Ferienland Schweiz
Pontresina wagt «etwas Mutiges in den Bergen»
Artur K. VogelZwar sind die März-Zahlen noch nicht bekannt. Doch «der Winter 2022/2023 ist voraussichtlich der beste seit zehn Jahren», freut sich Ursin Maissen, der Geschäftsleiter von Pontresina Tourismus. Der Tourismus ist hier der wichtigste Wirtschaftszweig; fast alle leben direkt oder indirekt davon. Bei einer ständigen Wohnbevölkerung von 2200 Menschen bietet Pontresina rund 1800 Arbeitsplätze.
Eines der Geheimnisse des Erfolgs ist die Tatsache, dass die Bevölkerung direkt in die Entscheidungs- und Informationsprozesse eingebunden wird. So fand am Donnerstagabend im Gemeindezentrum der 44. sogenannte Stammtisch statt, ein Podiumsgespräch, von Pontresina Tourismus organisiert, das jeweils auf reges Interesse stösst. Dank diesem direkten Einbezug herrsche eine positive Grundstimmung im Dorf, sagt Maissen.
Prekäre Wohnsituation
Dabei ist, wenig überraschend, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum eine der drängendsten Herausforderungen. Zwar hat eine Mitarbeiterbefragung im Herbst 2022 laut Ursin Maissen ergeben, dass Pontresina «insgesamt extrem gut dasteht und bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sehr beliebt ist». Die Wohnsituation jedoch wird als problematisch eingestuft.
Bettina und Richard Plattner haben eine Lösung gefunden: Zusätzlich zu ihrem Hotel Maistra 160 an der Hauptstrasse mitten im Dorf, das im November eröffnet werden soll und rund 30 Millionen Franken kosten wird, haben sie nochmals rund zehn Millionen in ein Personalhaus am Dorfrand mit 15 Studios, zwei Miniwohnungen und zwei grösseren Wohnungen für WGs investiert.
Ein Personalhaus könne niemals rentabel betrieben werden, räumte Bettina Plattner am Stammtisch ein. Es sei jedoch «auch eine Form von Rendite, wenn man wertvolle Mitarbeitende dadurch halten kann, dass man ihnen eine gute Lebensqualität bietet».
Das Hotel Maistra 160, entworfen vom Bündner Architekten und ETH-Professor Gion Caminada, wird das ohnehin schon grosszügige Hotelangebot in Pontresina auf originelle Art ergänzen. Von der Via Maistra aus sind nur die obersten vier Stockwerke zu sehen; von der tieferliegenden Via de la Staziun hingegen wird das wirkliche Ausmass des Baus sichtbar, der tatsächlich sieben Stockwerke plus zwei unterirdische Garagengeschosse umfasst.
Viersterne-superior-Hotel mit Jugendklub
36 Zimmer und elf Wohnungen mit einem, zwei oder drei Schlafzimmern – die weder verkauft noch an Langzeitmieter vergeben werden, sondern voll ins Hotelangebot integriert sind – bietet das Maistra. Zudem findet sich ein mehrere Stockwerke hoher, gegen oben offener Innenhof, um den ein dreistöckiger Spa- und Wellnessbereich gruppiert ist. Der «Pöschtli-Chäller», ein Jugendklub im Hotel Post, das früher an derselben Stelle stand, wird, sehr gut gegen Schall abgedichtet, mitten im Maistra wieder auferstehen: «Wir reissen sicher nicht ein Hotel mit Jugendklub ab, ohne diesen zu ersetzen», sagt Bettina Plattner dazu.
Zusammen mit den Ferienwohnungen in den drei Gebäuden ihrer sogenannten Alpine Lodges kann das Unternehmerpaar Bettina und Richard Plattner ab nächstem Winter nun 190 Ferienbetten anbieten.
Kein klassisches Hotel
Ein zweites Hotel wird ebenfalls gegen Ende Jahr eröffnet, das Sunstar Pontresina etwas weiter oben im Dorf. Die Sunstar-Gruppe mit Sitz in Liestal BL betreibt momentan sieben Viersterne-Häuser in Schweizer Ferienorten und im Piemont. Sunstar kaufte das geschlossene Hotel Collina schon vor zwölf Jahren, wartete aber die Abstimmung über die Zweitwohnungsinitiative 2012 und die entsprechende Gesetzgebung ab, bevor sie konkrete Pläne ausarbeitete. Das erklärte Sunstar-CEO Silvio Schoch bei einer Baustellenbesichtigung.
