Flug

Jürg Müller, Chef von Emirates in der Schweiz und Präsident der B.A.R.: «Ich denke, Social Distancing an Bord eines Flugzeugs lässt sich auf Dauer nicht wirtschaftlich umsetzen.» Bild: TN

«Gute Partnerschaft zwischen Airline und Reisebüro wird künftig wieder vermehrt gesucht»

Jürg Müller, Präsident des Board of Airline Representatives Switzerland (B.A.R.), äussert sich zur Situation bei den Airlines und zu derzeit wichtigen Themen.

Herr Müller, die Airline-Welt steht derzeit still. Als wie schlimm taxieren Sie die aktuelle Situation für die Airlines?

Jürg Müller: Was den Airlines widerfährt, ist unglaublich. Es herrscht eine nie dagewesene Branchemisere. Das konnte in dieser Form niemand voraussehen.

In den letzten Jahren haben aber die Airlines doch gut gewirtschaftet. Wieso kommt so schnell der Ruf nach Geld vom Staat?

Der Eindruck ist etwas trügerisch. In den letzten Jahren wurde wieder mehr verdient, das ist so, insbesondere Low-Cost-Carrier oder US-Airlines profitierten von guten Margen. Allerdings war jahrelang das Branchenmittel bei Margen von 3-4 Prozent, was im Industrievergleich sehr tief ist; das Airlinegeschäft ist nicht eine generelle Goldgrube.

Es wurde in der aktuellen Krise deutlich, dass das Kapital extrem schnell verbraten ist. Die Kosten für Airlines sind auch im Stillstand enorm - man denke an Leasingkosten, Fuel-Hedging, Maintenance und natürlich Salärkosten, welche alle auch anfallen, wenn keine Erträge eingeflogen werden. Frühere Krisen, bei denen die Umsätze mal um 10 oder mehr Prozent zurückgingen, konnten die meisten Airlines meistern. Die aktuelle Situation bringt aber auch die stärksten Airlines an ihre Limiten. Nicht überall wird Staatshilfe gewährt, und auf jeweils sehr unterschiedliche Weise. Ich denke, europäische Airlines sind diesbezüglich in einer vergleichsweise gesegneten Situation.

Aber nicht alle Airlines wollen, dass der Staat dreinredet.

Ich denke, aktuell hängen gegen 90 Prozent aller Airlines weltweit in irgendeiner Form am Tropf der jeweiligen Staaten. Das führt unweigerlich zu Fragen, inwiefern der Staat Einfluss nehmen soll und darf. Sind Teilverstaatlichungen die beste Lösung? Ich denke, das wird jede Airline mit ihrem jeweiligen Land lösen müssen. Die grossen Entscheidungen werden in den Heimatländern der Airlines gefällt, da gibt es wohl keine universelle Lösung.

Zeichnet sich eine gewisse Hoffnung ab, dass der Flugbetrieb teilweise schon bald wieder hochgefahren werden kann?

Eigentlich weiss niemand wirklich etwas, und das ist ja das Hauptproblem. Es ist keine Grenze offen, es gibt keinen Passagierfluss. Alles wird bilateral geregelt. Ich gehe davon aus, dass zunächst Domesticverkehr hochgefahren wird, dann vermutlich Europaverkehr bzw. Nachbarschaftsverkehr in grösseren zusammenhängenden Regionen, und zuletzt der Interkontinentalverkehr, wie wir ihn bis anhin kannten. Das alles kann noch ziemlich lange dauern.

Zu lange?

Wenn es noch sechs Monate so weitergeht, wird es kaum noch eine Airline geben, und somit kaum noch Reisen zu verkaufen. Ich denke nicht, dass dies passiert, die Staaten erkennen gerade in Krisenzeiten die Wertschöpfung von Airlines deutlich. Es muss aber noch viel passieren, und schnell. Die Staatsgelder sind schliesslich auch nicht unendlich vorhanden, deshalb ist auch noch keine Airline über den Berg.

«Ich gratuliere dem SRV.»

Kommen wir auf die Rückvergütungen zu sprechen. Hier wurde gestern in der Schweiz ein wegweisender Entscheid gefällt. Was haben Sie dazu zu sagen?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass die aktuelle Situation auch für Airlines Neuland war. Es galt primär einmal, die Liquidität geordnet zu schützen, gleichzeitig musste mit teils reduzierter Belegschaft ein nie dagewesenes Volumen an Rückvergütungsforderungen bearbeitet werden. Das wurde teils unterschiedlich gehandhabt. Das war sicherlich unschön. Aber man muss auch die Seite der Airlines sehen, die nicht einfach das ganze Geld, wir sprechen da von hohen Millionenbeträgen, von einem Tag auf den anderen raushauen können.

Klar ist, dass die Verpflichtung da ist, die Rückvergütungen zu gewähren. Dem wird man klar nachkommen. Teils wurde eben auch abgewartet, etwa weil Brüssel an einer Lösung hinsichtlich der Gutscheinregelung bastelt. Das BAZL wäre beim Durchkommen einer solchen Regelung auf EU-Ebene nachgezogen. Nun hat die Schweiz selber, aufgrund des Engagements der Verbände, Fakten geschaffen. Ich gratuliere dem SRV hierzu. Das ist eine klare Lösung. Wobei man nicht vergessen darf, dass viele Kunden weiterhin andere Lösungen akzeptieren, also speziell von Airlines ausgearbeitete Umbuchungslösungen oder eben auch Gutscheine.

