Flug

Flight Attendant? Airline-Manager? Fliegender Kunde? Es könnte alles sein: Das Frustpotenzial ist aktuell hoch. Bild: AdobeStock

Kommentar Die Sorge vor dem grossen Sommer-Flugchaos wächst

Jean-Claude Raemy

Flugstreichungen, Flughafen-Chaos, miese Stimmung bei grossen Teilen des Personals, verunsicherte Kunden: Nach den Pandemieproblemen kommt die Luftfahrt trotz riesiger Nachfrage nicht wieder voll auf Touren. Das dürfte bis auf Weiteres so bleiben und verheisst für den Sommer wenig Gutes.

Eigentlich wäre ja alles angerichtet für einen tollen Sommer. Die Reiselust ist nach den Pandemiejahren, welche sehr viele innerhalb der eigenen Landesgrenzen verbracht haben, riesig. Das gilt für die Schweiz, wie unlängst SRV-Präsident Martin Wittwer festhielt, genauso wie fürs andere Ende der Welt, wo in Neuseeland weniger als einen Monat nach der Wiedereröffnung die Flüge bereits überbucht sind, wie etwa Daniel Eggenberger, General Manager Pacific bei Air Tahiti Nui, in lokalen Medien festhält.

Doch worüber hat man zuletzt gelesen? Über ein gigantisches Chaos an mehreren Flughäfen - in etwa sämtliche Flughäfen in Grossbritannien und Irland, aber auch in Amsterdam, wohin KLM zuletzt nicht einmal mehr Passagiere beförderte, um das Chaos abzufedern, sowie in etwas geringerem Masse auch in diversen anderen Ländern. In der Schweiz war die Situation wie so oft vergleichsweise entspannt, aber auch hier kam es teilweise zu langen Schlangen. Unter dem Strich wächst die Sorge: Ist die Luftfahrt für den Sommerferien-Ansturm gar nicht bereit?

Das scheint leider der Fall zu sein. Soeben hat die Swiss abermals diverse Sommer-Flüge kurzfristig gestrichen. Auch wenn nur zwei Prozent der Passagiere betroffen sind, so ist der Aufschrei bei diesen - immerhin rund 20'000 Personen - gross, und für Vertrauen hinsichtlich reibungsloser Ferienflüge sorgt ein solcher Schritt nicht. Grund für Letzteren ist aber auch ein Aufschrei bei den Crews. Besatzungsmitglieder fliegen mehr denn je. Lange Arbeitszeiten, mickrige Bezahlung, und am allerschlimmsten: Sie haben es mit zunehmend frustrierten Passagieren zu tun, die ihren Frust über das Luftfahrt-Chaos an Airports und bei Airlines regelmässig an Flugbegleitenden auslassen. Die Besatzungsmitglieder sind extrem müde, und hören gleichzeitig, dass die Rekrutierung neuer Kräfte schwierig ist. Die Pandemie hat neue Arbeitsrealitäten geschaffen - und der Tourismus inklusive Luftfahrt sind nicht Branchen, in welche derzeit gerne gewechselt wird, wie Travelnews gestern festhielt. Die Müdigkeit und Resignation führt mancherorts deshalb zu gesteigerten Ausfällen/Krankmeldungen beim verbliebenen Personal. Die Konsequenz: Flugausfälle. Ein Teufelskreis.

Kurzfristige Flugstreichungen sind zudem Gift für die Reisebranche. Im Reisebüro müssen sich von der Pandemie leidgeprüfte Angestellte zuerst einem Ansturm von Kunden stellen, was an sich erfreulich sein könnte, wäre da nicht parallel dazu die Frustbewältigung vieler Kunden aufgrund der instabilen Lage in der Luftfahrt sowie an den Flughäfen. Über alle Standorte hinweg fehlen den Dienstleistern, die an der Abfertigung der Passagiere beteiligt sind, rund 20 Prozent Bodenpersonal im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Personalmangel ist sogar in den Ferienzielen selber ein Problem (Travelnews berichtete): Vieles ist bereits ausgebucht und manche Ferienorte haben noch gar nicht genügend Personal, um den Sommeransturm zu bewältigen.

