Flug

Tamur Goudarzi Pour (50) ist seit dem 1. Januar 2019 Chief Commercial Officer von Swiss. Bild: TN

«Wir sind laufend dran, Rückvergütungen zu erstatten»

Gregor Waser

Der Chief Commercial Officer von Swiss, Tamur Goudarzi Pour, nimmt im Interview mit Travelnews Stellung zum Reisebüro-Ärger und sagt, wie das Fliegen von morgen aussehen wird.

Herr Goudarzi Pour, der Ärger der Reisebüros über die nicht erfolgten Rückvergütungen ist gross. Was sagen Sie zur aktuellen Situation?

Tamur Goudarzi Pour: Zunächst einmal gab es viele Emotionen rund um Rückvergütungen, was ich verstehen kann. Wir bedauern, dass wir nicht in der gewohnten und sonst üblichen Zeit die Rückvergütungen machen können. Dies ist übrigens kein spezifisches Swiss-Thema, sondern eines, das die ganze Airline-Industrie gleichermassen betrifft. Hätte die Luftfahrtbranche umgehend alles erstattet, wäre vielen Fluggesellschaften die Liquidität ausgegangen.

Stehen Sie im Kontakt mit dem Schweizer Reise-Verband oder Reisebüro-Vertretern, um die Wogen zu glätten?

Es ist wichtig, dass wir am Thema gemeinsam arbeiten. Wir hatten letzte Woche ein konstruktives Gespräch mit dem Schweizer Reise-Verband und verschiedenen Reisebüro-Vertretern. Am Ende des Tages sitzen wir in einem Boot. Wir können das Problem nur lösen, wenn wir es gemeinsam angehen und in dieselbe Richtung rudern.

Welche Message haben Sie an die Reisebüros?

Wir stellen die Forderungen überhaupt nicht infrage und wir halten uns auch stets an das geltende Recht. Wir konnten aber angesichts des hohen Volumens an Forderungen die üblichen Fristen nicht einhalten und haben darum um Verständnis gebeten. Wir sind aber laufend dran, Rückervergütungen zu erstatten. Das betrifft alle Stakeholders, sowohl im Bereich B2B wie B2C. Wir haben in diesem Jahr bereits Rückvergütungen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich getätigt. Diese Zahl ist höher als die der beantragten, aber noch nicht rückbezahlten Forderungen. Trotzdem kommt es leider zu Verzögerungen. Parallel zum erwirkten Rechtsstillstand beim Pauschalreisegesetz werden wir die Auflage, die wir vom Bund erhalten haben, erfüllen und den Reiseveranstaltern ebenfalls im Rahmen des Pauschalreisegesetzes bis zum 30. September 2020 sämtliche Forderungen die durch Covid19 Streichungen entstanden sind, rückvergüten. Diesen Punkt haben wir mit dem SRV diskutiert, wir werden den Dialog dazu weiter suchen.

«Wir müssen uns für die neue Welt vorbereiten»

Wie gehen Sie da vor?

Alle Rückvergütungen, ob B2B oder B2C, werden auf einer Queue gesammelt und werden nach einem fairen Verteilungsschlüssel sukzessive ausbezahlt. Die, die am längsten drin sind, haben eine höhere Priorität. Wir haben zudem ein Angebot an die Reiseveranstalter rausgegeben: eine UATP-Karte von Airplus, mit der wir künftige Verkäufe mit aufgelaufenen Rückvergütungen gegenrechnen können. Mit jedem interessierten Veranstalter werden wir ein Gespräch dazu führen. Zu dieser zusätzlichen Option haben wir schon positives Feedback erhalten. Weiter haben wir unsere Ticket Waiver Policy geändert und die Umbuchungsmöglichkeiten bis am 31. Dezember 2021 verlängert, was den Kunden hilft und uns wiederum Liquidität verschafft. So können Kunden beispielsweise eine Urlaubsbuchung für diesen Sommer bereits jetzt auf das nächste Jahr umbuchen lassen. Mit dieser Regelung  erhalten auch Reisebüros mehr Flexibilität, ihre Kundenbuchungen zu behandeln. Diese Massnahmen sind Schritte, um das Thema gemeinsam zu lösen. Wichtig ist, dass die Situation existenziell für die gesamte Branche ist, nur gemeinsames Krisenmanagement wird funktionieren. Gleichzeitig müssen wir uns für die neue Welt vorbereiten, die sehr wahrscheinlich nicht mehr so aussehen wird, wie die alte Welt.

Wie wird diese neue Welt aussehen?

