Flug

Was muss die Luftfahrt tun bzw. tut sie schon, um ihren Beitrag für die Erreichung der Klimaziele zu leisten? Und welche Rolle spielt dabei die staatliche Steuerung? Bild: Thijs Stoop

Wie soll CO2-neutrales Fliegen bis 2050 ermöglicht werden?

Jean-Claude Raemy

Nach der Ablehnung der Totalrevision des CO2-Gesetzes sind neue Lösungen gefragt. Während die Politik im Hintergrund agiert, haben wir bei Swiss und Fair Unterwegs nachgefragt, welche Ansätze zu verfolgen sind.

In der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 wurde das revidierte CO2-Gesetz abgelehnt. Damit war, zumindest bis auf Weiteres, auch die Flugticketabgabe vom Tisch. Dennoch stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht mit der Luftfahrt. Die wegen Corona nun stark beeinträchtigte Luftfahrt wird früher oder später wieder an Fahrt aufnehmen, und mit ihr die Umweltbelastung - in einer Zeit, in welcher Umweltschutz immer mehr ins Zentrum der (politischen) Aufmerksamkeit rückt.

Die nationalrätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-N) hat nun neulich nicht nur einen Entwurf für ein Gesetz beschlossen, mit dem befristete Massnahmen des heutigen CO2-Gesetzes bis Ende 2024 verlängert werden, sondern sich auch mit der Frage um die zukünftigen klimapolitischen Massnahmen im Flugverkehr befasst. Gefordert wird ein Bericht zur Frage, wie CO2-neutrales Fliegen bis 2050 ermöglicht werden kann. Vor dem Hintergrund der geplanten vertieften Analyse hält es die Kommission derweil nicht für zweckmässig, die Einführung einer Flugticketabgabe oder einer internationalen Kerosinsteuer zu verlangen und lehnt die entsprechenden Standesinitiativen ab.

Flugticketsteuer, in vielleicht anderer Form, ja oder nein? Was kann die Luftfahrt tun um den ökologischen Fussabdruck zu verringern und was wird von den Umweltschutzorganisationen von ihr erwartet? Darüber wurde einerseits am gestrigen Clubhouse-Talk mit Tamur Goudarzi Pour (Swiss); André Lüthi (Globetrotter) und Max Loong (Unternehmer) diskutiert; wir haben aber auch noch separat bei Swiss und bei der Organisation Fair Unterwegs nachgefragt.


Die Flugticketabgabe – welche ja teilweise trotz Abschmettern der Gesetzesrevision noch gefordert war – ist vorerst vom Tisch. Was sagt die Swiss dazu?

Michael Stief, Mediensprecher Swiss: Die Einführung einer Schweizer Flugticketabgabe ist zur Reduktion der CO2-Emissionen des Luftverkehrs der völlig falsche Weg. Eine nationale Flugticketabgabe würde nicht zu weniger CO2 führen, jedoch die Wettbewerbsfähigkeit des Luftverkehrsstandorts und insbesondere der Schweizer Fluggesellschaften massiv gefährden. Das grundlegende Problem einer Schweizer Flugticketabgabe ist, dass eine solche aufgrund der internationalen Marktmechanismen nicht einfach auf die Passagiere überwälzt werden kann und keinen direkten Bezug zu den CO2-Emissionen einer Fluggesellschaft aufweist.

Was sagt Fair Unterwegs? Braucht es aus Ihrer Sicht trotzdem eine Flugticketsteuer?

Nina Sahdeva, Fair Unterwegs: Welche der Steuern der Bund vorzieht, ist letztlich egal. Wichtig ist, das Fliegen zu verteuern und Gelder für die Finanzierung eines nachhaltigen Umbaus des Verkehrssystems zu generieren.

Welche Mittel und Instrumente sind denn aus Sicht von Fair Unterwegs geeignet, um in der Luftfahrt die gesteckten Klimaziele zu erreichen?

