Ferienland Schweiz

Bei Profi Balz Müller sieht Wingfoilen ganz einfach aus. Bild: Silvaplana Tourismus / Fabian Gattlen

Nicht nur Engel haben Flügel

Markus Fässler

Wassersport im Oberengadin auf rund 1800 Metern über Meer? Das geht – und zwar wegen des Malojawindes, der über den Silvaplanersee fegt, am besten von Anfang Juni bis Mitte Oktober. Grund genug, dies mit einem Kurs der neusten Trenddisziplin Wingsurfen selbst zu erleben.

Wellen schlagen mir ins Gesicht, immer wieder nehme ich unfreiwillig einen kräftigen Schluck vom kalten Nass zu mir. Der Blick ist wegen des aufspritzenden Wassers vor meinen Augen verschleiert. Trotzdem erkenne ich Berge, deren Spitzen zum Teil mit Schnee bedeckt sind. Die Szenerie passt irgendwie so gar nicht zu meiner aktuellen Lage. Ich liege nämlich bäuchlings auf einem Surfbrett und paddle wild mit beiden Armen, um gegen den immer stärker aufziehenden Wind zu bestehen und hinaus auf den Silvaplanersee zu kommen. Es ist der erste Tag meines Wingsurf-Kurses in Silvaplana.

Engadin, nicht Hawaii

Wingsurfen, eine Kombination aus Wind- und Kitesurfen, soll der neuste Trend unter den Wassersportlern sein. Die Besonderheit dabei: Im Gegensatz zum bekannten Windsurfen ist das Segel respektive der Wing nicht mit dem Brett verbunden – der Mensch wird also zum Mast. Nochmals etwas anders funktioniert Wingfoilen, bei dem man sich dank des speziell konstruierten Brettes aus dem Wasser liften und dann in der Luft über den See schweben kann. Das Foil verfügt über einen gewölbten Tragflügel, der unter der Wasseroberfläche einen Sog entstehen lässt und so das Brett nach oben hebt.

Aber Moment mal: Actiongeladene Wassersportarten hier im Oberengadin, auf gut 1800 Metern über Meer, umgeben von Arvenwäldern und Dreitausendern? Solche Aktivitäten sind doch nur am Meer, etwa auf Teneriffa, dem europäischen Surfmekka, oder noch viel weiter weg wie auf Hawaii möglich. Weit gefehlt: Der Silvaplanersee ist ein absolutes Paradies für Wassersport-Begeisterte. Grund dafür ist der Malojawind, der verlängerte Talwind vom Bergell. Der Luftstrom wird zusätzlich durch die im Oberengadin hangaufwärts wehenden Winde angesogen. Er setzt während der Sommermonate bis in den Herbst hinein jeweils pünktlich um die Mittagszeit ein und gewinnt laufend an Stärke. Dabei erreicht er vom Malojapass kommend Geschwindigkeiten von bis zu 50 Kilometer pro Stunde.

Nass, kalt, frustrierend

Mit Hilfe des Malojawindes über den Silvaplanersee fliegen, das tönt verlockend. Bevor ich allerdings nur annähernd davon träumen kann, sind Theorie und Trockenübungen nötig. Dabei hilft mir Ben Beholz, Wingfoil-Instruktor bei Windsurfing Silvaplana. Er soll mir innerhalb weniger Stunden das Wingsurfen – oder zumindest die Grundlagen – beibringen. Eine der grossen Schwierigkeiten ist der Start. Direkt aus dem Wasser geht es auf die Knie, dann heisst es den mit Luft gefüllten Flügel mit beiden Armen über dem Kopf zu positionieren. Nun muss alles schnell gehen: Vorderes Bein anwinkeln und dann ganz aufstehen. An Land funktioniert das alles ganz gut. Ich fühle mich bereit fürs Wasser.

