Ferienland Schweiz
Technischer Schnee garantiert das Überleben des Wintersports
Artur K. VogelStefan Mumenthaler möchte, dass man es durchaus auch mal positiv sieht: «Skifahren ist ein wunderbarer Sport, der ohne die technische Beschneiung nicht möglich wäre. Viele Skifahrer machen sich gar keine Gedanken darüber, was es alles braucht um einen tollen Skitag zu erleben.» Die Antwort ist klar: Oft ist Wintersport nur möglich, weil Pisten technisch beschneit worden sind.
Das sei heute in der Schweiz bei 50 bis 55 Prozent aller Pistenkilometer der Fall, Tendenz steigend, sagt Mumenthaler. Der 50-Jährige Berner aus Meiringen ist Gebietsverantwortlicher Bern und Wallis von TechnoAlpin, dem weltweit führenden Anbieter von Beschneiungssystemen. Die Firma, gegründet 1990 in Bozen im Südtirol, hat 15 Niederlassungen in 13 Ländern, 700 Mitarbeitende und rund 2400 Kunden in mehr als 50 Ländern.
Ein aktueller Auftritt ist besonders prestigeträchtig: Bei einer internationalen Ausschreibung holte sich TechnoAlpin den Auftrag für Lieferung, Installation und Betrieb sämtlicher Beschneiungsanlagen der Olympischen Winterspiele in Peking.
Immer weniger Schnee
Für viele Naturschützer ist die technische Beschneiung von Skipisten ein Sakrileg. Sie verbrauche Energie und Wasser, verändere die Pflanzenwelt, störe Tiere, und die Produktionsanlagen verschandelte die Landschaft, liest man etwa.
Stefan Mumenthaler hält dem entgegen, dass heute sicher «kein Skigebiet zum Spass beschneit». Tatsächlich sind Wintersportorte wegen der Klimaerwärmung mit gravierenden Problemen konfrontiert: Es fällt immer weniger Schnee, und die Periode mit richtigem Winterwetter verkürzt sich laufend. Meteoschweiz schreibt dazu: «Mit der Wintererwärmung und dem damit verbundenen Anstieg der Nullgradgrenze reduziert sich die jährliche Zahl der Tage mit einer Schneedecke (…) je nach Standort um etwa 20 bis 30.»
Die Auswirkungen konkretisiert Meteoschweiz am Beispiel Arosa: «Eine Schneedecke von mindestens 40 cm konnte in Arosa früher im Mittel von Anfang Dezember bis am 10. Mai erwartet werden. Heute (…) noch von Mitte Dezember bis am 20. April.» Seit 1970 sei die Anzahl Schneetage in Lagen unter 800 Metern um die Hälfte gesunken, berichtet das Bundesamt für Umwelt, auf 2000 Metern um rund 20 Prozent.
Die Klimaerwärmung ist ein Grund für den Ausbau der Beschneiungsanlagen, noch viel wichtiger ist die Planbarkeit der Saison. Hohe Investitionen in die touristische Infrastruktur und gesteigerte Anforderungen der Skifahrer an die Qualität machen Wintersport ohne sichere Eröffnungstermine vor Weihnachten beinahe unmöglich.
Da für Winterurlauber neben dem Wetter die Schneesicherheit eines der wichtigsten Kriterien bei der Wahl des Ferienortes ist, könnten viele Wintersportgebiete ohne technische Beschneiung nicht mehr überleben. Die Schweizer Kundenliste von TechnoAlpin liest sich deshalb wie ein Who is Who gefragtesten Winterdestinationen.
Planbare Saison dank Beschneiung
Die Naturschutzorganisation Pro Natura kritisiert: «Dank künstlich produziertem Schnee (umgangssprachlich Kunstschnee, in Fachkreisen technischer Schnee genannt), kann die Saison sehr früh starten und spät enden, mehr Skifahrerinnen und Skifahrer flitzen die Pisten hinab, das bringt Einnahmen. Für die Skigebiete ist Beschneiung also eine gute Lösung.» Und nicht nur für sie: «Skifahrerinnen und Skifahrer sind gegenüber Kunstschnee durchaus positiv eingestellt, wie Befragungen zeigen», bemerkt die Organisation bedauernd.
