Flug

Flugmeilen sammeln: Ravindra Bhagwanani ist Spezialist dafür. Bild: HO

«Interessant werden Meilenprogramme ab einem Langstreckenflug oder zehn Europa-Flügen»

Andreas Güntert

Ravindra Bhagwanani, Berater und Kenner von Kundenbindungsprogrammen, nennt die Vorteile und jüngsten Entwicklungen der Meilenprogramme.

Herr Bhagwanani, wie viele Airline-Meilensammel-Systeme gibt es?

Ravindra Bhagwanani: Als ich vor 23 Jahren begonnen habe in diesem Metier, waren es 80. Zur Jahrtausendwende waren wir bei 115; aktuell sind es bereits über 220 weltweit. Über diese Programme von Fluggesellschaften gibt es noch Hunderte von Programmen von Hotelgruppen, Autovermietern, Flughafenbetreibern und Eisenbahngesellschaften.

Warum diese starke Zunahme von Kundenbindungsprogrammen?

In den letzten Jahren haben, mit Ausnahme der Low-Cost-Carrier Easyjet und Ryanair, praktisch alle Airlines ihr eigenes Loyalitätssystem aufgezogen. Vor allem deshalb, weil es für jede Fluggesellschaft wichtig ist, direkten Kontakt und Zugang zum Kunden zu haben. Ein attraktives Meilensammelprogramm ist heute ein erfolgskritischer Baustein für den Erfolg jeder Airline und jeder Hotelgruppe.

Wenn wir bei den Airlines bleiben: Wer profitiert eigentlich mehr von diesen Sammelprogrammen – die Fluggesellschaft oder der Passagier?

Bei einem guten Loyalitätsprogramm profitieren beide, Airline und Passagier. Bei einem schlechten Programm profitiert nur die Airline. In der Tendenz sind die Programme in den letzten Jahren weniger attraktiv für die Kunden geworden; die Airlines hingegen verdienen immer mehr Geld damit, Meilen an teilnehmende Partnerfirmen zu verkaufen.

Kommen wir zu einem Mythos: Flugmeilen sammeln lohnt sich nur für Leute, die richtig viel fliegen. Korrekt?

Jein. Tendenziell lohnen sich die Programme für jedermann, da sie ja kostenlos sind. Richtig interessant wird es dann, wenn man pro Jahr mindestens einen Langstreckenflug oder mindestens zehn Flüge in Europa bucht.

Mythos zwei: Wenn man genügend Flugmeilen hat und diese in einen Freiflug oder ein Upgrade in eine höhere Klasse eintauschen will, sind die Flieger sowieso immer voll. Und es klappt nicht mit dem ersehnten Meilen-Einsatz. Korrekt?

Ja. Wer sich als Meilensammler zum Ziel setzt, in der jeweiligen Hochsaison per Freiflug an die dann begehrtesten Ziele zu reisen, hat die Spielregeln nicht verstanden. Die Spielregeln lauten so: Flugsitze zu den begehrtesten Zielen sind zur Hochsaison nur zu hohen Preisen erhältlich und in der Regel ausgebucht. Wenn man jedoch seine Meilen asymmetrisch einsetzt, also ausserhalb der jeweiligen Hauptsaisons reisen möchte, hat man kaum Probleme, die Wunschprämie zu erhalten.

«Flugsitze zu den begehrtesten Zielen sind zur Hochsaison nur zu hohen Preisen erhältlich und in der Regel ausgebucht»

Wie entscheide ich mich richtig, wenn ich als Wenigflieger die Wahl habe zwischen einem teureren Flug, der zu meinem Meilensammelprogramm passt und einem günstigeren Flug mit einem Low-Cost-Carrier, der mir keine Meilen einbringt?

Dazu zwei Dinge: Man muss den Wert einer Meile kennen und einschätzen. Und: Man darf nicht meilengeil sein.

Können Sie das etwas genauer erklären?

Aber sicher. Der Wert einer Meile beträgt in jedem System, ganz grob gesagt, etwas zwischen einem und zwei Rappen oder Cent. Wenn Sie nun die Meilen, die sie mit dem teureren Flug einheimsen, mit der Preisdifferenz zum günstigeren Flug vergleichen, wird der Fall schnell klar.

Wenn ich also beispielsweise in der günstigsten Buchungsklasse für eine Europreise für den Hin- und Rückflug je 250 Meilen erhalte, dann wären diese 500 Meilen etwa zehn Euro wert. Angenommen, der Flug mit meiner Meilen-Airline kostet 300 Euro, der Billigcarrier fliegt mich aber für 250 Euro. Wenn mich der Billig-Carrier 50 Euro günstiger hin- und herfliegt, wäre das also die bessere Wahl?