Eine wichtige Frage ist, wie der Kunde sicher und gesund reisen kann. Auch diese Frage können wir nur gemeinsam den Kunden gegenüber kommunizieren. Wir müssen den Kunden Flexibilität und Sicherheit anbieten. Wir müssen uns fragen, welche Rolle dabei umfassende und gezielte Information und Beratung spielt. Und diese Rolle wird sicherlich keine geringe sein. Gleichzeitig werden Kunden auch verstärkt digitale Angebote nutzen. Eine Verhaltensänderung, die sich während der Corona-Krise noch einmal stark beschleunigt hat. Wenn wir uns an die neue Welt nicht anpassen, wird es sehr schwierig für die gesamte Branche, überhaupt wieder an die Umsatzzahlen anzuknüpfen, die wir mal hatten. Wir sprechen hier von einem langen Weg. Es ist kein U und kein V, sondern eher wie eine Nike-Bildmarke: es geht stark schnell runter und dann nur langsam wieder hoch. Den Umsatz des Jahres 2019 dürften wir wohl erst wieder im Jahr 2023 erreichen.

Wir sieht Ihre künftige Produktgestaltung aus?

Kurzfristig werden wir viele neue und kreative Angebote lancieren. Da wird auch die Distributionsform von Bedeutung sein. Themen wie NDC werden nicht verschwinden, sondern die Darstellungsmöglichkeiten, die man in solchen Kanälen hat, werden eher noch stärker ins Gewicht fallen. Wir müssen bei aller Technologie immer sicherstellen, dass wir die Menschen für ein neues Reisen begeistern. Da tun wir als Swiss alles, um ein guter Partner zu sein und unterstützen den Einstieg des Agenten in die neue Welt zusätzlich.

Was sagen Sie zur Forderung der Reisebüros, dass die Zahlungsmodalitäten ändern müssen?

Wir werden sicher das Thema Liquiditätssicherung zu gegebener Zeit vertieft aufnehmen, schon aus purem wirtschaftlichen Eigeninteresse. Zunächst müssen wir aber die aktuelle Krise bewältigen.

«Die Wahrscheinlichkeit, sich im Flugzeug anzustecken, ist sehr gering»

Wie haben Sie die letzten acht Wochen aus Ihrer Warte erlebt?

Wie jeder auch, mit einer gewissen Sorge, was Familie und Verwandte, insbesondere ältere und besonders gefährdete Menschen betrifft. Persönlich habe ich neben vielen Telefonaten auch viele Videokonferenzen abgehalten, was nicht immer befriedigend war und uns zeigt: der persönliche Kontakt wird auch in Zukunft wichtig sein. Das haben wir wohl alle erfahren, in welchen Situationen Videokonferenzen funktionieren und wann nicht. Das muss sich alles noch austarieren. Zudem bin ich auch ab und zu zwischen Deutschland und der Schweiz gependelt, nun auch mit Grenzkontrollen. Da beginnt man schon das freie Reisen und die grenzenlose Mobilität zu schätzen. Es ist sehr wichtig, dass wir alle daran arbeiten, dass wir auch in der neuen Welt diese Freiheit ermöglichen können und den Kunden Angebote zur Verfügung stellen, bei denen sie sich während dem Reisen gut und sicher aufgehoben fühlen.

Wie wird das neue Fliegen aussehen?

Es wird entlang der gesamten Reisekette zu Veränderungen kommen. Neben den Massnahmen die wir bereits kommuniziert haben, führen wir intensiv Gespräche mit allen Stakeholdern und Behörden, welche Auflagen wie umgesetzt werden können. Gleichzeitig gilt es Massnahmen gemeinsam mit den Branchenverbänden und Regierungsvertretern zu harmonisieren, um die  Kunden nicht noch weiter mit unterschiedlichsten Regeln zu verunsichern. Ein Schlüssel, um Vertrauen zu schaffen, ist eine gute Kommunikation. Die Kunden brauchen heute umso mehr gute und verlässliche Informationen, wann sie wohin, sicher und mit welchen Auflagen verbunden fliegen können. Sie wollen sich gut aufgehoben fühlen können. Viele sind sich noch nicht bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, sich im Flugzeug anzustecken, sehr gering ist. Wir haben eine spezielle Luftzirkulation von oben nach unten und setzen Filter ein, die mit denjenigen von Operationssälen vergleichbar sind. Zudem werden ständig grosse Mengen an Frischluft zugeführt. Das Freilassen des Mittelsitzes erachten wir dementsprechend nicht als erforderlich. Dies würde sich auch stark auf die Profitabilität auswirken. Wir empfehlen jedoch, bis Ende August eine Mundschutzmaske während dem Flug zu tragen – das gilt für die gesamte Reisekette, nicht nur im Flugzeug.

Stellen Sie die Masken eigentlich zur Verfügung?

Die Masken werden nicht von Swiss den Passagieren zur Verfügung gestellt. Dies liegt in deren Eigenverantwortung. Wir haben aber ein paar Reserve-Masken an Bord, sollte jemand dringend eine benötigen.

«Bis Ende Jahr streben wir 50 Prozent des letztjährigen Flugangebots an»

Wie schwierig ist das Hinauffahren eines ersten Flugplanes?

