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Cancelled ortet eine Diskriminierung von Schweizer Flugpassagieren bei der Umsetzung der Fluggastrechte. Bild: AdobeStock

Expert Verspätete Flüge sind in der Schweiz nur beschränkt anspruchsberechtigt

Simon Sommer

Die Schweiz hat die EU-Fluggastrechteverordnung im Rahmen des Luftverkehrsabkommens übernommen. Das heisst jedoch noch lange nicht, dass Passagiere auch entschädigt werden. Rechtsexperte Simon Sommer äussert sich zu unserem gestrigen Artikel über Fluggastrechte.

Im gestrigen Artikel über Fluggastrechte sorgt Travelnews dafür, dass Passagiere ihre Rechte besser kennen. Das ist erfreulich. Leider wiederspiegelt der Artikel die Rechtssituation in den EU-Staaten, nicht jedoch jene der Schweiz. Ich weise darauf hin, dass verspätete Flüge hierzulande nur beschränkt anspruchsberechtigt sind und die im Artikel erwähnten Rechte streng genommen nicht gelten bei Abflügen zum Beispiel ab Zürich. Über einen solchen Fall hat neulich das St. Galler Tagblatt geschrieben.

Rechtslage in der Schweiz

Die Schweiz hat die EU-Fluggastrechteverordnung im Rahmen des Luftverkehrsabkommens übernommen, womit diese auch hierzulande gilt. Verspätete Flüge sind gemäss Urteil vom Bezirksgericht Bülach vom 2. Februar 2016 (FV150044-C/U) jedoch deshalb nicht anspruchsberechtigt, weil in der Fluggastrechteverordnung bei Verspätungen ursprünglich keine Ausgleichszahlungen vorgesehen waren.

Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) steht Passagieren mit Abflug- oder Landeort in der Europäischen Union nach einer mindestens dreistündigen Ankunftsverspätung ebenfalls eine Ausgleichszahlung zu (dieses Gericht hat also Verspätungen von mindestens drei Stunden de facto den Annullationen gleichgesetzt). Da die Rechtsprechung des EuGH in der Schweiz aber nicht verbindlich ist (da die Schweiz kein EU-Mitglied ist) und das Bezirksgericht Bülach ausdrücklich festgehalten hat, dass Verspätungen hierzulande nicht anspruchsberechtigt sind, gilt diese Praxis in der Schweiz grundsätzlich nicht. Womit Schweizer/innen gezwungen werden, ihre Rechte gegebenenfalls in einem EU-Land geltend zu machen, wenn ein solches betroffen ist (z.B. bei einem Flug Zürich–Athen in Griechenland).

Flüge, die von der Schweiz in einen Nicht-EU-Staat führen (oder umgekehrt) sind gemäss Urteil des Zivilgerichtes Basel-Stadt vom 15. Mai 2012 (V.2012.213) ebenfalls nicht anspruchsberechtigt (also selbst bei Annullationen nicht!), weil die EU-Fluggastrechteverordnung nur für Flüge zwischen der Schweiz und EU-Staaten gelte. Dieses Urteil ist umstritten, unter anderem deshalb, weil sich das Gericht massgeblich auf einen Fachartikel einer ehemaligen Lufthansa-Juristin stütze. Diesen Umstand (Missstand?) hat der Tages-Anzeiger aufgedeckt. Zudem vertreten sowohl das BAZL als auch mehrere Professoren eine andere Meinung.

Schweizer/innen sind hierdurch insbesondere auf Langstreckenflügen viel schlechter geschützt. Auch das ist absurd, denn fliegt jemand beispielsweise Mailand–Zürich–New York, so geniesst dieser Passagier dank dem EU-Startort Mailand auch auf dem Anschlussflug Zürich–New York das hohe Schutzniveau der Fluggastrechteverordnung. Personen, die nur Zürich–New York fliegen, erhalten von der Airline mit Verweis auf das Basler Urteil möglicherweise keine Entschädigung.

Es handelt sich um Diskriminierung

Wir sind dezidiert der Meinung, dass die oben angeführten Urteile einer Diskriminierung von Schweizer Flugpassagieren gleichkommen. Cancelled.ch kämpft schon seit Monaten dafür, dass Schweizer Flugreisende auch bei verspäteten Flügen und bei sogenannten Drittstaatenflügen eine Ausgleichszahlung erhalten.

In diesem Zusammenhang arbeiten wir mit zahlreichen Rechtsschutzversicherungen zusammen und haben in der Vergangenheit Bundesparlamentarier/innen aller Parteien über diese Ungleichbehandlungen und den unseres Erachtens unhaltbaren, konsumentenunfreundlichen Status quo orientiert. Erfreulicherweise hat daraufhin Nationalrat Hans-Ulrich Bigler im Juni 2018 eine Motion (18.3568) eingereicht, die verlangt, dass Personen mit Start- und Landeort in der Schweiz (wieder) dieselben Rechte zukommen wie jenen Passagieren, die ihre Reise in der EU antreten oder beenden. Nachdem der Bundesrat die Ablehnung der Motion empfohlen hat, kam sie in die Kategorie «Les auteurs suivants acceptent la proposition du Conseil fédéral», womit der Beschluss schliesslich auf Ablehnung lautete. Der Bundesrat begründete seine ablehnende Haltung mit der aktuell laufenden Revision der Fluggastrechteverordnung. Er hat dabei jedoch verkannt, dass die Unklarheit hinsichtlich Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung auf Flüge zwischen der Schweiz und Drittstaaten auch mit der neuen Verordnung bestehen bleiben wird und dass es sich dabei überdies um eine rechtspolitische Frage handelt. Aufgrund der Ablehnung der Motion gilt nun weiterhin der stossende und konsumentenunfreundliche Status quo.