Flug
«Wir wollen den schnellsten Transport auf dezentralen Verbindungen bieten»
Jean-Claude RaemyDie Regionalfliegerei ist ein hartes Geschäft. Die Fixkosten sind hoch, doch die Skalierung ist ganz anders als bei grossen Airlines. Dazu kommt immer stärkere Konkurrenz im erdgebundenen grenzübergreifenden Nahverkehr. Das hat immer wieder zu Insolvenzen geführt und damit auch dazu, dass es - gerade auch im deutschsprachigen Raum - nur noch sehr wenig Regionalluftverkehr gibt, wenn man mal von klassischem Zubringerverkehr absieht. Für Privat- und Geschäftsreisende an peripheren Orten kann so die Reise zu einem anderen peripheren Ort schnell zu einer langen Tortur werden. Dabei wäre der Bedarf an regionalen Point-to-Point-Verbindungen durchaus da. Doch wie kann man diese kostenseitig vernünftig und dennoch attraktiv gestalten?
Genau hier setzt das Startup Flyv (ausgesprochen wird das wie «Flei Wii») an, was kurz für «FlyVirtual» ist. Das Unternehmen mit Sitz im Münchner Ortsteil Unterhaching wird von Anton Lutz als CEO und Mitgründer geleitet. Der Deutsche mit Wohnsitz Luzern ist derzeit bei der Swiss als Pricing & Steering Analyst engagiert. Für das Projekt FlyV stehen ihm weitere in der Schweiz bekannte Gesichter zur Seite: Etwa Tomislav Lang, der frühere CEO der Berner Regionalfluggesellschaft Skywork, oder René Moser, Geschäftsführer der HumanExcellence AG im Raum Bern.
Wie muss man sich nun das Konzept von FlyV vorstellen? Gegenüber Travelnews erklärt Anton Lutz: «Das Geschäftsmodell von Flyv lautet, Kunden von, nach und zwischen dezentralen Orten schneller zu transportieren als jedes andere Verkehrsmittel. Hierbei binden wir verschiedene fest definierte Flugplätze in unser System ein und bieten Verbindungen zwischen diesen Orten an.» Hierbei gibt es keinen festen Flugplan, sondern Möglichkeiten von Städtepaaren, welche Kunden auf Abruf, quasi wie bei Uber, bestellen können.
Aus Kundensicht gibt es laut vier Schritte:
- Schritt 1: Kunde wählt auf der Flyv-Website ein gewünschtes Städtepaar und Datum aus
- Schritt 2: Kunde bekommt verschiedene Produkte offeriert, wie Flyv ihn/sie von A nach B transportieren kann. Hierfür sind folgende vier Produkte geplant:
A. flyv Direct: sehr schnelles Zeitfenster und ein garantierter Direktflug
B. flyv Quick: immer noch schnelles Zeitfenster, aber maximal eine Zwischenlandung
C. flyv Classic: kompetitives Zeitfenster mit mehreren Zwischenlandungen möglich
D. flyv Saver: langes Zeitfenster mit mehreren Zwischenlandungen möglich
Hierbei wählt der Kunde eines der Produkte aus, z.B. flyv Quick von Bremerhaven nach Rosenheim am 25. August, Zeitfenster 07:00 Uhr bis 11:00 Uhr - Schritt 3: Drei Tage vor Abflug berechnet der Flyv-Algorithmus das optimale Routing für den entsprechenden Tag unter Berücksichtigung der verkauften Tickets, Flugzeuge, Crews etc.
- Schritt 4: Drei Tage vor Abflug informiert Flyv den Kunden über das Routing, selbstverständlich innerhalb des garantieren Zeitfenster. Im genannten Beispiel etwa «Abflug Bremerhaven 07:20 Uhr, Zwischenlandung in Mönchengladbach 08:45 bis 09:15 Uhr, Ankunft in Rosenheim 10:45.»
Hierbei seien zwei Algorithmen entscheidend: der eine, welcher - wie beschrieben - drei Tage vor Abflug die Routings und den Ressourceneinsatz definiert, und ein anderer, welcher permanent definiert, welche Produkte auf welchen Verbindungen zu welchen Zeitfenstern und zu welchen Preisen offeriert werden. Das bedeutet zwar, dass nicht auf jeder Verbindung jedes der vier Produkte angeboten wird. «Aber sobald ein Kunde eine Verbindung kauft, besteht eine Garantie, dass diese innerhalb des Zeitfensters auch so umgesetzt wird», präzisiert Lutz.
Auch Schweizer Regionalflughäfen im Visier
Mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz und einem flexiblen Flugplan soll also ein Mobilitätsproblem im Regionalverkehr elegant gelöst werden. Dazu Lutz: «Der ganz klare USP unseres Geschäftsmodells ist der schnellere Transport auf dezentralen Verbindungen. Mit unserem Modell sind wir nicht attraktiv auf Verbindungen wie Zürich-Wien, München-Hamburg oder Paris-London - hier bieten Unternehmen wie Swiss, Lufthansa oder Bahnunternehmen ein wesentlich besseres Produkt an. Aber in dem von uns angepeilten Markt - eben dezentrale Verbindungen - sind Kunden, auch mit Zwischenlandungen, wesentlich schneller Unterwegs als mit jedem anderem Verkehrsmittel.»