Ja, in dieser Art. Was eben beweist: Meilengeilheit alleine bringt nichts. Für Leute, die wenig fliegen, ist die Billig-Airline sehr oft die bessere Wahl. Wenn denn die Billig-Airline auch wirklich einiges günstiger ist als die klassische Fluggesellschaft. Anders sieht es aus, wenn man nicht selten fliegt, sondern oft unterwegs ist und damit sogenannte Statusmeilen sammelt.

Was bringen diese Statusmeilen?

Das ist in jedem Programm unterschiedlich. In der Regel bringt die erste Elitestufe nur beschränkte Vorteile. Wirklich interessant wird es auf der zweiten Stufe: Priority-Check-In, Zusatzgepäck oder Lounge-Zugang sind einige der gängigsten Vorteile. Beim hierzulande verbreitetsten System Miles & More wird für Statuskunden auch der Meilenverfall ausgesetzt, was allerdings in den meisten anderen Programmen ohnehin für alle Kunden der Fall ist.

Wie passt Flugmeilen sammeln in eine Zeit, welche die «Flugscham» propagiert?

Natürlich muss man die Klimadiskussion ernst nehmen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass die allermeisten Meilensammler nicht zum Vergnügen unterwegs sind, sondern beruflich viel reisen müssen. Seit über 20 Jahren wird darüber diskutiert, ob Meetings auch per Videokonferenz statt mit Geschäftsreisen abhalten kann. Die Antwort ist….

….vermutlich jein?
Ja genau. In gewissen Fällen genügt eine Videokonferenz, aber der persönliche Kontakt hat daneben nichts an seiner Wichtigkeit verloren.

Gibt es so etwas wie ein bestes Airline-Meilensammelprogramm?

Ja, das gibt es. Es ist aber stark von der individuellen Situation, beziehungsweise dem persönlichen Reiseverhalten abhängig.

Ist für Schweizer Miles & More immer die beste Wahl?

Bezüglich der Airline-Qualität macht man da sicher nichts falsch. Swiss ist eine erstklassige Fluggesellschaft. Und Lufthansa ist – wenn nicht gerade gestreikt wird – auch ganz gut. Man ist also auf dem richtigen Weg, wenn man mit Swiss, Lufthansa und AUA fliegt und Mitglied von Miles & More ist. Aber man macht etwas falsch, wenn man nur mit Miles & More Meilen sammelt.

Das müssen Sie erklären.

Es ist ein vielverbreiteter Irrtum, wenn Leute glauben, dass man mit Swiss oder Lufthansa nur  im Miles-&-More-Programm Meilen sammeln kann. Swiss macht in insgesamt 23 Meilensammel-Programmen mit, bei der Lufthansa sind es sogar 24. Es kann also beispielsweise durchaus Sinn machen, sich im Programm von Singapore Airlines einzuschreiben, mit der Swiss zu fliegen, aber die Meilen im Programm von Singapore Airlines zu sammeln.

Weshalb sollte man das tun?

Weil man so zwar mit der üblichen Airline fliegt, unter Umständen aber in einem anderen Programm sehr viel mehr Vorteile hat als im angestammten System, in diesem Falle also Miles & More.

Klingt ganz schön kompliziert. Wann macht das Sinn?

Das hängt, wie schon erwähnt, ganz vom persönlichen Reiseverhalten ab, von der gewählten Klasse und vor allem auch von der Idee, was man denn mit seinen gesammelten Meilen anstellen will.

Wer mit Swiss, Lufthansa und AUA nur im Miles&More-Programm Meilen sammelt, macht etwas verkehrt?

Ich würde es anders sagen: Wer dies tut, hat schon verloren.

Was muss man tun, um zu den Gewinnern zu gehören?

Zum Beispiel eine individuelle Analyse erstellen lassen. Bei uns gibt es das für 129 Euro. Grundsätzlich ist die Sache ja einfach: Beim Meilensammeln geht es für den Kunden um zwei Dinge: Earn and Burn. Earning bedeutet das Sammeln von Meilen, Burning der Einsatz davon. Wer die Sache vom Ziel – also vom Burning her  – andenkt, weiss relativ bald, wie er sich beim Earning verhalten muss. Und da gibt es eben grosse Unterschiede, von Programm zu Programm. Und für Vielflieger kommt natürlich die Frage des Elitestatus hinzu.

«Wer die Sache vom Ziel – also vom Burning her – andenkt, weiss relativ bald, wie er sich beim Earning verhalten muss»

Der Mechanismus, den Sie für Miles & More beschreiben – also Flüge in einem anderen System gutschreiben zu lassen: Ist das etwas Spezifisches für nur dieses System? Oder gilt das für andere Airline-Vielfliegerpogramme ebenso?

