Ferienland Schweiz
Entschleunigung und Stressabbau im verschneiten Oberengadin
Artur K. VogelWer am 8. November im roten Zug der Rhätischen Bahn reiste, kam bereits entspannt im Engadin an: Die fast zweistündige, gemächliche Fahrt von Chur hinauf durch das wilde, verschneite Albulatal ins Engadin ist eine wirksame Form der Entschleunigung. Die Sinne schweifen durch die weiss verzuckerten Nadelwälder, wandern an den zerklüfteten Bergflanken hoch oder hinunter in scharf eingeschnittene Schluchten.
Verschneit war auch der Oberengadiner Ferienort Pontresina, wo vom 8. bis 11. November die ersten Engadin Gesundheitstage stattfanden. Im Fokus stand das Thema Stress, Erschöpfung und Burn-out, die Auswirkungen von Stress auf Herz, Kreislauf und Gefässe, die frühzeitige Bewältigung von Stress und seine Prävention. Die Poblematik ist hochaktuelle: Stress ist ein Phänomen unserer Zeit; immer mehr Menschen leiden darunter. Das kann schwerwiegende Folgen haben: Die Lebensqualität sinkt; die Gesundheitskosten steigen.
Organisiert hat sie, zusammen mit Kuoni Sports Travel – Ochsner Sport Travel, der Journalist Oliver Knick. Er spezialisiert sich seit Jahrzehnten auf Gesundheitsthemen. Acht Jahre lang hatte Knick für die Sendung «Gesundheit Sprechstunde» von Ringier TV mit Dr. Samuel Stutz gearbeitet. 2003 bis 2007 sowie 2012 organisierte er zudem die erfolgreichen Gesundheitsschiffe.
Die Engadin Gesundheitstage sind eine stationäre Fortsetzung dieser Idee, wenn auch in kleinerem Rahmen: Mehrere hundert Gäste waren jeweils auf dem Gesundheitsschiff mitgereist; im Engadin war das Angebot mit gut 30 Gästen ausgebucht, die im Hotel Saratz (4*) und im Grand Hotel Kronenhof (5*) nächtigten. In diesen Häusern fanden auch die Konsultationen, die Vorträge, Workshops und Yoga-Sessionen statt.
Schul- und Komplementärmedizin
Die Gesundheitstage beleuchten die Thematik aus schul- und komplementärmedizinischer Sicht. Dazu waren medizinische und therapeutische Koryphäen angereist, welche den Teilnehmenden in Vorträgen und offenen Sprechstunden eine Fülle von Informationen vermittelten. Als Vertreter der Traditionellen Chinesischen Medizin referierte etwa Yiming Li darüber, wie man bei richtiger Lebensweise hundert Jahre alt werden kann. Prof. TCM und Dr. med. Li von der Swiss TCM Uni Bad Zurzach hat sowohl ein Schweizer Medizinstudium als auch ein Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in China absolviert. Aus dieser umfassenden Sicht erläuterte er, wann TCM und wann Schulmedizin zum Einsatz kommen sollte.
Ursula Wenk referierte über ein besonders komplexes Thema: Wie beeinflussen Hormone, produziert unter anderem von der Schilddrüse, der Nebenniere und den Geschlechtsorganen, unser Wohlbefinden. Denn ein Burn-out, so die erfahrene Therapeutin, die einst Drogistin gelernt hatte, ist nicht nur ein psychisches Phänomen. Auch zu tiefe Spiegel von Serotonin, Dopamin, Adrenalin und so weiter spielen eine entscheidende Rolle.
Ursula Wenk erörterte die Wirkungsweise von Vitaminen, Spurenelementen und «Superfood». Wenn es auch unmöglich war, in dieser begrenzten Zeit alle Zusammenhänge einzuordnen, so blieben doch mehrere Erkenntnisse haften: Guter, ausreichender Schlaf «ist das Thema Nummer eins», so die Therapeutin. Bewegung an der frischen Luft und eine ausgewogene Ernährung sind ebenfalls entscheidend: «mehr Fleisch und gute Fette, weniger Zucker und raffinierte Kohlenhydrate» empfiehlt Ursula Wenk.
Barfuss im Schnee
Um seinen Körper zu spüren und besser zu verstehen, gab es diverse Angebote wie Kundalini-Yoga-Sessionen mit Manuela Knobel oder Atemübungen mit der Atemtherapeutin Georgia Hauser. Mit dieser konnte man auch das besondere Gefühl erleben, welches das Barfussgehen vermittelt, sogar im Schnee und ohne die Füsse abzufrieren.
Für die individuelle Diagnose der Gäste hatten drei Fachteams in drei Suiten im Hotel Saratz improvisierte Praxen eingerichtet. Bei Professor Dr. med. Sacha Salzberg, Facharzt für Herz- und Gefässchirurgie von der Privatklinik Swiss Ablation Zürich, wurden Blutwerte getestet, und bei einem Belastungs-EKG erhielt man Aufschluss über den Zustand des Herzens und allfällige Risiken.
Dr. Jürg Traber, der als Gefässchirurg in Kreuzlingen, Winterthur und Schiers praktiziert, und seine Frau, Dr. med. Ingeborg Traber, testeten die Durchblutung der Beine mit Blutdruckmessungen und Ultraschall-Untersuchungen. Dr. Dr. Theo Kalbermatter und seine Frau Jitka-Maria Kalbermatter schliesslich gingen Schmerzen mit Stosswellen und Magnetimpulsen an.
Die Gesundheitstage sollen zu einer festen Grösse im Angebot Pontresinas werden, verspricht Jan Steiner, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Engadin Tourismus. Der November scheint geeignet dafür, denn dann ist es im Ferienort besonders ruhig. Und natürlich schätzen es auch die Hoteliers, wenn Veranstaltungen in der Zeit stattfinden, in der viele Betten nicht belegt sind.
«Wir geben uns drei Jahre Zeit für die Aufbauphase», sagt Jan Steiner. Oliver Knick versucht, auch Firmen davon zu überzeugen, gefährdeten Arbeitnehmern eine Teilnahme an den Gesundheitstagen zu ermöglichen – in ihrem eigenen Interesse, wie er betont: Erschöpfungszustände, Burn-out und andere psychosomatische Erkrankungen führen auch zu Ausfällen am Arbeitsplatz.