Schwieriger Spagat für Reiseunternehmen und Airlines

Das Szenario deutet also auf einen möglicherweise chaotischen Reisesommer hin... wurde die post-pandemische Nachfrageentwicklung massiv unterschätzt? Es sieht ganz so aus. Die Branche musste während der Pandemie leiden, verpasst es nun aber, davon zu profiteren, dass die Leute wieder Schlange stehen für Flugtickets.

Wurde zu stark beim Personal gespart? Das Mitleid mit den Airlines, welche zuerst viel Personal entliessen und nun händeringend wieder nach Personal suchen, hält sich jedenfalls in Grenzen. Nach dem Kahlschlag konnten die Lücken nicht schnell genug geschlossen werden. Das Problem war zwar schon früh ersichtlich und Swiss bot schon im vergangenen Dezember den Mitarbeitenden die Rückkehr an. Doch offenbar wollten nur wenige zurück. Zudem ist die Rekrutierung nicht so einfach: Wegen Sicherheitsauflagen und hohen Schulungs-Anforderungen kann Personal weder an Flughäfen noch bei Airlines «über Nacht» eingestellt werden. Verzweifelte Jobinitiativen, mittels denen neues Personal mit attraktiven Löhnen geködert wird, werden vom bestehenden Personal als Schlag ins Gesicht taxiert. Eine generelle finanzielle Verbesserung der Anstellungskonditionen wird aber nach zwei miserablen Pandemie-Jahren nur bedingt möglich sein.

Vielleicht hatte man auch zu sehr auf das neue Umweltverständnis gebaut. Man dachte, dass die Menschen künftig weniger fliegen, da Umweltschutz immer stärker in den Fokus gerät. Zumindest fürs Erste ist dies nicht der Fall. Die Menschen wollen «jetzt erst recht» verreisen. Manche Airlines verkaufen, nur um nachher doch wieder zu annullieren, wenn es operativ nicht aufgeht. Und das verärgert wieder die Kunden.

Gewiss, wir haben auch viele Menschen gesehen, welche ihre Pfingstferien reibungslos geniessen konnten. Doch auf Sozialen Medien und in der Retrospektive wird nie das Schlechte hervorgehoben. Zumindest solange die mediale Aufmerksamkei sich um endlose Warteschlangen, frustrierte Gäste und mit Streik drohendes Personal drehen, bleibt die Tourismusbranche in einem unschönen Scheinwerferlicht. Eines, welches die Attraktivität der Branche nicht steigert und möglicherweise auch die jetzt aufflammende Reiselust dämpft. Das Problem, wonach der Reiseboom nur unzureichend bedient werden kann, wird weitgehend als «hausgemacht» angesehen und als eine Konsequenz des «Hire & Fire» in Pandemiezeiten. Die Arbeitnehmenden sind nach den Entbehrungen wohl anspruchsvoller geworden, was die Art von Arbeit angeht, die sie bereit sind anzunehmen, und zu welchem Preis, und sie informieren sich über Arbeitsbedingungen. Die Menschen wollen mehr vom Leben. Das gilt für Reisende wie für Arbeitnehmende in der Reisebranche. Diesen Spagat müssen die Reiseunternehmen bewältigen können.

Eine weitere Lösung wäre eine Steigerung der Flugpreise, durchs Band. Doch ist dies just zum Zeitpunkt der wiederkehrenden Nachfrage heikel, zumal die Preise wegen der höheren Treibstoffpreise eh schon ansteigen. Und infolge des anhaltenden mörderischen Konkurrenzkampfs gerade mit Low-Cost-Carriern wird eine generelle Anhebung des Preisniveaus wohl kein Thema sein.