Flug

Bestritten am Skyguide Business Day die erste Panel-Diskussion, von links: Klaus Meier (CTO Skyguide), Giancarlo Buono (Regional Director Safety and Flight Operations Europe, IATA), Heidrun Butler (Head of Safety and Production Quality, SBB), Bhev Chandrasena (CFO, Director CRCO & Finance, Eurocontrol) und Moderator Michael Weinmann. Bilder: PD

Skyguide: zwischen Sicherheit und Wirtschaftlichkeit

Cornel Küng

Der Föderalismus im europäischen Luftraum birgt grosse Risiken und Ineffizienzen auf mehreren Ebenen. Der «Skyguide Business Day» hat die aktuellen Herausforderungen aufgezeigt. Travelnews hat die Podiumsdiskussionen verfolgt.

Trotz einem guten Halbjahresergebnis sind dringende Qualitätsverbesserungen unabdingbar, so die Quintessenz des eindringlichen Votums von Oliver Buchhofer, Head of Operations Swiss, am diesjährigen «Skyguide Business Day». Es gehe nicht um Schuldzuweisungen. Die aktuellen Problemstellungen bedingen einen Schulterschluss der involvierten Akteure, so der Appell von Buchhofer. Rund 200 Gäste folgten der Einladung von Skyguide zum jährlichen Nachmittagsanlass im Kursaal Bern.

Alex Bristol, CEO Skyguide, begrüsste die Gäste mit einem klaren Statement: Sicherheit ist und bleibt ein übergeordnetes Ziel. Die Komplexität bei der Lösung wichtiger Problemstellungen lässt sich nur schon an der Vielfalt der unterschiedlichen Interessenvertreter von Partnern, Kunden und Lieferanten am heurigen Anlass ablesen. Es brauche einen übergreifenden Masterplan für Europa. Ein gemeinsames Kulturverständnis dazu ist ein unerlässlicher Erfolgsfaktor. Klimaziele, neue Energien, digitale Transformation und weiteres Wachstum bescheren mannigfaltige und grosse Herausforderungen. Bristol plädierte für ein virtuelles [europäisches] Zentrum als Lösungsansatz für ein gesundes Wachstum unter Gewährleistung von Sicherheit.

Impulsvorträge

Michael Weinmann, bekannt als Reporter bei SRF, übernahm das Mikrofon und moderierte den weiteren Nachmittag. Als ersten Referenten bat er Giancarlo Buono, Regional Director Safety and Flight Operations Europe, IATA auf die Bühne. Verständlich, jedoch eher trocken war seine Herleitung zur Schlussfolgerung, dass die Luftfahrt wie jeder andere Sektor den Ressourceneinsatz für Sicherheit und Leistungserbringung sorgfältig abwägen müsse – das klassische Management Dilemma. Zuviel Einsatz für Sicherheit mündet im Bankrott, zu wenig potentiell in einer Katastrophe.

Dass es durchaus Parallelen zwischen Luft- und erdgebundenem Transport gibt, zeigte Heidrun Buttler, Head of Safety and Production Quality der SBB AG anhand der Entgleisung einer Frachtkomposition im Gotthardbasistunnel. Das Rollmaterial verkehrt grenzüberschreitend, Frachtkompositionen bestehen aus Wagen unterschiedlicher Unternehmen und die Zugführer werden an der Grenze gewechselt. Der Radbruch wurde als Restrisiko qualifiziert, dessen Vermeidung die SBB alleine unmöglich gewährleisten könne. Die Abhängigkeit von Partnern zeigt sich hier einfach mit andern Vorzeichen als in der Luftfahrt.

Nach IATA und SBB gab Bhev Chandrasena (CFO, Director CRCO & Finance) von Eurocontrol Einblick in die Bewertung eines Flugsicherungsdienstleisters. Das Geschäftsmodell basiert auf grossen Volumen mit kleinen Stückerträgen. Dass Skyguide im europäischen Vergleich teuer ist, überrascht kaum. Verantwortlich dafür sind die hohen Fixkosten bei kleiner Grösse des Schweizer Luftraums, wie auch das Schweizer Kostenniveau, insbesondere bei den Löhnen. Auf der Ertragsseite schlagen die kurzen Strecken über Schweizer Hoheitsgebiet negativ zu Buche. Eine Vermeidung des Schweizer Luftraums aus Kostengründen scheint jedoch unwahrscheinlich.

Fragmentierung führt zu höheren Kosten

Die erste Podiumsdiskussion mit den Referenten moderierte Klaus Meier, CTO Skyguide. Im globalen Vergleich ist nicht nur Skyguide teuer, sondern ganz Europa. Die grosse Fragmentierung führt schlicht zu höheren Kosten. Die Resilienz des Geschäftsmodells wurde während der Pandemie in Frage gestellt, da die Erlöse aus der Zivilluftfahrt generiert werden. Skyguide ist jedoch auch für die militärische Flugsicherung zuständig. Unterschiedliche Meinungen wurden geäussert zur Schwierigkeit bei der Rekrutierung von Fachkräften, wie sie offenbar Skyguide insbesondere in Genf erlebt. Ein Stolperstein ist die zwingende Sprachkompetenz. Obgleich in der Luftfahrt Englisch als Standard gilt, werden die Landessprachen Deutsch und Französisch vorausgesetzt.

Ein Lob von EasyJet erhielt Skyguide für deren Qualität. Pünktlichkeit ist und bleibt eines der wichtigsten Ziele aus Sicht der Fluggesellschaften.