Nina Sahdeva: Die Luftfahrt hilft am ehesten, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, indem sie offen ist gegenüber Regulierungen und diese nicht blockiert. Denn nur mit weniger Flügen lässt sich langfristig der CO2-Ausstoss der Flugbranche beschränken. Es gibt etliche Vorschläge dies zu erreichen, von der Flugticketabgabe (die Teil des abgelehnten CO2-Gesetzes gewesen wäre) über die Mehrwertsteuerpflicht für die Flugbranche bis zu Verboten von Kurzstreckenflügen oder – wohl einer der vielversprechenderen Ansätze – die «Vielfliegerabgabe»: der weitaus grösste Teil der Flüge wird in der Schweiz von einem Fünftel der Bevölkerung absolviert. Statt die Vielflieger mit «Miles & More»-Programmen zu belohnen, würden sie mit einer Steuer belegt, die sich mit jedem Flug oder jeder geflogenen Meile progressiv erhöht.

Bei einer Umfrage im Vereinigten Königreich im Jahr 2018 war die Vielfliegerabgabe (oder Flugmeilenabgabe) die beliebteste Massnahme. Diese könnte immer noch mit einer Kerosinsteuer und einer Mehrwertsteuer auf Flugtickets kombiniert werden, um die Steuer-Ungerechtigkeit gegenüber anderen Verkehrsträgern zu stoppen. Ein im Juni 2020 veröffentlichtes wissenschaftliches Paper kommt zum Schluss, dass «eine Vielfliegerabgabe im Vergleich zu einer Kohlenstoffsteuer fast doppelt so wirksam ist, d.h. die Hälfte des Wohlfahrtsverlustes bei gleicher Emissionsreduzierung, mit geringen Auswirkungen auf die unteren Einkommensquintile».

«Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die Vielfliegerabgabe.» (Nina Sahdeva)

Nun ist es ja nicht so, dass Airlines nichts tun. Welche Mittel sieht Swiss als probat an, um ein CO2-neutrales Fliegen bis 2050 zu erreichen?

Michael Stief: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Fluggesellschaften wieder wirtschaftlich erfolgreich operieren und investitionsfähig sein – und dies auch bleiben. Die Wettbewerbsfähigkeit des Luftverkehrsstandorts muss gegeben sein. Zu Dekarbonisierung des Luftverkehrs braucht es zudem Förderprogramme, die insbesondere für Markteinführung und Skalierung von SAF [Sustainable Aviation Fuel, Anm.d.Red.] unterstützen und die Optimierung des Air Traffic Managements ATM fördern, inklusive dem «Single European Sky». Grundsätzlich sind im Luftverkehr nur international, idealerweise gar weltweit koordinierte Massnahmen zielführend – aus ökologischen sowie ökonomischen Gesichtspunkten.

Es braucht also staatliche Regelungen...

Michael Stief: Swiss unterstützt den Aufbau von globalen Instrumenten wie «Corsia». Unter dem Vorbehalt, dass Wettbewerbsverzerrungen minimiert und «Carbon Leakage» verhindert wird, unterstützt Swiss international koordinierte Ansätze wie die Einführung einer SAF-Quote - im Gleichschritt mit der EU - und die Weiterentwicklung des ETS. Swiss erachtet zudem das Instrument einer verpflichtenden Beimischquote als taugliches Mittel, um den Einsatz und die Produktion von SAF voranzubringen. Vorausgesetzt eine solche wird international abgestimmt eingeführt und wettbewerbsneutral ausgestaltet.

Muss der Staat beim Umsteige-Prozess auf SAF-Treibstoffe eine beschleunigende Rolle spielen?

Nina Sahdeva: Mit einer Vielfliegerabgabe oder Kerosinsteuer könnte der Umsteigeprozess auf SAF-Treibstoffe querfinanziert werden. Aufgabe des Staates ist nicht, die Flugindustrie mit Steuergeldern zu fördern, sondern Rahmenbedingungen zu setzen, die der Erreichung der Pariser Klimaziele dienen. Dazu können allenfalls Zollerleichterung bei der Einfuhr von SAF oder andere Handelserleichterungen gehören.

Der Bund täte indes gut daran, die direkten und indirekten Subventionen der Flugbranche zu überdenken und sie auf klimaverträglichere Verkehrsträger umzuleiten.

Wie kann man aber sicherstellen, dass Airlines, welche ihren «Umwelt-Aufgaben» aktiv und bewusst nachkommen, keinen Nachteil erleiden gegenüber Airlines, die hier nicht aktiv sind?

