Ferienland Schweiz

Wer beim Schifferstechen wankt und fällt, wird nass und hat verloren. Bild: Marion Honegger

Berner SchifferstechenWettkampf, Stadtfest, Spektakel

Am 17. August findet zum dritten Mal das Berner Schifferstechen statt, ein spektakuläres «Ritterturnier auf dem Wasser»: Wettkämpferinnen und Wettkämpfer versuchen von Weidlingen aus, einander mit Lanzen ins Wasser zu stossen.

Zum Ende der Schulferien ist in Bern einiges los: Vom 8. bis zum 10. August fand das Strassenmusikfest Buskers statt. Und eine Woche später kann man in der Matte, dem Quartier unten an der Aare, einem Spektakel mit viel Action, Emotionen und Spass folgen.

Beim Schifferstechen im Matte-Tych, einem Seitenkanal der Aare, werden zwei Weidlinge längsseitig aneinander vorbei gerudert. Für das Stechen ist im hinteren Teil des Bootes eine Plattform montiert. Auf dieser stehen die Stecherinnen oder Stecher möglichst breitbeinig, um das Gleichgewicht zu wahren. Wenn sie sich einander nähern, heben sie die gepolsterten Aluminiumlanzen und richten diese auf die Brust des Gegners. Ziel ist es, diesen ins Wasser zu stossen. Wer oben bleibt, hat gewonnen.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Schweiz und mehreren europäischen Ländern sind angemeldet. Der Kampf wird hart; der Sieg muss verdient werden. Ab halb neun können Unerfahrene und Publikumsstecher ein Schnuppertraining absolvieren.

Ziel ist es, den Gegner ins Wasser zu befördern. Bild: Marion Honegger

Ab halb zehn finden die Kämpfe statt. Einen dieser Kämpfe um die Mittagszeit erwarten die Gäste mit besonderer Spannung: Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried und der Oberbürgermeister der Stadt Neuburg an der Donau liegen zwar politisch weit auseinander: von Graffenried ist ein Grüner, Gmehling gehört zur Christlich-Sozialen Union CSU. Altersmässig liegen die beiden «Stapi» hingegen mit Jahrgang 1959 (Gmehling) und 1962 (von Graffenried) nahe beieinander, und es gibt keinen klaren Favoriten.

Von 19 bis 20 Uhr finden Weidlingsrundfahrten auf dem Matte-Tych statt. Um 20 Uhr werden die Sieger verkündet. Tagsüber spielt die Steelband Lyss. Ab 17 Uhr bis spät in die Nacht geht die Party weiter, angeheizt von DJ Stöffu und ab 21 Uhr von der Schlager-Showband Schnulze und Schnultze.

Schifferstechen – ein Kulturgut

Neben der spektakulären hat das Schifferstechen auch eine kulturelle Seite: Der Weidling und das Weidlingsfahren gelten als immaterielles Kulturgut und werden hierzulande noch von vielen Wasserfahrvereinen gepflegt, in Bern etwa vom Aare Club Matte (ACMB), in Zürich vom bekannten Limmat Club.

Der Weidling ist ein traditionelles Flachbodenboot, dessen Anfänge mehr als 5000 Jahre zurückliegen. In der Schweiz wurde er schon zu Urzeiten für den Transport von Personen und Waren auf den Flüssen, zum Fischen und als Fähre eingesetzt. Früher bestand er aus Holz; heute gibt es auch Weidlinge aus Leichtmetall oder Kunststoff.

Der Weidling ist eine Jahrtausende alte Schiffsform und gilt als Unesco-Weltkulturerbe. Bild: Marion Honegger

In tieferem Wasser wird der Weidling mit einem oder zwei Stehrudern bewegt wie die berühmten Gondeln in Venedig. In flachen Gewässern oder flussaufwärts wird er mit einem oder zwei «Stacheln» geschoben. Stacheln sind Holzholmen mit Eisenzacken, die es ermöglichen, sich vom Flussboden oder der Uferböschung abzustossen.

