Flug

Eine Frage, die sowohl Airlines wie auch deren Passagiere derzeit umtreibt: Sieht so das Fliegen im Zeitalter des Hygiene-Wahns aus? Bild: AdobeStock

Willkommen zur keimfreien Flugreise

Vier Stunden vor Abflug am Flughafen sein? Neuer Job «Flugzeug-Abwart»? Keine Inflight-Magazine mehr? Das neue Flugerlebnis, wie es Consultingfirmen vorschwebt, wirkt nicht gerade einladend – und die Airlines wehren sich nach Kräften gegen überbordende Hygienemassnahmen.

In 83 Prozent der Länder weltweit gelten seit bereits über einem Monat Reiserestriktionen, erklärt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Das hat die Tourismusbranche als Ganzes und insbesondere die Luftfahrt in die Knie gezwungen. Schuld daran ist bekanntlich die Coronavirus-Pandemie. Und diese in den Griff zu bekommen, hat oberste Priorität. Damit die Bevölkerung sich wieder einigermassen sich fühlt, müssen gerade im Flugverkehr zahlreiche Massnahmen getroffen werden. Travelnews hatte Ende April über bereits am Flughafen Zürich und bei Swiss getroffene Massnahmen berichtet.

Die Airline-Consultancy SimpliFlying hat nun in einem lesenswerten Dokument sage und schreibe 70 Punkte definiert, in welchen das künftige Fliegen sich vom uns bisher bekannten Fliegen unterscheiden wird. Klar, es handelt sich hier um eine Prognose und nicht um erhärtete Fakten, wonach es garantiert so kommt, aber es sind Emfehlungen von Kennern des Fachs. Nachfolgend die wichtigsten Elemente der Studie:

1. Check-In

Auch Simpliflying geht davon aus, dass es künftig einen Gesundheitspass geben wird, welcher beim Check-in – ob online oder am Flughafen – vorgewiesen werden muss. Darüber hatte Travelnews auch schon berichtet. Das Check-in-Personal, hinter Plexiglasschreiben geschützt, könnte allenfalls die Sitze manuell zuweisen – damit Distanzregeln eingehalten werden und dennoch etwa Familien beieinander sein können. Das verlangsamt den Check-in-Prozess am Flughafen deutlich, bzw. verändert das Online-Check-in markant.

2. Neue Ancillary-Möglichkeiten für Airlines

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass es bei allen Maskenpflicht-Meldungen der Airlines heisst, dass man seine Maske selber mitbringen muss? Klar, Masken oder auch Handschuhe – wie sie das Flugpersonal künftig wohl auch tragen muss – lassen sich auch während dem Online-Buchungsprozess oder allenfalls an Bord verkaufen (oder vielleicht auch im Reisebüro als Zusatzprodukt?). Und wie wäre es mit Versicherungen? Nebst den herkömmlichen Versicherungen wird es wohl ein neues Produkt geben müssen, welches eine volle Rückerstattung garantiert, wenn man aus Gesundheitsgründen unerwartet nicht an Bord gehen darf.

3. Einfindungszeit am Flughafen

Bislang konnte man sich 1-3 Stunden vor Abflug am Flughafen einfinden; bei Domesticflügen knapper, bei internationalen Flügen länger, und je nach Flughafen nochmals etwas unterschiedlich. Inzwischen geht Simpliflying davon aus, dass man sich mindestens vier Stunden vor Abflug wird am Flughafen einfinden müssen. Dies, weil es ja nun noch Gesundheitschecks zu absolvieren gilt – der Gesundheitspass allein reicht wohl noch nicht. Es wird Massnahmen geben wie Temperaturchecks (wird ja an gewissen Flughäfen bereits gemacht, etwa in Wien) oder den Gang durch einen Desinfektionstunnel, auch Bluttests sind denkbar, wie etwa bereits bei Emirates Praxis. Zudem wird auch das Gepäck einen Desinfektionsprozess durchgehen und als «keimfrei» deklariert werden müssen.

Allgemeingültige Gesundheitsstandards im Flughafenprozess fehlen noch und es ist fraglich, ob dies auf nationalen oder regionalen (etwa EU) Ebenen stattfinden sollte. Die WHO soll gemeinsam mit der IATA und der ACI (Airports Council International) daran sein, Standards auszuarbeiten.