Michael Stief: Ein international koordiniertes Vorgehen ist wie gesagt zentral, um die CO2-Emissionen des Luftverkehrs einzudämmen. Dies, um die Effektivität von Massnahmen zu gewährleisten und gleichzeitig Schlupflöcher/Umwegverkehr zu verhindern sowie Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Marktbasierte CO2-bezogene Systeme wie das ETS und Corsia setzen klare Anreize zur Dekarbonisierung. Unter dem Emissionshandelssystem (ETS) müssen Fluggesellschaften für ihre CO2-Emissionen bezahlen. Swiss ist seit 2020 im Verknüpften ETS der Schweiz und der EU Integriert. Auch das UN-Instrument Corsia schafft einen CO2-Preis. Seit Herbst 2018 ist in der Schweiz Corsia in Kraft, unter dem Fluggesellschaften die CO2-Emissionen über dem Level von 2019 kompensieren müssen. Bislang haben 88 Staaten, darunter die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei sowie die Länder des europäischen Wirtschaftsraums, ihre Fluggesellschaften zur Teilnahme verpflichtet.

Derzeit arbeitet eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des BAZL [Bundesamt für Zivilluftfahrt, Anm.d.Red.] an den Grundlagen für eine langfristige global orchestrierte Absenkung der CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs. Zudem hat die internationale Luftfahrtbehörde ICAO im Januar 2020 einen CO2-Effizienzstandard für Flugzeuge eingeführt.

«Swiss unterstützt den Aufbau von globalen Instrumenten wie Corsia sowie die Einführung einer SAF-Quote.» (Michael Stief)

Bislang muss man aber davon ausgehen, dass das Wachstum im Flugverkehr allfällige Ökobilanz-Verbesserungen unter dem Strich quasi zunichte macht. Eine zentrale Frage ist also das zukünftige Volumen in der Luftfahrt: Kommt es wieder zum massiven Wachstum wie vor der Pandemie? Und wie soll das «Volumenproblem» gelöst werden?

Michael Stief: Mit dem ETS und Corsia ist der Luftverkehr in zwei marktbasierte Klimainstrumente eingebunden, welche für eine Absenkung der CO2-Emissionen sorgen. Eine moderne Flotte und verbesserte operative Verfahren sind kurz- und mittelfristig die sinnvollsten Massnahmen, die CO2-Emissionen schnell und effizient zu reduzieren. Der Schlüssel zum CO2-neutralen Fliegen liegt aber in der Nutzung von SAF. Es ist von herausragender Bedeutung, dass die Entwicklung und Markteinführung von SAF nun mit aller Kraft vorangetrieben wird. Hierfür braucht es gemeinsames, international koordiniertes Engagement aller – der Branche, der Produzenten, der Politik und der Behörden.

Nina Sahdeva: Die Nachfrage wird wohl wieder ansteigen, aber vielleicht wird das Wachstum etwas flacher als vor der Pandemie prognostiziert. So scheinen gemäss Umfrage der Stiftung für Zukunftsfragen die Reisebeschränkungen im letzten Jahr bei einer Mehrheit der deutschen Reisenden nicht zu verstärktem Fernweh, sondern eher zur Erkenntnis geführt zu haben, dass ihnen Quality Time mit der Familie und mit Freunden in den Ferien wichtiger ist als exotische Strände und sie sich gut vorstellen könnten, künftig auch in der Nähe Ferien zu verbringen. Möglicherweise gilt das auch für die Schweizerinnen und Schweizer. Dafür gilt es jetzt die Weichen zu stellen mit guten, bezahlbaren ÖV-Verbindungen. Und generell gilt es die Sinnhaftigkeit von Flügen zu hinterfragen: Welche Flüge sind Bullshit und welche braucht es wirklich? Da scheint ein gesellschaftliches Umdenken zumindest zu beginnen.


Das wurde im Clubhouse-Talk gesagt

Im Rahmen des Clubhouse-Talks zur Zukunft des Reisen wurde das Thema Nachhaltigkeit natürlich auch diskutiert. Swiss-COO Tamur Goudarzi Pour hielt dieselben Punkte wie Swiss-Sprecher Michael Stief fest - also dass die Swiss dank moderneren Flugzeugen bereits 30 Prozent Treibstoff-Ausstoss spart, dass die Regelung des europäischen Luftverkehrs - aktuell ein Flickenteppich - besser reguliert werden soll, und dass man beim Corsia aktiv dabei ist. Goudarzi Pour erklärte auch, dass SAF «ein grosses Thema» bei Swiss sei und man dieses bei Swiss bereits dazubuchen könne - «es ist bereits möglich, grün zu fliegen», so Goudarzi Pour. Das aktuelle Problem sei, dass SAF noch viel zu teuer sei und es Anreize brauche, dieses zu verwenden, da viele herkömmliche Flugzeuge noch auf Jahre hinaus fliegen werden und Alternativen etwa im Elektro-Bereich noch nicht vorhanden sind.