Besonders populär in Südfrankreich

Schon früh massen sich Fährleute und Fischer in vielen Städten am Wasser im Fischer- oder Schifferstechen. Diese, in Südfrankreich «Joutes» genannt, waren sozusagen die Ritterturniere des armen Mannes. Oft waren diese sportlichen Anlässe Teil des Programms der grossen Jahresfeste der Zünfte.

Überliefert sind unter anderem Stechen auf dem Rhein, dem Neckar, dem Main, der Elbe, der Donau, der Seine, der Themse und dem Canal Grande in Venedig. Besonders berühmt sind die Joutes in der südfranzösischen Hafenstadt Sète. Seit der Eröffnung des Hafens und des Canal Royal im Jahr 1666 findet dort jeden August das Fest zu Ehren des Stadtheiligen Ludwig («Fête Saint-Louis») statt. Dieser war als Louis IX. von 1226 bis 1270 König von Frankreich und führte zwei Kreuzzüge an. Schon 1297 sprach ihn die römisch-katholische Kirche heilig.

Zur mehrtägigen Fête Saint-Louis gehört seit dem 19. Jahrhundert auch ein Schifferstechen, eine farbenprächtige Veranstaltung (dieses Jahr vom 22. bis 27. August), die Zehntausende von Schaulustigen anlockt.

Seit dem 19. Jahrhundert finden im südfranzösischen Sètes die so genannten Joutes statt. Bild: Ville de Sète

In der Schweiz gab es Stechen in Genf, Lausanne-Ouchy, Vevey und Estavayer-le-Lac. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete am 27. August 1901 von einem «nautischen Fest» in der Limmatstadt: «All diese Zuschauer amüsierten sich über die harmlosen Spässe und komischen Episoden, die da in dem nassen Elemente (…) zum Besten gegeben wurden, ganz köstlich. Mit einem lustigen Schifferstechen wurde begonnen. Jeder Fall ins Wasser wurde natürlich mit Jubel aufgenommen.»

Schon 325 Jahre zuvor, auf dem Zürcher Stadtplan von Josias Murer aus dem Jahr 1576, findet sich die Darstellung eines Schifferstechens zwischen der Rathaus- und der Münsterbrücke. Genau dort wird es auch heute alle drei Jahre ausgetragen, abwechselnd mit Bern und Basel. In Bern fand das erste neuzeitliche Schifferstechen 2018 statt.

Nur noch minimes Risiko

«Früher waren die Lanzen beim Schifferstechen meistens spitz», erklärt Martin Seiler, Co-Präsident des Vereins Schifferstechen Bern. «Die Teilnehmer waren mit Harnisch, Helm und Schild ausgerüstet. Trotzdem kam es oft zu Unfällen; manchmal ertrank einer.

In Sète wird heute noch mit scharfen Lanzen gekämpft», sagt er. «Die Lanzen, die am Berner Schifferstechen eingesetzt werden, sind hingegen aus Aluminium und gut gepolstert.» Das Risiko, sich zu verletzen, ist minim. Trotzdem sind Rettungssanitäter und Rettungstaucher während des ganzen Turniers präsent.

Das Spektakel auf dem Wasser als kulturelle Veranstaltung wird vom Verein Schifferstechen Bern organisiert. In diesem wirken neben Angehörigen des Aare Club Matte Bern, dem der amtierende Stecherkönig Olivier Aebi vorsteht, auch Zünfterinnen und Zünfter der Gesellschaft zu Schiffleuten mit. Diese gehört zu den dreizehn bernischen Zünften und Gesellschaften der Burgergemeinde. Sie entstand im 14. Jahrhundert als Standesorganisation der Schiffer und Fischer. Burgergemeinde und Stadtpräsident haben auch das Patronat des Anlasses übernommen.

Natürlich gehören eine Festwirtschaft und Getränkestände zum Grossanlass. In einem Eventpark auf dem Mühlenplatz gibt es zudem Aktivitäten für Gross und Klein. So kann man sich über den Weidling informieren und das Weidlingsfahren selber ausprobieren. Und Kinder können in Mini-Weidlingen lernen, wie man diese vorwärtsbewegt, und in einer Hüpfburg, wie man einander aussticht.

Weitere Informationen gibt es hier.

(-GEL)