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Hätte zum Überflieger werden sollen, wurde aber zum Stolperstein für den Flugzeugbauer: die Boeing 737-Max. Bild: Boeing

Boeing und die sechs Stolpersteine

Der US-amerikanische Flugzeugbauer streicht 17'000 Stellen. Seit 2018 steckt Boeing in der schwersten Krise seiner Geschichte.

Flugzeugbauer Boeing teilt mit, in den kommenden Monaten zehn Prozent seiner weltweiten Stellen zu streichen – das sind 17'000 Jobs. Der Abbau soll zur Überwindung der finanziellen Probleme beitragen.

Doch wie kam es dazu, dass der grösste Flugzeughersteller weltweit sich in einem solchen Tief befindet. Es ist eine Kombination von unternehmerischen Fehlern, Sicherheitsproblemen und externen Faktoren. Wir nennen die wichtigsten Gründe, die zur aktuellen Situation bei Boeing geführt haben.

1. Probleme mit dem Modell 737 MAX

Der Hauptfaktor für die Krise von Boeing ist das Debakel rund um das Modell 737 MAX. Dieses Flugzeugmodell, das als Nachfolger der erfolgreichen 737-Baureihe entwickelt wurde, sollte den Wettbewerb mit Airbus, insbesondere dem A320neo, verstärken. Allerdings kam es nach zwei tragischen Abstürzen von 737 MAX-Maschinen (2018 in Indonesien und 2019 in Äthiopien) zu einem globalen Flugverbot für dieses Modell.

Die beiden Abstürze wurden durch Probleme mit dem sogenannten MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) verursacht, einem automatischen Stabilisierungssystem, das verhindern sollte, dass das Flugzeug in gefährliche Fluglagen gerät. Es stellte sich heraus, dass Boeing dieses System nicht ausreichend getestet hatte, und Piloten waren nicht ausreichend geschult, um auf ein Fehlverhalten des Systems zu reagieren.

Darüber hinaus kam ans Licht, dass Boeing im Bestreben, die Entwicklungskosten niedrig zu halten und schneller als Airbus am Markt zu sein, bei der Zertifizierung und Sicherheitsprüfung des Flugzeugs Abkürzungen genommen hatte.

Das Flugverbot für die 737 MAX dauerte über 20 Monate an, was nicht nur erhebliche finanzielle Verluste, sondern auch einen massiven Vertrauensverlust in die Marke Boeing zur Folge hatte.

2. Mangelhafte interne Kultur und Sicherheitsstandards

Die Krise der 737 MAX offenbarte tiefgreifende Probleme innerhalb der Unternehmenskultur von Boeing: Boeing stand unter grossem Druck, den Airbus A320neo zu schlagen. Infolgedessen schien es, als sei die Priorität, Kosten zu senken und Zeitpläne einzuhalten, wichtiger als die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Produkte. Dies führte zu einer überhasteten Entwicklung der 737 MAX und zu einem Mangel an umfassender Schulung für Piloten und technisches Personal. Berichte zeigten, dass Mitarbeiter und Ingenieure bei Boeing enormen Druck verspürten, Projekte schnell abzuschliessen, manchmal sogar unter Missachtung von Sicherheitsbedenken.

3. Finanzielle Verluste und steigende Kosten

Neben den direkten Kosten für die Stilllegung der 737 MAX (Entschädigungen für Fluggesellschaften, Produktionsstopp, Rechtskosten etc.) entstanden bei Boeing auch massive Verluste durch Umsatzeinbrüche, Rückgang der Neubeauftragungen und Reputationsschäden. Kunden wie Fluggesellschaften und Leasingunternehmen verloren teilweise das Vertrauen in Boeing und zogen Aufträge zurück oder verschoben sie. Gleichzeitig sah sich Boeing mit Milliarden an Entschädigungszahlungen konfrontiert. Die Entwicklungskosten für neue Projekte und die Nachrüstung der 737 MAX stiegen ebenfalls erheblich.

4. Covid-19-Pandemie

Die Covid-19-Pandemie hat die Lage für Boeing noch verschärft. Während der Pandemie brach der globale Flugverkehr dramatisch ein, und Fluggesellschaften standen vor einer existenziellen Krise. Dies führte dazu, dass viele Kunden ihre Bestellungen stornierten oder verschoben und Flugzeughersteller wie Boeing und Airbus grosse Einbrüche in ihren Auftragsbüchern verzeichneten. Besonders im Passagierflugzeuggeschäft war dies fatal, da viele Fluggesellschaften ihre Flotten verkleinerten und neue Maschinen vorerst nicht mehr benötigten.

5. Wettbewerb mit Airbus

Boeing stand und steht in einem intensiven Wettbewerb mit Airbus, seinem grössten Konkurrenten. Während Boeing mit den Problemen der 737 MAX und den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hatte, konnte Airbus in bestimmten Segmenten (wie der A320neo-Familie) weiterhin Marktanteile gewinnen. Airbus profitierte von dem Vertrauensverlust Boeings, da viele Fluggesellschaften verstärkt auf Airbus setzten.

6. Lieferketten- und Produktionsprobleme

Zusätzlich zu den internen Problemen bei Boeing führten externe Faktoren wie unterbrochene Lieferketten, Schwierigkeiten bei der Produktion und Engpässe bei Zulieferern zu weiteren Verzögerungen und Kostensteigerungen. Beispielsweise gab es bei der Produktion des Langstreckenflugzeugs 787 Dreamliner Qualitätsprobleme, die zu weiteren Produktionsstopps und Lieferverzögerungen führten.

Fazit

Boeing befindet sich in einer tiefen Krise, die durch eine Kombination aus technischen Fehlern, einer unsicheren Unternehmenskultur, finanziellem Druck, starker Konkurrenz und externen Schocks wie der Covid-19-Pandemie ausgelöst wurde.

Aufgrund dieser multiplen Krisen ist Boeing gezwungen, drastische Massnahmen zu ergreifen. Dazu gehören nun Massenentlassungen und Umstrukturierungen. Boeing hat seine Produktionskapazitäten angepasst und einige Werke geschlossen oder verkleinert. Auch in der Managementstruktur wurden Änderungen vorgenommen, um endlich die Unternehmenskultur zu verbessern und die Sicherheitsstandards zu erhöhen.

(GWA)