Flug

Viele Airlines überbuchen ihre Flüge bewusst. Das ist sogar ihr gutes Recht. Beliebt machen sie sich bei Passagieren damit aber gewiss nicht. Bild: Fotolia

Einer ist zu viel an Bord: Was tun, wenn der Flug überbucht ist?

Hans-Werner Rodrian

Nach dem Passagier-Rauswurf in den USA fragen sich viele: Wäre das auch in Europa möglich? Wer es geschickt anstellt, kann dank Überbuchungen sogar Geld verdienen.

Der Fall des gewaltsam von drei Flughafen-Polizisten aus einem US-Flugzeug gezerrten United-Passagiers hat weltweite Betroffenheit ausgelöst. Das kurze Handy-Video von dem Vorfall wurde millionenfach gesehen. Der Geschäftsführer der betroffenen Gesellschaft United Airlines musste sich öffentlich entschuldigen. Jetzt fragen sich natürlich viele Reisenden: Kann mir das auch in Europa passieren? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum werden Flüge überbucht?

Dass mehr Tickets verkauft werden als das Flugzeug Sitze hat, ist kein Zufall. Alle Fluggesellschaften tun das. Der Grund: Vor allem Geschäftsleute zahlen viel Geld für flexible Flugtickets und müssen oft sehr kurzfristig ihre Pläne ändern. Die durch solche «No Shows» leer gebliebenen Sitze wollen die Fluggesellschaften mit ihrer Überbuchungspraxis doch noch füllen. Dabei helfen ausgefeilte Computerprogramme. Aber manchmal verkalkulieren sie sich doch dabei. Die Folge: Dann sind plötzlich mehr Passagiere am Gate, als Platz in der Maschine finden.

Was passiert normalerweise bei Überbuchungen?

Wenn eine Fluggesellschaft feststellt, dass sie nicht alle Kunden befördern kann, dann schliesst sie normalerweise superpünktlich den Check-in. Wer auch nur eine Minute später als vorgeschrieben kommt, hat Pech gehabt. Reicht das nicht aus, dann sucht die Airline nach Freiwilligen, die bereit sind, einen späteren Flug zu nehmen. Üblicherweise bieten Airlines dafür attraktive Gegenleistungen: ein Upgrade in die Business Class auf dem nächsten Flug, Übernachtung in einem edlen Hotel oder bei Ferienflügen einen zusätzlichen Ferientag. Immer häufiger gibt es auch ganz schnöde Bargeld. Bei dem in die Schlagzeilen geratenen United-Airlines-Flug hatte Berichten zufolge allerdings sogar gegen 1000 US-Dollar Belohnung niemand zurücktreten wollen.

Was, wenn niemand freiwillig zurücktritt?

Findet die Fluggesellschaft nicht genügend Freiwillige, dann kann sie - in den USA wie in Europa - entscheiden, bestimmte Reisende nicht mit dem vorgesehenen Flug zu befördern. Die Kriterien, wen es dann trifft, sind unterschiedlich. Bei dem spektakulären Fall in den USA entschied die Fluggesellschaft eigenen Angaben zufolge im Losverfahren. In der Praxis trifft es allerdings meist die letzten Passagiere, die schlicht nicht mehr in den Flieger gelassen werden. Früh zu erscheinen und sich rechtzeitig anzustellen ist also immer hilfreich, wenn man den Flug unbedingt erreichen muss.

Gibt es in solchen Fällen einen finanziellen Ausgleich?

Ja. Generell gelten bei überbuchten Flügen die EU-Fluggastrechte zu Verspätung und Annullierung. Die einschlägige EU-Verordnung greift, wenn Reisende von einem Flughafen innerhalb der EU abfliegen oder mit einer europäischen Airline in ein EU-Land reisen. Sie spricht dem Passagier zusätzlich zu einem Ersatzflug oder der Erstattung des Ticketpreises auch eine Schadenersatzpauschale zu. Je nach Flugdistanz sind das zwischen 250 und 600 Euro. 

Wie hoch ist der finanzielle Ausgleich?

Laut EU-Verordnung erhalten Passagiere bei einer Überbuchung für einen Kurzstreckenflug (bis zu 1500 Kilometer) 250 Euro, für die Mittelstrecke (bis 3500 Kilometer beziehungsweise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft) 400 Euro und für die Fernstrecke beziehungsweise für Flüge ausserhalb der EU 600 Euro. Zudem muss die Fluggesellschaft die Fluggäste mit Mahlzeiten und Getränken versorgen. Geht der nächste Flug zum Zielort erst am folgenden Tag, haben die Passagiere ausserdem ein Recht auf eine Hotelübernachtung und den Transfer zum Hotel.

Kommen Szenen wie in Chicago öfter vor?

Dass Reisende, die bereits im Flugzeug sassen, dann noch gewaltsam wieder entfernt wurden, sei noch nicht vorgekommen, erklärte Heinz Klewe von der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) dem Norddeutschen Rundfunk. Überbuchungen sind aber an der Tagesordnung und nicht selten gibt es deswegen an den Gates auch unschöne Szenen, weil viele Passagiere ihre gekauften Sitze trotz Entschädigung nicht abgeben wollen. Dies unter anderem, weil die Entschädigungen bislang auch recht mickrig waren.

Wie viel Geld wird für das freiwillige Hergeben des Sitzes angeboten? 

United Airlines selbst und ihre Konkurrentin Delta Air Lines haben bereits Konsequenzen gezogen: Die Summen, die das Personal für freiwillige Rücktritte vom Flug anbieten darf, wurden erhöht. Bei Delta beispielsweise darf das Personal statt wie bisher maximal 800 Dollar neu 2000 Dollar bieten, im Extremfall dürfen Supervisors sogar bis zu 10'000 Dollar Entschädigung (statt wie bisher 1350 Dollar) anbieten. Das dürfte Passagiere eher ermutigen, ihren Sitz freiwillig aufzugeben. Allerdings stellt sich aus Passagiersicht dann die Frage: Warum den Sitz für weniger als die Maximalsumme hergeben? Delta und Co. gehen davon aus, nur selten den Maximalbetrag auszahlen zu müssen. Es ist aber denkbar, dass nun Schlaumeier Sitze auf bekanntlich stark gebuchten Flügen reservieren und dankbar diesen Sitz für die Maximalsumme wieder hergeben. Die Airlines könnten es im Prinzip sogar verkraften: Hätte Delta letztes Jahr jeden unfreiwillig von einem Flug bugsierten Passagier mit 10'000 Dollar entschädigt, hätte sich die Schadenssumme für Delta auf 12 Millionen Dollar belaufen. Dies bei einem Gesamtumsatz von 4,4 Milliarden US-Dollar.