Flug

Tamur Goudarzi Pour sagt im Interview: «Jetzt sind wir deutlich zuversichtlicher, was den Kontinentalverkehr angeht.» Bild: TN

«Wir schulden den Reisebüros einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag»

Gregor Waser

Tamur Goudarzi Pour, Chief Commercial Officer von Swiss, äussert sich im Interview zum neuen, erweiterten Flugplan, zum erwarteten Hilfskredit und zu den noch offenen Forderungen von Reisebüros und Passagieren.

Herr Goudarzi Pour, die Swiss steht in der Kritik wegen den ausstehenden Rückvergütungen. Wie sieht jetzt die Situation aus, nachdem der 1,275-Milliarden-Kredit nun fliessen sollte?

Tamur Goudarzi Pour: Wir sind sehr froh, dass letzte Woche in Deutschland ein positiver Entscheid gefällt wurde, der auch für Swiss bedeutet, dass unsere Liquidität gesichert ist. Die Details der Ausarbeitung dieses Pakets stehen noch aus, ebenso die Unterschrift des Vertrages. Es ist bisher noch kein Geld geflossen. Nichtsdestotrotz gibt uns das natürlich Sicherheit. Bereits vor dem Entscheid haben wir unsere Ressourcen sukzessive erhöht, können die Flugtickets aufgrund der sehr hohen Nachfrage jedoch nicht innerhalb der üblichen Fristen erstatten. Ich möchte mich noch mal ausdrücklich dafür entschuldigen. Wir halten uns an das geltende Recht und haben bis anhin einen dreistelligen Millionenbetrag ausbezahlt, mittlerweile wöchentlich Tickets im Wert von mehreren Millionen Schweizer Franken. Wichtig ist, dass wir in den nächsten Wochen weiter vorankommen. Unser Ziel ist es, in den nächsten sechs Wochen die Ansprüche jener Kunden, die am längsten warten, weitgehend abzuarbeiten. Wir halten uns selbstverständlich auch an die Auflagen des Bundes, den Reiseveranstaltern im Rahmen des Pauschalreisegesetzes bis spätestens Ende September die durch Covid entstandenen Forderungen zu erstatten.

Aber es besteht auch Hoffnung, dass die Gelder früher fliessen?

Wir versuchen, dies möglichst schnell zu tun. Die neueren Erstattungsanträge aller Kunden werden innerhalb von zwei bis drei Monaten rollierend bearbeitet und die Wartezeiten sukzessive weiter verkürzt.

Am Sonntag kursierte in der Presse die Zahl von 800 Millionen Franken, was die offenen Beträge betrifft.

Diese Zahl stimmt nicht. Wir gehen davon aus, dass alle aufgelaufenen und noch entstehenden Rückerstattungsforderungen in Summe einen niedrigen, dreistelligen Millionenbetrag ausmachen. Es ist auch nicht zutreffend, dass wir den Reisebüros noch mehrere hundert Millionen Franken schulden. Der jetzt noch offene Betrag ist ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag.

«Wir machen mit dem erweiterten Flugplan einen grossen Schritt nach vorne.»

Sie haben den Flugplan nun deutlich ausgebaut. Welche Überlegungen stecken dahinter?

Das ist die bisher grösste Neuveröffentlichung des Flugplans, die wir bei Swiss je gemacht haben. Wir machen damit einen grossen Schritt für uns nach vorne, um unseren Kunden auch wieder Vertrauen in den Flugplan zu geben. Mit diesem bis 24. Oktober sukzessive ausgebauten Flugplan nehmen wir wieder 40 Prozent der ursprünglichen Flüge auf. Bis im Oktober sind das rund 1400 wöchentliche Abflüge und 85 Prozent der Destinationen. In der Vergangenheit konnten wir den Flugplan nur stückweise veröffentlichen, weil wir nicht wussten, wohin die Reise geht. Jetzt sind wir deutlich zuversichtlicher, was den Kontinentalverkehr angeht. Es werden auch wieder gewisse Länder ausserhalb des Schengen-Raums geöffnet, wenn auch nicht in der ursprünglich erhofften Zahl. Wir sind insgesamt sehr positiv, dass wir mit den spannenden Zielen sowohl für den Touristik-Bereich als auch für Geschäftsreisende wieder ein tolles Programm bieten.

Was bedeutet diese Änderung für Swiss?