Der Vorteil des Flyv-Modells liege darin, einerseits durch die «on-demand»-Planung sehr dynamisch auf dünne und hoch volatile Nachfragen reagieren zu können, und anderseits aber keine 1-zu-1-Beziehung zwischen Kunde und Flugzeug zu haben, wie dies im Business-Jet-Segment üblich ist. «Dadurch haben wir wesentlich tiefere Stückkosten und können dadurch eine viel breitere Masse an potentiellen Kunden ansprechen, mit Preisen vergleichbar zu alternativen Transportmöglichkeiten», erklärt Lutz.
Aber welche Verbindungen wird es denn hier geben? «Zu beginn wird das Netz erst einmal aus wenigen Flugplätzen bestehen, um einerseits unsere Algorithmen zu testen und anzupassen, andererseits langsam Kunden für unser Modell zu begeistern und zu beweisen, dass wir für viele Kunden einen nachweisbaren Mehrwert liefern», gibt Lutz die Richtung vor. In einer anschliessenden Skalierungsphase sei dann die Erweiterung des Modells geplant - allenfalls auch mit der Möglichkeit, das dezentrale Netz mit den Netzen anderer Verkehrsanbieter zu verbinden, um somit Kunden in aus «sekundären Städten» ein breites Netz an schnellen Verbindungen offerieren zu können. Es gehe darum, bestehende Verkehrsflughäfen zu nutzen, welche aktuell unzureichend genutzt werden, weil es für diese auf Airline-Seite kaum tragfähige Geschäftsmodelle gibt.
Aber kommt die Schweiz in den Flyv-Überlegungen auch konkret ins Spiel? Ja: «Die Schweiz ist definitiv sehr weit oben auf unsere Prioritätenliste», sagt Lutz, «wir sind derzeit am Evaluieren und Definieren unseres initialen Netzwerkes, wobei wir hier neben kommerziellen Aspekten - wie dem Mehrwert, den wir auch mit einem kleinen Netz ab einem Flughafen anbieten, sowie der Marktlage per se - auch verschiedene rechtliche und operative Aspekte berücksichtigen müssen.» Zürich, Basel und Genf sind also kein Thema, Bern und Altenrhein sowie eventuell weitere könnten aber wohl durchaus eines sein. Im ganzen deutschsprachigen Raum rechnet Flyv langfristig mit bis zu 150 Destinations-Möglichkeiten.
Erste Flüge schon ab 2024 geplant
Das führt zur Frage, wie dieses Produkt vertrieben werden soll. Klassischer stationärer Vertrieb scheint erstmal nicht vorgesehen zu sein: «Das Produkt wird über unseren eigenen Kanal - Website oder App - vertrieben werden», führt Lutz aus, «wir sind aber unter anderem auch mit Partnern daran, Möglichkeiten zu entwerfen, weitere Dienstleister ‹vor und nach dem Flugplatz› auf unseren Vertriebskanal mit einzubinden. Einfach ausgedrückt: Sie geben Adresse A in Bremerhaven und Adresse B in Rosenheim ein und wir bieten ihnen eine gesamte Reisekette inklusive Uber/Taxi/Zug und mehr an.» Der Fokus liege klar auf dem Mehrwert, welcher die Flugverbindung von Bremerhaven nach Rosenheim bietet, doch ermögliche man dem Kunden auch alle sonstigen Transportbedürfnisse, um zum Flughafen zu kommen bzw. dann zum finalen Zielort zu gelangen. Und all dies soll schnell und effizient buchbar sein.
Doch womit wird überhaupt geflogen? Dazu Lutz: «Unser Fokus liegt klar auf Flugzeugen im Segment 9 bis 19 Sitze, welche effiziente Stückkosten aufweisen. Hierfür sind wir mit verschiedenen Herstellern in Kontakt und evaluieren gerade, welche Modelle wir zu Beginn nutzen. Jedoch sehen wir insbesondere grosse Chancen mit neuen, noch effizienteren Antriebstechnologien durch eVTOL- und eSTOL-Flugzeugen in ein paar Jahren, sobald diese Marktreif sind. Konkret: Wir haben uns bereits letztes Jahr mit electra.aero auf eine Abnahme von bis zu 100 derer Fluggeräte verständigt.»
Was noch nach Zukunftsmusik klingt, soll aber nicht mehr weit weg sein: Aktuell ist der erste kommerziell durchgeführte Flug für 2024 geplant. Dies hänge natürlich von geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ab. Der Termin könnte als laut Lutz nach hinten, aber auch sogar nach vorne rücken: «Sobald wir hier ein klares Datum definiert haben, werden wir es selbstverständlich kommunizieren.»