Flug

Die Flugpreise werden in Zukunft wohl eher steigen. Die Airlines haben es derzeit nicht einfach. Bild: Hanson Lu

Wohin bewegen sich die Airline-Tarife?

Nina Wild

Es gibt zahlreiche Theorien darüber, wie sich die Flugpreise in Zukunft entwickeln werden. Travelnews hat drei Experten um eine Einschätzung gebeten.

Wohl kaum eine andere Branche wurde so stark von der Corona-Pandemie durchgerüttelt wie die Aviatik. Zeitweise mussten gesamte Flotten in der Wüste - oder in der Schweiz auf dem Flugplatz Dübendorf - parkiert werden. Der Sektor scheint sich allmählich zu erholen. Zahlreiche Fluggesellschaften kündigten an, ihre Kapazitäten auf die bevorstehenden Sommerferien wieder hochzufahren. Ausserdem beflügeln gelockerte Einreisebestimmungen und Grenzöffnungen an zahlreichen Destinationen die Nachfrage.

Steigt die Nachfrage aber schneller als der Kapazitäts-Wiederaufbau der Airlines, werden höhere Preise befürchtet. Oder setzen Airlines zur Rückgewinnung der Passagiere auf Tiefpreise? Es ist eine vieldiskutierte Frage: Zu welchem Preis kann man künftig fliegen? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen und zahlreiche Faktoren, welche die Entwicklung beeinflussen. Travelnews hat bei drei Experten nachgefragt.

These 1: Aufgrund von Kapazitätsengpässen, weil der Betrieb wegen der Krise heruntergefahren wurde und gleichzeitig steigender Nachfrage, erhöhen sich die Preise. Für Airlines ist es nicht einfach, die Kapazitäten schnell hochzufahren, weil es vielerorts Personalmangel gibt.

Dr. Andreas Wittmer

Dr. Andreas Wittmer (Geschäftsführer des Center for Aviation Competence an der Universität St. Gallen): «These 1 stimmt teilweise. Für die Low-Cost-Carriers (LCC), die hauptsächlich innereuropäisch fliegen, ist es einfacher, das Netzwerk wieder hochzufahren. Es gibt hier kaum mehr Quarantäne- oder Einreisebeschränkungen, oder sie werden in den kommenden Monaten wohl aufgehoben. Zudem konnten LCCs viel effizienter runterfahren und kosten sparen. Daher dürften Preise mit LCCs weiterhin sehr dynamisch bleiben und auch sehr günstige Angebote möglich sein.

Auf der anderen Seite stehen die global agierenden Netzwerkairlines, die einerseits nach wie vor mit globalen Einreisebeschränkungen kämpfen und auch die Flugzeuge weniger schnell in die globalen Netzwerke integrieren können. Zudem müssen Piloten wieder sukzessive ausgebildet werden, was viel kostet. Da gibt es Abhängigkeiten innerhalb von Airline Gruppen, Allianzen und mit anderen Airlines, was es schwieriger macht, wieder hochzufahren und damit wird länger dafür gebraucht. Daher dürften hier die Preise eher steigen.

Was alle Airlines gleichermassen betrifft sind etwas höhere Kerosinpreise, Rückzahlung von Schulden und Zinsen. Diese Faktoren dürften zu einer Steigerung der Preise führen. Im dynamischen Preissystem heisst das, dass es sehr wohl sehr günstige Angebote geben kann, aber im Durschnitt aller Passagiere on Board der Preis eher steigen dürfte.»

These 2: Weil die Geschäftsreisenden weiterhin ausbleiben und die teureren Business Class Tickets nicht verkauft werden, erhöht sich der Preis für Reisende in der Economy Class, um das Defizit auszugleichen.

Andreas Wittmer: «These 2 ist korrekt. Geschäftsreisende werden weniger schnell und nicht zu 100 Prozent zurück kommen. Zumindest wird es etwas länger dauern bis sie das Level von 2019 allenfalls wieder erreichen werden. Geschäftsreisende buchen in der Regel eher später und damit zu höheren Preisen. Im Interkontinentalbereich buchen Sie öfter Business oder Premium Economy Class und tragen so überdurchschnittlich zum Finanzergebnis einer Airline bei. Dies dürfte dazu führen, dass Preise eher steigen.»

These 3: Bereits jetzt zeigen sich einige Fluggesellschaften preisaggressiv: Singapore Airlines lancierte vor kurzem einen 399-Franken-Tarif für Bangkok-Flüge ab Zürich und Emirates hat ebenfalls sehr günstige Preise zu verschiedenen Insel-Destinationen publiziert. Ausserdem starten Billigfluggesellschaften wie Easyjet oder Ryanair mit günstigen Tarifen durch. Damit Linienfluggesellschaften mithalten können, müssen sie sich diesen Preisen anpassen. Die Flüge werden aufgrund des Wettbewerbsdrucks deshalb in Zukunft also günstiger.