4. Security

Auch die Sicherheitskontrolle wird strengen hygienischen Massnahmen unterstellt, und erfordert folglich mehr Zeit. Auch das Handgepäck muss einen Desinfizierungsprozess durchlaufen. Noch nicht gelöst ist das Problem, dass Sicherheitskameras keine Gesichtserkennung mehr erlauben, wenn alle hinter Masken sind.

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5. Boarding

Gesessen wird in der Boardingzone mit gebührendem Abstand. Damit das Boarding tröpfchenweise erfolgen kann, wird man individuell über das Handy zum Boarding aufgerufen. Verpflegung gibt es möglicherweise nur noch aus kontaktlosen Verkaufsautomaten. In der Gangway gibt es keine Warteschlangen mehr, da man ja aufgerufen wird und dann unverzüglich boarden muss. Es kann sein, dass in der Gangway ein (weiterer) Desinfektionstunnel angebracht wird.

6. An Bord

Reisende sowie Flugpersonal tragen Masken (ausser beim Essen) und möglicherweise auch Handschuhe. Zu den Sicherheitserklärungen vor Abflug gesellt sich neu Information zu hygienischen Sicherheitsmassnahmen. Das Essen wird vorgepackt und versiegelt serviert (in allen Klassen), und das Inflight-Entertainment verlagert sich noch stärker auf persönliche Geräte wie Tablet oder Mobile, damit man keine Touchscreens mehr anfassen muss. Bordmagazine sind wohl ein Ding der Vergangenheit, währenddem es einen neuen Job gibt: Einen «Flugzeug-Abwart», welcher für alle gut ersichtlich regelmässig die Kabine und insbesondere die Bordtoiletten reinigt und desinfiziert.

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7. Ankunft

Auch hier wird man nochmals durch Thermalscanner geschleust – wer allenfalls während dem Flug krank geworden ist, kann immer noch in Quarantäne gesteckt werden. Und auch hier muss der Gesundheitspass vorgelegt werden. Für die Airlines wird wohl nach jedem Flug eine gründliche Reinigung nötig werden – was die Turnaround-Zeiten deutlich verlängern wird und somit insbesondere für Low-Cost-Airlines, welche auf extrem hohe Frequenzen dank kurzen Turnaround-Zeiten setzen, ein Problem sein könnte.

So wäre das Fliegen ein Graus

Wie gesagt, hierbei handelt es sich um Prognosen bzw. Empfehlungen einer Consultancy zuhanden von Airlines. Diese stehen jedoch längst auf die Hinterbeine – aus nachvollziehbaren Gründen. Ein Argument lautet, dass man den Mittelsitz nicht frei lassen kann, weil sonst die Kapazität der Flugzeuge massiv reduziert wird und nicht mehr wirtschaftlich geflogen werden kann, oder aber die Preise dermassen stark erhöht werden müssen, dass die Nachfrage massiv abnimmt. Die Simpliflying-Studie geht allerdings gar nicht von so einem Szenario aus – sondern eben dass alle Reisenden schon vorher «keimfrei» gemacht werden und auch an Bord stets Gesicht und Hände verdecken. Des Weiteren argumentieren die Airlines, dass solch extreme Massnahmen übertrieben sind: Zum einen, weil die rezirkulierte Luft im Flugzeug dank HEPA-Filtern ohnehin schon keimfrei sei, zum anderen, weil es bislang praktisch keinen Fall von Coronavirus-Übertragung innerhalb eines Flugzeugs gibt, und dies noch vor Umsetzung von Massnahmen. Das mag stimmen, doch steht es auch ausser Frage, dass sich das Virus dank dem globalen Luftverkehr global ausbreiten konnte. Und das führt zu Ängsten.

Und genau diese Ängste sind das grösste Problem: Die Rede ist nicht nur von Ängsten vor dem Virus, sondern auch von Ängsten bzw. Sorgen vor der «neuen Flugwelt», wie sie oben geschildert ist. Wenn all diese Massnahmen tatsächlich so umgesetzt werden, wie von Simpliflying skizziert, dann wird die Flugreise – schon in Vergangenheit manchmal als «Tortur» bezeichnet – noch zu einem viel grösseren Ärgernis, was wiederum die Nachfrage dämpft.

Und selbst wenn nur ein Teil der oben beschriebenen Massnahmen umgesetzt wird: Das unbeschwerte Fliegen ist vorerst mal vom Tisch. Deshalb wird die Krise noch länger andauernd als nur bis zu den sehnlichst erwarteten Restriktions-Lockerungen.

(JCR)