Diese für die Naturschutzorganisation negativen Argumente erklären in Wirklichkeit gerade, weshalb immer mehr Skigebiete auf Beschneiung setzen: Erstens können so der Beginn der Wintersaison und ihr Ende besser geplant werden. Technischer Schnee wird ausschliesslich mit Wasser ohne jeden Zusatz erzeugt und kann, je nach Luftfeuchtigkeit, bei Temperaturen von plus ein Grad abwärts produziert werden. Normalerweise kann deshalb im November mit dem Einschneien der Pisten begonnen werden. «Für Bergbahnen ist das wie eine Versicherung» , sagt Mumenthaler. Zweitens garantiert der technische Schnee während der gesamten Saison beste Pistenverhältnisse. «Dass man über Gras und Steine fahren muss, gehört der Vergangenheit an.»
Millionen für die Entwicklung
Die Beschneiung hat in den letzten Jahren eine rasante technische Entwicklung durchgemacht, in welche TechnoAlpin jedes Jahr Millionen für Forschung und Entwicklung in die Nachhaltigkeit investiert. Die Firma arbeitet dabei mit Universitäten, Forschungsanstalten und spezialisierten Partnerunternehmen zusammen. Früher wurden nur exponierte Stellen technisch beschneit; heute wird eine Beschneiung für eine Piste flächendeckend gebaut. Oft fällt Naturschnee auf einen Untergrund aus technischem Schnee, oder die beiden vermengen sich.
Trotzdem sinkt der Wasserverbrauch. (Wobei, sagt Mumenthaler, dieser Ausdruck falsch sei, denn «wie beim natürlichen wird auch beim technisch erzeugten Schnee das Wasser nur gespeichert und fliesst bei Tauwetter zu Tal».) Dank einem digitalisierten System, das mit Scannern, 3-D-Bildern und GPS aus den Pistenmaschinen arbeitet, kann heute exakt festgestellt werden, wo die Schneedecke bereits dick genug ist und wo noch beschneit werden muss. Zudem besitzt die Firma einen eigenen Wetterdienst, dank dessen präzisen Vorhersagen sich die notwendigen Einsätze planen lassen.
Die Beschneiung eines Skigebietes erfordert eine komplexe Infrastruktur mit Speicherseen, Wasser- und Stromleitungen, Pumpen usw. Zusammen mit den Schnei-Lanzen und den Propellern (im Volksmund «Schneekanonen» genannt) stellen diese einen Eingriff in die Natur dar. Das bestreitet Stefan Mumenthaler nicht, der in den Bergen lebt und fast seine ganze Freizeit in der Natur verbringt und sich zudem als Lawinenhundeführer der Alpinen Rettung Schweiz engagiert. Man müsse eine Balance zwischen dem Schutz der Natur, den Bedürfnissen der Wintersportler und den wirtschaftlichen Interessen der Destinationen finden, meint er.
Damit die Installationen auch ausserhalb der Wintersaison eine Aufgabe haben, arbeitet TechnoAlpin an Dutzenden von Projekten zur Mehrfachnutzung von Beschneiungsanlagen. Ein Beispiel ist die Stromproduktion: in Davos wird z.B. bereits 60% des benötigten Stroms für die Beschneiung mittels der Anlage im Sommer turbiniert und so eine Nachhaltigkeit der Anlage erzielt. Auch Speicherseen kann man im Sommer zu Badeseen umfunktionieren oder als Löschwasserbecken verwenden. Hochwasserschutz, als Rückhaltebecken für Bäche, wie das z.B. in Saas Fee bereits geschieht. An einigen Orten wird bereits daran gearbeitet die Wasserversorgung und Bewässerung von Alpen sicherzustellen, Brunnen für das Vieh zu speisen; «Nachhaltigkeit ist für uns sehr wichtig», beteuert Stefan Mumenthaler, der einst eine Gärtnerlehre gemacht hatte, und ergänzt «wir alle arbeiten nicht nur im Alpenraum, nein wir haben sogar das Privileg da zu wohnen, wo andere Ferien machen. Wir wissen es zu schätzen und tragen Sorge zu unserem geliebten Lebensraum».