Während das Maistra 160 ein Viersterne-superior-Haus wird, begnügt sich das Sunstar mit drei Sternen. Diese seien aber nicht wirklich von Bedeutung, sagt Eva Leitner, welche das Hotel zusammen mit Noëmi Ruckstuhl leiten wird. Vielmehr gehe man neue Wege, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. «Es gibt keine klassische Rezeption, kein klassisches Restaurant und kein Bargeld», erklärt Eva Leitner – und auch kaum Hierarchien.
Ein Lobby-Restaurant im Sunstar, genannt «Social Area», ist sehr informell gehalten. Von den 46 Zimmern sind 21 als sogenannte Lofts ausgelegt, als Familienzimmer mit Kitchenette. Jede Loft kann bei Bedarf mit einem Doppelzimmer verbunden werden, so dass bis zu sechs Personen gemeinsam Ferien machen können. Im Sunstar erwartet man folglich «eher jüngere Gäste und Familien mit Kindern», so Eva Leitner.
Es gibt einen grossen Skiraum und eine gut ausgestattete Bike-Station, hingegen nur einen kleinen Wellness-Bereich. Man will eng mit anderen Restaurants im Dorf und mit dem Wellness und Hallenbad Bellavita zusammenarbeiten. Das Sunstar Pontresina sollte mit 20 bis 25 Mitarbeitern auskommen. Bis zu acht von ihnen können in vier Personalzimmern untergebracht werden. Mit dem neuartigen Konzept lasse man «etwas Mutiges in den Bergen» entstehen, verspricht Sunstar-CEO Schoch.
Anders als im Maistra 160 sind im Sunstar auch vier Eigentumswohungen entstanden, die für Preise zwischen 1.95 und vier Millionen Franken bereits verkauft sind. Mit deren Erlös wurden die Investitionskosten des Hotels im zweistelligen Millionenbereich teilweise querfinanziert.
Bei allen Unterschieden haben das Sunstar und das Maistra 160 ein paar Gemeinsamkeiten. So werden beide Häuser mit Pelletöfen geheizt, das Maistra zusätzlich mit Erdsonden. Und beide haben Solarpaneele auf den Dächern installiert.
Neue Jugendherberge
Am Stammtisch wurden weitere Projekte vorgestellt. So entsteht mit dem Hotel Al Flaz ein neues Haus mit Sportanlagen im eher preisgünstigen Sektor. Angesprochen werden soll laut Mitinhaber Werner Baumgartner ein «junges, urbanes Publikum». Die Baubewilligung sei erteilt, die Baufreigabe sollte demnächst eintreffen. Das Hotel wird 20 bis 25 Millionen Franken kosten.
Noch vage sind die Pläne und das Investitionsvolumen für das riesige Schlosshotel im unteren Dorfteil Richtung Samedan. Es wurde drei Jahrzehnte lang vom Club Med betrieben und beherbergte danach vor allem italienische Gäste, bis diese wegen des Frankenkurses ausblieben.
Spätestens 2015 geriet das Hotel in die Krise. Jetzt werde man neu beginnen, versprach der Anwalt der italienischen Eigentümer, Christoph Affolter, am Stammtisch. Man habe sich vor ein paar Wochen mit einem neuen Pächter geeinigt, strebe nun eine Baubewilligung innert etwa einem Jahr an und möchte 2025 mit neuem Konzept wiedereröffnen.
Neubaupläne hat auch die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus, welche die Schweizer Jugendherbergen besitzt. Im Rahmen einer Gesamtplanung für das Bahnhofsareal soll die bestehende, rund 50 Jahre alte Herberge abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden, sagte René Dobler, der Geschäftsleiter der Stiftung. Die neue Jugendherberge mit einem Viertel mehr Betten wird wieder ein öffentliches Restaurant besitzen, ein Langlaufzentrum, Shops, einen Mehrzweckraum und als Alleinstellungsmerkmal eine Boulderhalle.
Man müsse diese Entwicklung unter dem Aspekt betrachten, dass in den letzten Jahren im Oberengadin 1000 Hotelbetten verschwunden seien, erklärt Ursin Maissen. Sie wurden meist für den schnellen Profit in Zweitwohnungen umgebaut. Jetzt stelle man eine Trendwende fest, freut sich Jan Steiner. Steiner, einst selbst Tourismusdirektor von Pontresina, ist verantwortlich für Engadin-Tourismus. Die Organisation hat sich gerade von St. Moritz abgespalten und umfasst das Oberengadin von Maloja bis S-Chanf. Insgesamt seien in dieser Region Hotel-Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe geplant, sagte Steiner am Schluss des Stammtisches.