Ferienland Schweiz

Auf Winterwanderwegen geniessen Besucher die Landschaft des Engadin. Bild: Michelle Zbinden, Scuol

Weitwandern durch den frischen Schnee

Silvia Schaub

Weitwandern von Hotel zu Hotel geht auch im Winter. Zum Beispiel auf der Via Engiadina von Zernez nach Sent durch unberührte Landschaft und vorbei an hübschen Unterengadiner Dörfern.

Ein bisschen wie der Esel am Berg stehen wir vor den Wanderweg-Schildern kurz nach Bos-cha zwischen Guarda und Ardez. Welchen Weg nur sollen wir nehmen? Nach Ardez führen zwei Wege. Derjenige via Munt scheint uns der bessere. Also stapfen wir los durch das Wäldchen von Peidra Pignan. Ganz beschwingt, anfangs noch. Doch der Winterwanderweg führt immer steiler bergauf. Kein Problem für unseren vierbeinigen Begleiter. Er springt übermütig voraus, hüpft freudig in den frischen Schnee und entdeckt immer neue Tierspuren, die es zu beschnuppern gilt. Währenddessen schreiten wir in ruhigem Tempo über den frisch präparierten Weg und ziehen die ersten Spuren. Die Sonne blinzelt hinter den Berggipfeln hervor, der Schnee knirscht herrlich unter unseren Füssen.

Gut gestärkt und nur mit einem leichten Rucksack ausgerüstet waren wir eine gute halbe Stunde zuvor beim Hotel Meisser in Guarda gestartet. Das Gepäck wird uns zum nächsten Etappenort chauffiert. Heute steht die erste Etappe unserer Winterweitwanderung auf der Via Engiadina auf dem Programm. Was im Sommer an vielen Orten in der Schweiz angeboten und immer beliebter wird, geht nämlich auch im Winter: Weitwandern von Hotel zu Hotel. Engadin Scuol Zernez bietet seit vorletztem Winter das Package «Winterwandern auf der Via Engiadina» von Zernez nach Sent mit vier Hotel-Übernachtungen an. Das Thema sei auch im Winter gefragt, wenn auch noch längst nicht so stark wie im Sommer, betont Michelle Zbinen, Projektleiterin bei Tourismus Engadin Scuol Zernez. «Das Unterengadin verfügt über ein gut ausgebautes Netz an markierten Winterwanderwegen. Wem die Strecken zu lang sind, kann sie mit dem ÖV abkürzen.»

Ausblick auf den Ort Sent. Bild: Andrea Badrutt, Chur

Das ist in unserem Fall nicht nötig, die Etappe nach Ardez ist problemlos machbar. Eine leichte Route hat es geheissen, die nur eineinhalb Stunden dauert. Ideal also zum Einlaufen. Doch eben, es hat dann doch etwas länger gedauert und war ziemlich anstrengend. Wir haben tatsächlich die längere Route erwischt, wie wir beim genauen Blick auf unser Kartenmaterial feststellen. Aber schliesslich hatte auch diese ein pinkes Schneeflocken-Signet, das die Winterwanderwege anzeigt.

Endlich haben wir den höchsten Punkt bei Munt erreicht. Hübsche alte Maiensässe stehen hier. Eindrucksvoll ist die Aussicht auf Ardez und Sur En, das für den Schellenursli-Film von Xavier Koller als Kulisse diente. Dahinter thronen die Dreitausender Piz Plavna Dadaint, Pisoc und Mingèr. Der perfekte Moment für ein Picknick im Schnee. Auf einem sanft abfallenden, breiten Weg führt dann der Abstieg hinunter nach Ardez. Aber Achtung, dieser wird auch von Schlittlern benutzt. Bereits kurz nach Mittag haben wir das Dorf erreicht und können uns im Hotel Schorta’s Alvetern gemütlich entspannen.