Wir haben nie aufgehört zu fliegen, sondern stets einen Minimumflugplan mit 3% des Angebots aufrecht erhalten. Das war wichtig für unsere Verantwortung als Airline der Schweiz, auch wenn wir dabei nur knapp unsere Kosten decken konnten. Die Frachtkapazitäten wurden dringend für den Transport von medizinischen Hilfsgütern benötigt. Zudem haben wir auch Rückholflüge für die Schweiz durchgeführt. In einem nächsten Schritt werden wir unser Flugangebot im Juni auf 15-20 Prozent erhöhen. Dies ist sehr schwierig, da je nach Land andere Restriktionen gelten und Lockerungen pro Land schwierig einzuschätzen sind. Es gibt Menschen, die fliegen müssen und fliegen können und für die haben wir die neuen Flüge aufgelegt. Dazu müssen wir die richtigen, teils kleineren Flugzeuge auswählen. Gleichzeitig müssen wir die Kosten im Auge behalten. 90 Prozent der Piloten und Flugbegleiter sind in Kurzarbeit. Eine besondere Herausforderung stellt dabei unser Hub-Geschäftsmodell dar. Um dieses aufbauen zu können, benötigen wir Umsteigepassagiere. Nur dadurch können wir der Schweizer Volkswirtschaft die so wichtigen interkontinentalen Direktverbindungen anbieten.

Wie gestaltet sich der Aufbau des Flugplanes über den Juni hinaus?

Wir möchten das Angebot sukzessive erhöhen und nicht mehr nur auf Sicht fliegen. Der bisherige Zweiwochen-Rhythmus, den Flugplan anzupassen, hat sich in der Krise zwar bewährt. Nun wollen wir aber auch weiter nach vorne schauen und in wenigen Wochen einen Flugplan verkünden, der sich Richtung 50 Prozent des Flugangebots bis Ende 2020 weiter entwickelt.

Wie schätzen Sie die Lage bis in einem Jahr ein?

Der Reiseverkehr hinkt der wirtschaftlichen Erholung hinterher. Er geht  als erster zurück und kommt als letzter wieder hoch. Ob auf 60, 70 oder 80 Prozent der Kapazität wissen wir noch nicht.

Welche Projekte müssen Sie aus Sparzwang nun auf Eis legen – Premium Economy, neue Destinationen wie Washington und Osaka?

Wir haben alle Projekte auf den Prüfstand gestellt und viele, nichtbetriebsnotwenige Projekte gestoppt. An der Premium Economy halten wir fest, wenngleich es bei der Einführung zu einer Verzögerung kommen wird. Gerade in der neuen Normalität könnte ein solch preiswürdiges, neues Angebot sehr gut ankommen. Was den Flugplan anbelangt, liegen unsere Prioritäten beim vormals etablierten Angebot. Ziel ist es, die Anbindung der Schweiz an die Welt sicherzustellen, vorerst aber mit weniger Frequenzen. Im Juni fliegen wir immerhin schon wieder 41 europäische Ziele aus Zürich und Genf an. Erfreulicherweise können wir auch wieder einige Interkontinentalstrecken aufnehmen. Neue Destinationen müssen da erstmal warten.

Welche Rückmeldungen aus dem Head-Office haben Sie zur Bedeutung des Hubs Zürich?

Die Lufthansa Group glaubt an den Hub in Zürich. Ich möchte auch betonen, dass wenn die Swiss und die Lufthansa diese Funktion nicht mehr ausüben würden, es sehr unrealistisch wäre, dass eine andere Gesellschaft diese Rolle wahrnehmen kann. Die direkte Anbindung der Schweiz an die interkontinentalen Märkte würde stark zurückgehen. Die Lufthansa hat seit der Übernahme der Swiss bewiesen, dass sie am Hub in Zürich festhält und das Streckennetz stark erweitert. Swiss ist und bleibt ausserdem ein wichtiger Teil der Multi Hub Strategie der Lufthansa Group und profitiert von der Stärke des Verbunds. Auch bei der Positionierung als Premium Carrier haben wir die volle Unterstützung. Der funktionierende Hub ist auch Bestandteil des Vertrages mit dem Bund. Eine noch zu konstituierende Luftfahrtstiftung wird die Entwicklung am Hub Zürich beaufsichtigen.

Wie sehen Sie den Punkt, dass die Staatshilfe der Schweiz nur dann in Kraft treten soll, wenn auch die Lufthansa gerettet wird?

Diese Verbindung war nicht explizit Teil der Vereinbarungsgespräche zwischen der Swiss respektive der Lufthansa Group und dem Bund gewesen. Nichtsdestotrotz ist der Bund natürlich frei, darüber zu entscheiden, wann und unter welchen Umständen er die Unterschrift unter diesen Vertrag setzen will. Wir sind aber guten Mutes und zuversichtlich, dass in Deutschland in wenigen Wochen eine positive Entscheidung fallen wird.