Wir sprechen hier bis Oktober von einer Million Kunden und Buchungen, die von den Netzwerkanpassungen betroffen sind und nun betreut werden. Das bedeutet für uns in der Umbuchungsphase natürlich sehr viel Arbeit. Aus diesem Grund sind unsere Call-Center absolut am Anschlag und ich bitte da um Entschuldigung und auch Verständnis, wenn es zu Verzögerungen und längeren Wartezeiten kommt. Alle diejenigen Passagiere, die noch Zeit mit der Bestätigung haben, bitten wir erst später auf uns zuzukommen.

Sie bieten 85 Prozent der Ziele an, indes mit nur 40 Prozent der Flüge. Der Flugplan an viele Ziele scheint noch ziemlich ausgedünnt.

Uns war es wichtig, ein möglichst breites Netzwerk an Destinationen anzubieten. Zu gewissen Zielen führen wir aktuell deutlich weniger tägliche oder wöchentliche Flüge durch als vorher. Wichtig ist, dass unsere Passagiere an jene Ziele kommen, an die sie möchten, auch wenn die Flugdaten und Zeiten noch reduziert sind.

Wie gestaltet sich der Verkauf angesichts der ständig ändernden Einreisebestimmungen und einer unübersichtlichen Lage?

Das ist eine Herausforderung für uns alle in der Reisebranche, ob für Reisebüros, Veranstalter, uns Airlines oder für Kunden. Auf swiss.com haben wir deswegen ein Travel Briefing erstellt, in dem wir unseren Kunden in wenigen und einfachen Schritten aufzeigen, was zu tun und zu beachten ist.

«Klassische Ferienziele wie Portugal, Spanien und Griechenland werden gut nachgefragt.»

Welche Nachfrage verzeichnen Sie bereits wieder?

Es gibt sicherlich einige Nachholeffekte von Leuten, die bisher nicht reisen konnten. Wir sehen in Europa kurzfristig eine sehr starke Nachfrage und eine hohe Auslastung, die fast auf Vorjahresniveau liegt, wenn auch bei deutlich weniger Kapazität. Bei den touristischen Destinationen und im Besuchsreiseverkehr, dem so genannten «visiting friends and relatives», gibt es schon eine gute Nachfrage, die bei Geschäftsreisen noch nicht gleich stark ist. Die Nachfrage bezieht sich vor allem auf Europa, auf interkontinentalen Strecken ist sie noch deutlich schwächer.

Welche Destinationen ziehen bereits wieder?

Klassische Ferienziele wie Portugal, Spanien und Griechenland werden gut nachgefragt, aber auch gewisse grosse Städte in Deutschland oder in Nordeuropa.

Wie gut funktioniert das Hub-System? Gibt es bereits wieder Umsteigeverkehr?

Teilweise schon. Die Mehrheit der Passagiere sind aber Direktreisende, die von A nach B fliegen. Es gibt aber auch einen gewissen Umsteigeverkehr über Zürich, den es sonst nicht in der Form gibt, weil einige Mitbewerber ihren Flugplan noch nicht hochgefahren haben.

«Wir wollen mit allen Mitarbeitenden durch die Krise kommen.»

Mit welchem Personalabbau müssen die Swiss-Mitarbeitenden rechnen?

Wir haben klar als Ziel kommuniziert, dass wir mit allen Mitarbeitenden durch die Krise kommen wollen. Das heisst nicht, dass wir die Anzahl der Stellen halten können. Neuanstellungen erfolgen derzeit keine. Wir werden langfristig sicherlich auch verstärkt auf neue Arbeitsmodelle etwa im Bereich Teilzeit setzen. In der Zwischenphase hilft uns die Kurzarbeit.

Mit welchen weiteren Herausforderungen haben Sie derzeit zu kämpfen?

Für uns alle ist die grosse Frage, wie sich sich die ganze Situation weiter entwickelt, gerade im Langstreckenbereich. Die Signale in den letzten Tagen waren da nicht immer positiv, was etwa Nord- und Südamerika angeht, aber auch Richtung Asien ist der Flugreiseverkehr noch nicht angesprungen. Ganz essenziel für uns ist aber das Vertrauen des Kunden in das Fliegen selber. Was wir deutlich machen können ist, dass die Reisekette und vor allem das Fliegen sicher ist. Unter anderem sind unsere Flugzeuge mit hochwertigsten Luftfiltern ausgestattet sind, die die Luft wie in einem Operationssaal reinigen.

Und welche Botschaft haben Sie für die Schweizer Reisebüros und Veranstalter?

Wir sitzen alle im gleichen Boot, wenn auch gelegentlich Emotionen da sind. Aber wir brauchen einander gerade in der jetzigen Phase, um den Kunden entsprechende Angebote bieten zu können. Wir versuchen stets auch das Gespräch mit den Partnern zu suchen und reichen da die offene Hand.