Unterwegs auf dem Winterwanderweg. Bild: Andrea Badrutt, Chur

Im Vorfeld hatten wir noch ziemlich gebibbert, ob unsere geplante Mehrtagestour nicht ins Wasser fallen würde. Noch einen Tag vor Abreise waren fast sämtliche Routen wegen Lawinengefahr gesperrt. Doch dann kam Entwarnung – zumindest ab der zweiten Etappe. So sind wir statt in Zernez erst in Guarda gestartet und hatten dafür etwas Zeit, das Bilderbuch-Dorf samt dem Schellenursli-Haus (es ist übrigens die Nummer 51 in der Hauptgasse) und dem Museum zu seinen Ehren zu besuchen.

Der skeptische Blick nach oben zu den Schneehängen begleitet uns auch, als wir am nächsten Morgen zeitig das Hotel verlassen und den Winterwanderweg Richtung Ftan unter die Füsse nehmen. Kaum haben wir das Dorf verlassen, führt der Weg in zwei weiten Kurven bis zur Abzweigung Richtung Chanoua. Es lohnt sich, auch mal einen Blick zurück auf die Burgruine und über die Dächer von Ardez zu werfen. Vor uns tauchen die Ruinen der einstigen Säumerstation Chanoua auf. Der Infotafel zufolge soll hier im 9. Jahrhundert eine «fiskalische Taberne» mit Sust (ein Lagerhaus für Handelswaren) gestanden haben, schliesslich führte die damalige Verbindungsstrasse «via imperiala» vom Tirol nach Como und weiter nach Mailand genau hier vorbei.

Natur so weit das Auge reicht. Bild: Michelle Zbinden

Noch ist der Himmel wolkenverhangen und die Temperaturen frisch. Aber der Aufstieg Richtung Ftan wärmt uns auf. Bevor wir das Unterengadiner Dorf mit seinen stolzen Engadiner Häusern auf dem Hochplateau erreichen, müssen wir ein Stück der Verbindungsstrasse von Ardez entlanglaufen. Doch um diese Zeit hat es zum Glück kaum Verkehr. Allmählich schälen wir uns aus unseren Schichten und suchen ausserhalb des Dorfes ein Bänklein für einen Zwischenhalt. Immerhin sind wir bereits gut zwei Stunden unterwegs, was im Schnee doch einiges anstrengender ist als auf einem aperen Wanderweg. Wie zuvorkommend von den Einheimischen: Bei jedem Bänklein hängt entweder eine kleine Schaufel oder ein Wischerli, damit man sie vom Schnee befreien kann. Der Abstieg bis zum Etappenziel ist das erste Dessert für heute, der Weg führt nämlich angenehm abfallend direkt nach Scuol. Einziger Knackpunkt: Am Schluss landen wir auf der Skipiste und müssen sie ein paar Mal überqueren.

Dicker Nebel und Schneefall überraschen uns am nächsten Morgen. Und auch die Mitteilung von der Tourismusorganisation, dass die geplante Route von Scuol via Muotta Naluns nach Sent wegen Lawinengefahr nicht begehbar ist. Aber zum Glück gibt es Alternativen. Also packen wir unser Rucksäcklein und machen uns auf Richtung Ospidal. Wir überqueren die kleine Brücke und sind bereits auf dem Fussweg, der nach Sent führt. Nur ein paar Hundebesitzer sind bei diesem unwirtlichen Wetter unterwegs.

Heute ist das Wandern anstrengender, da über Nacht einige Zentimeter Schnee gefallen sind und der Weg noch nicht präpariert wurde. Doch es hat durchaus etwas Meditatives, so eingehüllt vom Nebel und umwirbelt von Schneeflocken durch die Landschaft zu stapfen. Manchmal erkennt man den Weg nur daran, dass am Wegrand einige Berberitzen- und Weissdorn-Büsche stehen. Bald haben wir Chauennas erreicht. Und plötzlich lockert sich der Nebel etwas auf und lässt Sent in der Ferne wie auf Wolken erscheinen. Als wir die ersten Häuser erreichen, reisst der Himmel ganz auf, als würde uns das hübsche Engadiner Dorf speziell begrüssen wollen.

Die Tour wurde unterstützt von Tourismus Engadin Scuol Zernez (engadin.com). Bild: Michelle Zbinden, Scuol