André Lüthi derweil wiederholte sein Credo, dass man lieber weniger und dafür längere Ferien machen soll, also weniger oft fliegen soll, und dafür wieder viel bewusster ins Ausland reisen soll. Lüthi sieht in der Wiederentdeckung des Reisens (statt dem durch Tiefstpreise angekurbelten «einfach mal weg») denn auch die Bereitschaft steigen, wieder etwas mehr für Flugtickets zu bezahlen. Er sieht also, ähnlich wie Fair Unterwegs, die Lösung vor allem in Verhaltensänderungen bei der Kundschaft, welche allerdings auch herbeigeführt werden müssen. Lüthi outete sich hierbei als Befürworter der Flugticketabgabe, doch hätte man deren Erlöse zu 100% in ökologische Projekte der Luftfahrt stecken sollen und keine Lenkungsabgabe daraus machen sollen.

Max Loong schliesslich, aufgrund seiner Wohnorte Zürich Los Angeles und Singapur und einem privaten Hotelprojekt auf Bali ein klassischer Vielflieger, geht auch davon aus, dass ein Teil der Flugreisen, gerade im Geschäftsreisebereich, gar nicht zurückkehren wird. Ob er aber bereit wäre, einfach mehr für Flüge zu bezahlen, liess er offen. Das «Strafen» durch höhere Preise ist wohl kaum eine Lösung, sofern diese nur pro Unternehmen oder Land erteilt wird. Loong hielt darüber hinaus fest, dass in Nordamerika oder Asien das «Flightshaming» ein viel kleineres Thema sei als in Europa. Und wenn sich die erwachende asiatische Mittelklasse mal ans Reisen machen will, wird man diese nicht aufhalten können. Also braucht es doch Lösungen, welche auch mit erhöhtem Nachfrage-Volumen klarkommen und nicht einfach auf weniger Flugverkehr infolge veränderter Bedürfnisse bauen...  


Im Nachgang zu obigen Statements ist anzumerken, dass die UREK-N beschlossen hat, dass die Schweiz bis Ende 2024 ihre Treibhausgasemissionen jährlich um weitere 1,5 Prozent gegenüber 1990 vermindern soll. Dabei hält die Kommission fest, dass drei Viertel der Verminderungen im Inland zu realisieren sind. Sie erachtet es als sinnvoll, dass auch Massnahmen im Ausland angerechnet werden können, um das Reduktionsziel bis 2024 zu erreichen.

Ebenso macht es die Verlängerung des Reduktionsziels möglich, die CO2-Kompensationsmassnahmen für fossile Treibstoffe weiterzuführen. Im Zusammenhang mit der Diskussion um SAF wichtig: Der Bundesrat soll den Kompensationssatz in Zukunft auch abgestützt auf die CO2-Emissionsentwicklung im Verkehr festlegen können. Das würde für mehr Investitionssicherheit sorgen, weil die Treibstoffimporteure so einen Anreiz haben, bereits heute neue Projekte und Programme für die Zeit nach 2024 zu lancieren.

Ohne Gegenstimme spricht sich die Kommission dafür aus, Verminderungsverpflichtungen von Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige bis Ende 2024 zu ermöglichen. Wenn die Unternehmen ihre Emissionen zusätzlich um zwei Prozent pro Jahr absenken, erhalten sie die CO2-Abgabe zurückerstattet. Was die CO2-Abgabe selbst betrifft, fordert eine Minderheit eine Erhöhung auf höchstens 145 Franken pro Tonne CO2 für den Fall, dass die Zwischenziele für Brennstoffe nicht erreicht würden. Weitere Minderheiten verlangen, dass verschiedene Elemente aus der abgelehnten Totalrevision des CO2-Gesetzes in die Vorlage aufgenommen werden: Eine Abgabe für Business- und Privatjets sowie eine Überprüfung klimabedingter finanzieller Risiken durch die Finma und die SNB.