Aber es ist nicht davon auszugehen, dass alle Airlines nun schnell rückvergüten, nur weil Swiss und Edelweiss dazu verpflichtet sind, oder?

Nein, aber dieser Entscheid schafft auch gewissen Druck bei anderen Airlines. Diese entscheiden diesbezüglich selber.

Was hat denn das B.A.R. empfohlen?

Wir haben unseren Mitgliedern nahegelegt, aktiv zu kommunizieren, Präsenz zu markieren bzw. Erreichbarkeit zu gewährleisten, und optimale Lösungen zu erarbeiten. Das braucht auch Zeit. Die Airline-Industrie als Ganzes ist, wie andere Industrien auch, von der aktuellen Situation bisweilen überfordert.

Das B.A.R. ist aber eine Interessensgruppe; wir diskutieren nichts, was wettbewerbsrechtlich relevant ist. Was wir in der Coronavirus-Krise getan haben: Wir haben Informationen verbreitet, etwa zum Thema Kurzarbeit, und wir haben uns mit den Behörden - teils via Aerosuisse oder den B.A.R. aus anderen Ländern - ausgetauscht. Wir waren mit dem BAZL beispielsweise hinsichtlich der Gutscheinregelung im Austausch.

Kommen wir auf die Zukunft zu sprechen. Was erwarten Sie für die Airline-Branche als Ganzes?

Man weiss wie gesagt noch nicht, wann man wieder fliegen kann, wohin und in welchem Umfang. Das schafft enorme Unwägbarkeiten. Bereits in Gang sind ja bei diversen Airlines Personal- und Flottenreduktionen. Es kursieren mehrere Szenarien dazu, wie es weitergehen wird: Das «Szenario V», wonach man nun am absoluten Tiefpunkt ist, sich die Lage aber erholen wird und man zurück zu alter Stärke finden kann, dann das «Szenario U», wonach die Krise erst mal eine längere Talfahrt bedeuten wird, bevor wieder hochgefahren wird, und im Wort-Case das «Szenario L», wonach sich die Branche gar nie mehr aufs Niveau von 2019 zurück erholt. Was es letztlich sein wird, weiss niemand.

«Die Preise werden sinken, dann steigen.»

Sprechen wir über konkrete Auswirkungen - zunächst vielleicht mal in der Zusammenarbeit mit dem Trade.

Der stationäre Vertrieb befindet sich in einer misslichen Lage, wie die Airline-Branche auch. Ich denke, die Partnerschaft wird künftig wieder mehr gesucht. Wir sind aufeinander angewiesen. Dazu wird man auch einige Blessuren heilen müssen. Es hilft jetzt nicht, wenn die Gemüter erhitzt sind: Die Reisebranche muss miteinander aus der Krise finden. Es gilt, miteinander Wege zu finden, wie man das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen kann.

Und die Wege hierzu sind vielfältig. Was erwarten Sie in regulatorischer Hinsicht?

Es kommt klar zu Massnahmen in der Service-Kette, sowohl am Boden in den Flughäfen als auch bei den Airlines. Es ist bekannt, dass die EU daran arbeitet. Allerdings ist es völlig unklar, wie da vorgegangen wird. Gibt die EU ein Minimum vor, und dieses wird dann lokal jeweils angepasst umgesetzt? Preschen gewisse Länder vor? Wir sind noch weit weg von Standards, es wird zunächst Konfusion herrschen. Wer optimale Standards hat, welche für Sicherheit und Vertrauen sorgen, kann davon aber sicherlich auch profitieren.

Social Distancing an Bord eines Flugzeugs: Wie soll das gehen?

Aktuell ist das noch kein Problem, weil das Passagieraufkommen so klein ist. Wenn die Nachfrage ansteigt, wird es zum Problem. Vielleicht wollen die Staaten dann genau bei solchen Angelegenheiten regulatorisch einwirken. Meiner Meinung nach kann dies auf Dauer aber nicht wirklich funktionieren - das Herausnehmen von Bord-Kapazität aufgrund von Social-Distancing-Vorgaben kann nicht wirtschaftlich sein.

Was erwarten Sie hinsichtlich der Preise?

Man hat es verschiedentlich schon gesehen: Zunächst werden die Preise sinken, weil die Nachfrage extrem gering ist im Vergleich zur Kapazität, welche erst mal vorhanden sein wird. Man muss die Passagiere folglich zum reisen animieren. Wenn sich das dann mal einpendelt, werden die Preise steigen.

Ein Schlusswort?

Ich arbeite zurzeit im Büro, mit Blick auf den Flughafen. Es ist schon traurig zu sehen, wie wenig dort los ist. Auf dem Departure Board am Flughafen sind nur wenige Flüge pro Tag zu sehen, in Genf noch weniger. Und vieles davon sind reine Frachtflüge. Die Situation ist schon sehr speziell. Jetzt gilt es, schnelle und trotzdem gute Lösungen zu finden, um den vielen Unternehmen in der Reisewelt rasch wieder Perspektiven zu geben.

(JCR)