserungspotential in der Umsetzung vorhanden ist, bin ich klar der Meinung, dass das heutige System in der Schweiz gut funktioniert.»

Swiss: «Fluggastportale bieten keinen Vorteil»

Wie beurteilt die Swiss die zunehmenden Aktivitäten der Fluggastportale? Swiss-Unternehmenssprecherin Sonja Ptassek sagt hierzu: «Fluggastportale versprechen regelmässig eine rasche Regulierung eines mutmasslichen Anspruchs. In der Praxis muss jedoch der Einzelfall geprüft werden, was zu längeren Verfahren führen kann. Wir sehen daher keinen wesentlichen Vorteil für den Kunden, ein Fluggastportal zu beauftragen.» Sei der Anspruch ausgewiesen, wird dieser von den Fluggesellschaften auch unbürokratisch entschädigt. Sei der Anspruch umstritten, wird er auch gegenüber dem Fluggastportal bestritten. «Fluggastportale sind auf geldwerte Entschädigungen aus und bei unklarer Sach- oder Rechtslage nicht zu Kompromissen bereit. Das führt dazu, dass der Kunde alles oder nichts erhält und nicht von Kulanzangeboten profitiert, welche die Fluggesellschaften bei umstrittenen Fällen anbieten können.»

Zudem unterstreicht sie, dass Fluggesellschaften den Kunden bei Flugunregelmässigkeiten Umbuchungen, Verpflegung, Hotels und die Möglichkeit für Telefonate oder E-Mail-Kontakte bieten. Fluggastportale beschränkten ihre Tätigkeit auf das Einfordern von mutmasslichen Ansprüchen auf die sogenannten «Ausgleichsleistungen» und nur auf diese. Das sind Beträge zwischen EUR 250 und EUR 600 je nach Länge des Fluges. «Hat der Kunde darüber hinausgehende Ansprüche oder Ansprüche nach Montrealer Übereinkommen, so übernehmen diese Portale keine Vertretung der Kunden.»

Weiter sagt die Unternehmenssprecherin: «Luftfahrtunternehmen wünschen sich den direkten Kontakt zum Kunden. Im Gespräch mit dem Kunden kann diesem in der Regel auch eine Lösung angeboten werden. Von den Fluggastportalen fordern wir, dass sie sich korrekt als Bevollmächtigte ausweisen, die lokale Rechtslage beachten und insbesondere im Interesse des gemeinsamen Kunden agieren.» Nur dann seien rasche und einvernehmliche Lösungen möglich.

Easyjet: «Verfahren vereinfacht»

Regelmässig am Pranger der Claim Agencies steht Easyjet. Auf Anfrage beim Low-Cost-Carrier lautet die Antwort: «Easyjet nimmt die Verantwortung gemäss den Richtlinien EU 261 ernst. Die Fluggastrechteverordnung ist klar definiert, das Verfahren für die Kunden wurde vereinfacht und gilt für alle Fluggesellschaften gleichermassen.»

Kunden, die Anspruch auf Entschädigung gemäss EU 261 haben, könnten sich direkt an Easyjet wenden, indem sie ein einfach verständliches Online-Schadensersatzanspruchsformular ausfüllen, das unkompliziert auf der Hilfeseite zu finden sei. Ein Team von über 150 EasyJet-Mitarbeitern bearbeite derzeit gültige Schadensersatzforderungen innerhalb einer Frist von 5 bis 15 Tagen. «Wir bemühen uns, diese Bearbeitungsfrist weiter zu verbessern.»