Andreas Wittmer: «These 3 ist kurzfristig korrekt. Es geht nun darum, den Interkontinentalmarkt, der weitgehend zum Stehen gekommen ist, wieder anzukurbeln. Gerade Singapore Airlines und Emirates bieten hauptsächlich Mittel- und Langstreckenflüge und sind stärker davon abhängig, Kunden schnell wieder zu gewinnen. Zudem sind die Einreisebestimmungen in vielen Ländern besonders in Asien immer noch mit Unannehmlichkeiten verbunden, wogegen Zentralamerika einfacher zu bereisen ist. Europäische Linienfluggesellschaften können auf dem Transatlantikmarkt bessere Margen erzielen. Auf diesem Markt sind sowohl Emirates, als auch Singapore Airlines nicht so kompetitiv.

Schlussendlich müssen Airlines finanziell selbständig überleben können. Mit etwas höheren Kerosinpreisen als im 2019, rückzahlbaren Schulden innert weniger Jahre, Zinsen, Wiedereinführungskosten bei Personal und Flugzeugen, werden zurzeit mehr finanzielle Mittel benötigt. Zudem muss der Gesamtladefaktor wieder die 70 - 80 % Grenze überschreiten (in allen Klassen). Diese braucht noch Zeit und birgt zusätzliche Kosten. Somit erwarte ich eher höhere Preise in der nahen bis mittelfristigen Zukunft.»

Tendenz eher steigend

Jürg Müller

Jürg Müller, Präsident des Board of Airline Representatives in Switzerland (B.A.R.), erklärt die Situation der Airlines wie folgt: «Nachfrage und Kapazitätsangebot werden auch in den nächsten Monaten hauptsächlich von offenen Grenzen, akzeptablen gesundheitlichen Hürden und dementsprechend einer steigenden Zuversicht der Reisenden abhängig sein. Die Perspektiven sind diesbezüglich zwar vielversprechend, auch weil die Schweiz das Testregime für die Rück- bzw. Einreise kürzlich wieder abgeschafft hat, hoffentlich nachhaltig. Unter diesen Voraussetzungen ist ein baldiges ‹return to normal› für europäische Destinationen durchaus realistisch, während der Zeithorizont zum Beispiel für Asien ein wesentlich längerer sein wird.

Zudem befinden sich die allermeisten Airlines im Wiederaufbau ihrer Netzwerke, hier ist offen inwiefern – und bis wann – diese punkto Grösse und angeflogenen Zielen wieder das Niveau von 2019 erreicht haben. Wenn überhaupt…»

Daraus leitet der Airline-Profi folgende Szenarien ab:

  • Aufgrund all dieser Fragezeichen wird es Preiserhöhungen primär bei einer erhöhten Nachfrage nach gewissen Destinationen oder Zielregionen geben. Kurzfristig mag das zu attraktiveren Preisen führen, weil die Nachfrage der wieder hochgefahrenen Kapazität nur verlangsamt folgt, das sollte sich aber über die Zeit wieder einpendeln. Das gilt auch für den Geschäftsreisemarkt, der zwar kurzfristig und auch nur teilweise durch mehr Leisure-Verkehr inklusive Premium ersetzt werden kann – allerdings mit einem ungewisseren Zeithorizont.
  • Punktuelle bzw. moderate Erhöhungen aufgrund von teilweise stark gestiegenen Kosten wurden schon durchgeführt und sind weiterhin zu erwarten. Die Industrie leidet punktuell unter massiv höheren Kerosinpreisen und erhöhten Gebühren von Systempartnern wie Flughäfen und Bodendienstleistern.
  • Grundsätzlich will bzw. muss die Branche wieder Geld verdienen um wieder investitionsfähig zu sein, nicht zuletzt in ökologische Technologie. Ein Hochseilakt nach der Pandemie, weil in vielen Fällen auch die Rückzahlung von Krediten bzw. Kapitalzuflüssen seitens der Eigentümer oder des Staates zu bedienen ist.

«Die Flugpreise sind in etwa immer noch so unbeständig wie vor der Krise»

Nick Gerber

Nick Gerber ist als Leiter Einkauf bei Globetrotter Travel Service tätig. Er findet Prognosen über Flugpreise per se schwierig, wie er erklärt: «Die Entwicklung der Flugpreise ist so eine Sache – da gibt es ganz viele verschiedene Aspekte. Und wie wir wissen, ist dieses Geschäft sehr schnelllebig und kaum vorhersehbar. Alle Thesen können eintreten – was nicht für alle Märkte gleich gelten und nicht für alle Airlines zutreffen muss. Das Flugangebot heraufzufahren wird zwar auch nicht ganz einfach sein – nicht weil Flugzeuge fehlen, sondern weil Personal fehlt. Dies bei sehr vielen Airlines und auch an den Airports.

Das kann unter Umständen auch die Preisentwicklung beeinflussen, weil beispielsweise eben weniger geflogen werden kann und somit das Angebot kleiner ist. Die Nachfrage der Kunden steigt – das merken auch wir. Flugplätze sind zur Zeit verfügbar – eher die Umsetzung vor Ort ist je nach Destination problematisch, wie zum Beispiel wegen fehlender Mietwagen/Motorhomes in den USA. Auch dies kann einen Einfluss haben, wenn dadurch Überkapazität am Flugmarkt entsteht. Meinem Empfinden nach sind die Flugpreise in etwa immer noch so unbeständig wie vor der Krise – im Moment wird eher an den Zuschlägen wie «Fuel» geschraubt. Die gehen tendenziell nach oben.»