Flug

Kritiker in Russland sprechen beim Sukhotahi Superjet 100 von einem «unvollendeten Flugzeug», welches vor allem ein Prestigeprojekt der russischen Regierung sei. Bild: scac

Wurde beim Bau des Sukhoi Superjet gepfuscht?

Nach der Flugkatastrophe in Moskau gehen die politischen Beschuldigungen los. Während hierzulande die Debatte um den Umgang mit Handgepäck im Notfall losging, vermuten russische Exponenten viel weitergehende Probleme.

Vor zwei Tagen verunglückte ein Sukhoi Superjet 100 von Aeroflot bei einer Notlandung auf dem Moskauer Flughafen Scheremetyevo. Bei dieser Notlandung fing das Heck des Flugzeugs infolge der Explosion eines Treibstofftanks Feuer; nach aktuellem Stand kamen 43 Menschen ums Leben.

Weil sich diverse Passagiere retten konnten, aber auf dem Tarmac des Flughafens mit ihrem Handgepäck gesichtet wurden, kam rasch die Vermutung auf, dass sich die Evakuierung wegen «Handgepäck-Egoisten» verzögert haben könnte. In vielen (Schweizer) Medien wird aktuell wieder über die Notwendigkeit und Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen im Flugbereich und das Verhalten von Passagieren im Notfall debattiert.

In Russland selber wird der Unfall bereits zu politischen Zwecken genutzt. Allen voran ist Alexei Anatoljewitsch Nawalny, ein populärer Oppositioneller und Putin-Kritiker, der sich bislang noch frei in Sozialen Medien äussern kann. Sein Post zum Unfall beinhaltet einige aufsehenerregende Informationen, welche er wiederum auf Kontakte in die Aeroflot-Spitze zurückführt – und beim Durchlesen kommen unweigerlich Gedanken an die aktuelle Diskussion rund um die staatlich ermöglichten Sorgfaltspflichtsverletzungen bei Boeing im Zusammenhang mit der B737MAX auf.

Konkret bezweifelt Nawalny die offizielle Theorie, wonach Panik und Handgepäck-Egoismus für die vielen Toten verantwortlich sind. Das sei zu einfach und «wer behält angesichts grosser Flammen schon ruhig Blut?», fragt Nawalny rhetorisch. Stattdessen listet er auf, was beim Sukhoi Superjet alles mangelhaft ist.

Sind die Erklärungen zu einfach?

So wurden die russischen Passagierflugzeuge der Aeroflot laut Nawalny «aufgezwungen», sprich es habe nicht nur kein Bieterwettbewerb stattgefunden, sondern das Flugzeug habe auch keine richtigen Tests unter Marktbedingungen durchführen müssen. Er spricht von einem «unvollendeten Flugzeug», welches vor allem ein Prestigeprojekt der russischen Regierung gewesen sei, um sich von Boeing/Airbus emanzipieren und auf eigene Industrieleistungen verweisen zu können. Doch der Superjet sei aufgrund von ständigen Pannen und dem Mangel an Ersatzteilen für Aeroflot bislang nur ein «Problemflugzeug» gewesen, doch Statistiken und Informationen über die vielen Probleme seien nie an die Öffentlichkeit gedrungen, um das Prestige nicht zu schmälern. Für Nawalny ist klar: Das Flugzeug entspricht nicht modernen Standards und die Produzenten müssten nochmals über die Bücher. Ansonsten drohten weitere Unglücke.

Wie viel Wahrheit dahinter steckt, sei dahingestellt. Völlig undenkbar ist es nicht, dass es auch beim erst zweijährigen Flugzeug selber Probleme gab. Die aktuelle Unfallerklärung heisst «Blitzschlag», dazu brach bei der unsanften Notlandung das Hauptfahrwerk, die Evakuierung sei mit 55 Sekunden vertretbar lang gewesen. War die Katastrophe dennoch vermeidbar? Vielleicht. Das Wichtigste ist nun, dass die Ermittler frei arbeiten können und ihre Erkenntnisse transparent und öffentlich einsehbar sind.

Aeroflot hat inzwischen auf ihrer Website die Passagierliste des verunfallten Flugs SU1492 (der Flug wäre nach Murmansk gegangen) publiziert und Kompensationszahlungen in Aussicht gestellt.

Im Übrigen hat die russische Fluggesellschaft Yamal Airlines bereits am tag nach dem Unglück eine Bestellung über 10 Sukhoi Superjet 100 annulliert. Die russische Luftfahrtbehörde liess derweil wissen, dass es nicht zu einem Grounding der Sukhoi Superjet 100 kommen werde, obwohl dies zunächst in Erwägung gezogen worden war...

(JCR)