Im zweiten Teil diskutierten, von links: Urs Lauener (COO Skyguide), Marylin Bastin (Head of Aviation Sustainability, Eurocontrol), Oliver Buchhofer (Head of Operations, Swiss), Christian Hegner (Generaldirektor, BAZL) und Michael Weinmann (Moderator).

Nach einer kurzen Pause im Foyer kam dann mehr Stimmung auf im Saal. Marylin Bastin, Head of Aviation Sustainability, Eurocontrol spielte ein weiteres wichtiges Ziel ein, Umwelt und Nachhaltigkeit in der Fliegerei. Dass die Luftfahrt kollektiv als Sündenbock in der Klimadiskussion abgestempelt wird, sei schlicht unfair. Diverse Verbesserungen bei CO2-Ausstoss und Lärmreduktion seien bereits erzielt worden. Mit Leidenschaft präsentierte sie konkrete Massnahmen, die allesamt der Umweltverträglichkeit dienen. Dazu zählen die Nutzung nur eines Motors am Boden (taxi-out), vermehrter Einsatz von SAF und künftigen weiteren neuen Treibstoffen wie Wasserstoff, effizientere Streckenplanungen und gleichmässigere Sinkflüge, Verringerung der Treibstoffreserven, Reduzierung der Kondensstreifen - bedingt durch unvollständige Verbrennung oder Treibstoffablass.

Nicht nur die Fluggesellschaften seien gefordert, auch die flugnahe Infrastruktur hat durchaus Potential. Nachhaltiger Strom für die Flughäfen, elektrische Mobilität bei den Bodendiensten und Biodiversität rund um die Flughäfen. Die gesamte Aviatik müsse aktiv ein verstärktes ökologisches Kulturverständnis schaffen.

Schockierende Realität

Bei den Ausführungen von Oliver Buchhofer, Head of Operations, SWISS zum Thema aus der Airline-Perspektive stieg der Puls dann eindeutig im Saal. Souverän und teilweise schockierend die Realität aus dem ersten Halbjahr. Jeder zweite Flug erlebte eine oder mehr Restriktionen der Flugsicherung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Flugzeit. Jeder vierte Flug sei mit mehr als einer halben Stunde an der Zieldestination angekommen. 190'000 kumulierte Stunden Verspätung, wovon nur gerade 40% wetterbedingt waren. Die Verkehrsflussregelung (Air Traffic Flow Management) sei der wichtigste Treiber von Verspätungen. Die Pünktlichkeit – eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale einer Airline – sei 2023 auf einem 20-jährigen Tiefstand.

Buchhofers Claim: mission first – safety always. Konkret schlägt er neues gemeinsames gedankliches Modell vor, bei dem alle relevanten Systempartner mitarbeiten. Dabei geht es um gemeinsamen Ressourceneinsatz zur Lösung von Problemen, gleiches Kulturverständnis und Mindset, Teilen von Fakten und Daten, die richtigen Kompetenzen und Knowhow an allen Stellen und der Einsatz von Technologien, die auch systemübergreifend Nutzen bringen statt Barrieren kreieren.

Sein Schlusswort könnte nicht eindrücklicher sein: Was wir im laufenden Jahr erlebt haben, ist ein Weckruf – es ist fünf-vor-zwölf.

Notwendiger Kulturwechsel

Als Schlussreferent folgte Christian Hegner: Generaldirektor, Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) mit dem Präsentationstitel «Innovation in der Flugsicherung und Konsequenzen für die Luftfahrt». 2016 erhielt das BAZL vom UVEK den Auftrag, eine neue Strategie für die Luftraum- und Aviatik Infrastruktur zu erarbeiten. Die bisherigen inkrementellen Anpassungen seien an Grenzen gestossen und nicht zukunftsfähig, um die steigende Intensität der Luftraumnutzung und das Aufkommen neuer Fluggeräte wie Drohnen zu bedienen.

Das Ergebnis dieser Strategiearbeit ist AVISTRAT-CH. Alle relevanten Stakeholder haben gemeinsam dieses Strategieprojekt entwickelt, das letztes Jahr präsentiert wurde.

Die abschliessende Paneldiskussion wurde vom Skyguide COO Urs Lauener geleitet. Auf die Frage von Michael Weinmann, was denn seine grösste Erkenntnis aus dem heutigen Nachmittag sei, antwortete er mit sichtlicher Betroffenheit: «Der Beschrieb der aktuellen Situation wie von Oliver Buchhofer dargelegt ist schlicht schockierend». Der dringend notwendige Kulturwechsel in Richtung gemeinsames Denken und Handeln wurde erneut erwähnt. Die Attraktivität der Berufsbilder in der Luftfahrt sei nicht mehr zu vergleichen mit jener vor 30 Jahren, was Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Talenten mit sich bringe. Vordingliches Zielt sei die Reduzierung und Vermeidung von Verspätungen, was automatisch auch der Umwelt zugut kommt.

Fazit

Nicht einmal erwähnt wurde «Single European Sky». Die Aufgabe der nationalen Lufthoheit hätte nicht nur eine bedeutend effektivere Luftverkehrskontrolle zur Folge, sie würde auch der Umwelt dienen mit einer Senkung des CO2-Ausstosses um zehn Prozentpunkte. Offensichtlich scheint diesem Ansatz niemand mehr Vertrauen zu schenken. Vielleicht entsteht mit dem Projekt «Virtual Space» eine sinnhafte Alternative, ganz nach dem Motto: Wenn Mensch es nicht schafft, richtet es die Technologie.