Das gilt tendenziell für viele, aber in Fällen von beispielsweise Air France/KLM oder British Airways, wo die Programme an und für sich attraktiver gestaltet sind, kommt es doch häufiger vor, dass man bei Flügen mit diesen Gesellschaften am besten mit deren eigenen Programm fährt. Während wir Swiss-/Lufthansa-Kunden in 98 Prozent der Fälle empfehlen, andere Programme als Miles & More zu nutzen, liegt dieser Wert bei anderen Gesellschaften oft unter 50 Prozent – aber trotzdem auch deutlich über null.

Zurück in die Internaut-Stammlande: Halten Sie Miles & More für ein gutes Programm?

Jein. Manche Dinge, etwa das Themen Meilenverfall und Anzahl Meilen, die es für einen Freiflug braucht, sind grottenschlecht. Andere Dinge wieder sind besser gelöst. Die höchste Statusklasse etwa, der sogenannte HON-Circle, bietet sehr viel, in einigen Punkten sogar viel mehr als andere Programme.

Kommen wir zu den ewigen Mythen: Meilen kann man nicht nur für Freiflüge und Upgrades einsetzen, sondern auch für Sachartikel wie etwa Kopfhörer, Koffer oder Wein einlösen. Mythos 1: Das lohnt sich nie, weil diese Artikel stets überteuert sind. Richtig oder falsch?

Absolut richtig. Die Preise in diesen Meilen-Shops sind nur eines: Gugus. Oder auf Hochdeutsch: Abseits jeglicher Realität, weil man dafür nur einen mickrigen Gegenwert pro Meile erhält.

Mythos 2: Wer online einen Flug bucht und sein Meilen-Profil eingibt, läuft Gefahr, einen zu hohen Preis zu bezahlen. Weil die Airline-Systeme Vielflieger erkennen und ihnen mehr Geld abknöpfen. Richtig oder falsch?

Das ist immer wieder zu hören und wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Belegen kann man es nicht zu hundert Prozent, aber es gibt Indizien, die in diese Richtung weisen.

Wir sprechen hier meist nur von Airlines, Sie listen auf Ihrer Website aber weltweit auch 16 Meilenprograme von Eisenbahnen auf. Wie hat sich diese Zahl entwickelt?

Auch diese Zahl wächst ständig. Die Bahn steht immer stärker in Konkurrenz zu den Airlines; Loyalitätsprogramme können ein Argument zum Umsteigen sein. Bezüglich Eisenbahn-Meilensammelsysteme werden wir bestimmt noch mehr sehen.

«Es gibt Bahnprogramme, bei welchen man Punkte in Vielfliegermeilen konvertieren kann»

Die Deutsche Bahn führt mit BahnBonus ein solches Programm. Könnte das auch für die Schweizer SBB interessant sein?

Vordergründig eher nicht, weil das Land so klein ist, dass Inlandflüge nicht attraktiv sind und also keine Konkurrenz zur Bahn darstellen. Auf der anderen Seite wächst natürlich der grenzüberschreitende Bahnverkehr, und das Argument des Datensammelns ist bestimmt auch für die SBB interessant. Ich könnte mir vorstellen, dass es für die SBB interessant sein könnte, zusammen mit einer Kreditkartenfirma ein Loyalitätsprogramm aufzuziehen.

Wäre es auch vorstellbar, dass Bahnsysteme und Airlines gemeinsame Kundenbindungsprogramme auflegen würden?

Das würde wohl eher auf eine Partnerschaft zwischen einer Bahnhgesellschaft und einem Vielfliegerprogramm hinauslaufen. Solche Modelle gibt es teilweise schon. Auch gibt es Bahnprogramme, bei welchen man Punkte in Vielfliegermeilen konvertieren kann. All dies hängt auch mit der Konkurrenzsituation zusammen. Aber grundsätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen Eisenbahnen und Fluggesellschaften im Bereich der Kundenbindungsprogramme bisher sehr beschränkt.

Bei wie vielen Systemen macht eigentlich der europäische Meilenpapst mit?

Eingeschrieben bin ich bei über 50 Systemen; aktives Earning and Burning betreibe ich bei etwa einem Dutzend.  

Gibt es so etwas wie eine Empfehlungs-Triole für Vielflieger bezüglich Loyalitätsprogrammen?

Aber sicher. Empfehlung eins: Trennen der genutzten Fluggesellschaft und des genutzten Programms. Zweitens: Wie bei der Kapitalanlage gilt auch hier: Nicht alle Eier ins gleiche Nest. Man sollte die Programme wirklich nur dort nutzen, wo sie ihre Stärken haben. Es kann also sein, dass man zwar eine Miles & More-Kreditkarte nutzt, sich seine Swiss- oder Lufthansa-Flüge aber in einem anderen Programmes eines Star-Alliance-Partners gutschreiben lässt. Und drittens: Es lohnt sich, die verschiedenen Programme zu vergleichen.