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Istanbul, bisher noch kein Nutzniesser des türkischen Tourismus-Comebacks, könnte touristisch am meisten vom Währungszerfall in der Türkei profitieren. Bild: VH

Der türkische Tourismus profitiert von der Lira-Krise

Jean-Claude Raemy

Der Zerfall der türkischen Lira macht Nebenkosten vor Ort deutlich billiger, wobei die Preise für Anreise und Übernachtung wohl unverändert bleiben. Wir haben uns mit Deniz Ugur von Bentour zur aktuellen Situation im türkischen Tourismus unterhalten.

Dieser Tage ist die Türkei aufgrund wirtschaftlicher Turbulenzen in aller Munde. Insbesondere die Abwertung der Türkischen Lira um über 46 Prozent seit Jahresbeginn, mit markanten Abschwächungen (über 25 Prozent) in den letzten Tagen, sorgt für Nervosität auf Finanzmärkten. Zur Veranschaulichung: Am 23. Juli gab es für einen Franken noch 4,8 Lira, am Montag (13. August) dagegen 6,9 Lira, wobei sich die Krise inzwischen etwas abgeschwächt hat und man heute 6,6 Lira erhält.

Deniz Ugur, Bentour Reisen.

Für die Einwohner der Türkei ist das natürlich alles andere als erfreulich. Aber aus touristischer Sicht ist die Lira-Krise – zumindest auf den ersten Blick – eine gute Sache. Die Kosten vor Ort sind deutlich niedriger als noch vor Kurzem. Doch wie sieht es bei den Kosten für die Anreise und die Übernachtungen aus? Travelnews.ch hat bei Deniz Ugur, dem Geschäftsführer von Türkei-Spezialist Bentour Reisen, nachgefragt.

«Primär sind die Hoteliers die Gewinner», so Ugur, «sie haben mit den Veranstaltern die Preise in Euro vereinbart, aber ihre eigenen Kosten, vor allem Personalkosten, fallen in Lira an. Aktuell können wir aber nicht nachverhandeln, zumal die Nachfrage sehr hoch ist.» Auch bei den Flügen dürfte es keine direkten Auswirkungen geben: «Die aktuellen Preise der Airlines lassen sich ebenfalls aufgrund der hohen Nachfrage durchsetzen», so Ugur, der zu bedenken gibt, dass etwa Sun Express die Löhne in Euro bezahlt und somit gar keinen Spielraum hat.

Keine Preisabschwächung zu erwarten – und doch werden Ferien billiger

Was heisst das nun für Ferienreisen in der kommenden Saison? Ugur erwartet keine günstigeren Preise: «Eigentlich waren Preissteigerungen für die kommende Saison angedacht; vielleicht lassen sich diese verhindern. Aber gross günstiger werden Pauschalreisen nicht.»

Eine grosse Chance sieht Ugur immerhin für Istanbul – die Grossstadt am Bosporus hat sich touristisch, im Gegensatz zur Türkischen Riviera, noch nicht richtig erholt. Nun aber winken endlich Top-Raten bei Hotels und ein luxuriöser Aufenthalt in der Stadt wird dank den extrem tiefen Kosten, etwa für Essen und Shopping, durchaus erschwinglich.

«Ein Aufschwung bei der Nachfrage würde Istanbul sicher gut tun», erklärt Ugur. Allerdings will er ansonsten nicht zu sehr auf «supergünstig» als Marketingtool setzen: «Als Qualitäts-Reiseveranstalter sehen wir in der Türkei vor allem ein hervorragendes Zielgebiet für erholsame Ferien mit einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis. Die Reduktion all dieser Leistungen und Vorteile auf den einzigen Nenner ‚besonders günstig‘ tut aus unserer Sicht der Türkei aber Unrecht.»

Touristen sollten sich keine Sorgen machen

Aber natürlich freut sich Ugur über das nun noch stärker erweckende touristische Interesse an der Türkei. Kann dieses allerdings durch die wirtschaftlichen Turbulenzen gefährdet werden? Ugur schätzt die Gefahr eines wirtschaftlichen Kollapses in der Türkei als «sehr gering bis nicht existent» ein. Auch der Bezug von Bargeld werde für Touristen im Land immer problemlos möglich sein. «Die meisten Touristen verzichten jedoch aus unserer Erfahrung schon heute auf den Bezug von Bargeld und begleichen mögliche Ausgaben in den meisten Fällen per Karte», so Ugur.

Eine Auswirkung von wirtschaftlichen Turbulenzen auf den Tourismussektor sei nicht zu erwarten. «Darüber hinaus bringen Touristen Devisen ins Land», so Ugur, was die Bedeutung des Tourismus für die türkische Gesamtwirtschaft noch weiter steigern werde. Ein weiterer Faktor, der aus Sicht ausländischer Besucher positiv ist: «Der Anteil der einheimischen Touristen wird von aktuell 30 Prozent auf wohl rund 15 Prozent zurückgehen, was Kapazitäten schafft und Engpässe abbaut», berichtet Ugur.

Es könnte also zumindest aus touristischer Sicht alles für die Türkei laufen. «Vor Ort herrscht kein Ausnahmezustand und der Alltag verläuft eigentlich wie gewohnt», berichtet Ugur, der soeben aus der Türkei zurückgekehrt ist. Er – wie auch andere Reisende, die travelnews.ch von ihren kürzlichen Trips in die Türkei berichtet haben, erzählen von vollen Restaurants und einer florierenden Tourismusindustrie, zwei Jahre nach deren Terror-bedingtem Zusammenbruch. 2016 ging das türkische BIP infolge der Tourismusprobleme um ein ganzes Prozent zurück – nun sind die Probleme anders gelagert, aber der Tourismus hilft, diese zu überwinden: Im April und Juni wurden 30 Prozent mehr Touristen als noch im Vorjahr gemeldet. Das hat auch mit der Erschliessung neuer Quellmärkte wie Iran, Indien oder China zu tun, wie Ugur bestätigt.

Russen haben inzwischen sogar die Deutschen von Rang 1 der grössten Tourismusquellmärkte verdrängt – allerdings nur bei der Anzahl Einreisen, nicht bei den ausgegeben Geldern. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Tourist lagen im 2. Quartal 2018 bei umgerechnet 602 Dollar, gegenüber 715 Dollar im Jahr 2015. Trotz dieser Entwicklung ist der Tourismus momentan ein Lichtblick in der türkischen Wirtschaft. Bis Ende Jahr erwartet der türkische Reiseverband Tursab 40 Millionen Besucher. Viele davon werden aus der Schweiz sein.