So paddle ich also möglichst weit hinaus auf den See, damit mich der Wind während meiner ersten Versuche nicht zu schnell wieder ans Ufer befördert. Ich verfluche mich für jede während der vergangenen Monate verpasste Gelegenheit, mich zu bewegen. «Mit Wingsurfen brauchst du kein Fitnessstudio mehr», sagte Beholz gerade noch zu mir. Wenig später befinde ich mich einmal mehr unter Wasser. Ich tauche auf und halte nach Brett und Wing Ausschau. Nach dem gefühlt zwanzigsten Abflug macht sich langsam aber sicher Ernüchterung bei mir breit. Das Balancieren auf dem wippenden Board, gleichzeitig den Wing richtig zu halten, gegen den Malojawind zu kämpfen und dann in einem Guss aufzustehen, stellt mich vor ungeahnte Schwierigkeiten. Immerhin bietet mein Neoprenanzug Schutz vor dem kalten Wasser des Silvaplanersees, das auch während der Sommermonate selten viel wärmer als 15 Grad wird.

Wenn sich der Knoten löst

Die vielen Abflüge vom Brett lassen mir keine Ruhe und so bin ich am zweiten Kurstag schon vor dem eigentlichen Beginn auf dem See und übe das Aufstehen ohne Wing. Scheinbar hat das etwas bewirkt. Denn während des Kurses geschieht etwas, das ich nach den Rückschlägen tags zuvor nicht mehr für möglich gehalten hätte: Auf einmal stehe ich mehr oder weniger sicher auf dem Brett und drehe den Wing so, dass der Wind mir Antrieb gibt. Freude steigt in mir auf. Ich gleite unbeschwert über den Silvaplanersee und geniesse den Moment. Kurze Zeit später tauche ich erneut auf. Dieses Mal ist aber ein Lachen und nicht wie bis anhin das eine oder andere Fluchwort zu hören. Sofort kraxle ich wieder aufs Brett fahre die nächsten Meter. Der Knoten hat sich gelöst.

Ohnehin ist es eigentlich gar nicht schlimm, vom Board zu fallen. Denn beim Auftauchen entschädigt einen das einzigartige Engadiner Bergpanorama. Auch einer der Gründe, warum Silvaplana für Wassersportler auf der ganzen Welt ein so besonderer und beliebter Ort ist.

Infos zu Wassersport auf dem Silvaplanersee

Die Wassersportsaison dauert in Silvaplana von Anfang Juni bis Mitte Oktober. Im Angebot stehen Windsurfen, Kitesurfen, Wingsurfen, Wingfoilen, Segeln oder Stand Up Paddling. Wer eine der Sportarten lernen will, ist hier an der richtigen Adresse:

Windsurfen: «Windsurfing Silvaplana» bietet Windsurfkurse für Erwachsene und Kinder, für Anfänger (ab 7 Jahre) und Fortgeschrittene an. Zudem gibt es ein grosses Sortiment an Test- und Mietmaterial sowie einen Windsurf-Shop. Inhaberin Sarah Missiaen und die Lehrerinnen und Lehrer sind alle selbst erfahrene Windsurfer. www.windsurfing-silvaplana.ch

Kitesurfen: Auch für Kitesurfer ist der Silvaplanersee ein absoluter Hotspot und weltweit bekannt. Die Kitesurfschule befindet sich direkt am See und verfügt über einen grossen Shop. «Swiss Kitesurf» hat Kitesurfkurse für Erwachsene und Kinder, für Anfänger und Fortgeschrittene sowie ein Sortiment an Test- und Mietmaterial im Angebot. www.kitesailing.ch

Wing Foiling: Der neuste Trend unter den Wassersportlern. Interessierte können Kurse bei «Windsurfing Silvaplana» oder «Swiss Kitesurf» buchen.

Stand Up Paddling: Gemütlich und nicht vom Malojawind abhängig unterwegs ist man auf dem Silvaplanersee auf dem Stand Up Paddle (SUP). SUP-Material gibt es bei «Windsurfing Silvaplana» und «Swiss Kitesurf» zu mieten. Angeboten werden auch spezielle Kurse wie SUP & Yoga, SUP-Touren und XXL-SUPs.

Segeln: Der Malojawind spielt auch den Seglern in die Hände. Bei der Swiss Sailing School kann man das Segeln lernen, die Segelprüfung absolvieren oder ein Segelboot chartern. www.swisssailingschool.ch