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Der Geysir Strokkur gehört zu den beliebten Stopps einer Island-Rundreise. Bild: Maurice Angres

Island: Der «Overtourism» wird langsam zum Problem

Die Insel im Nordatlantik ist ein weiteres Reiseziel, welches Opfer des eigenen Erfolgs ist. Regierung und Tourismusbehörden wollen die Probleme aber aktiv angehen.

Island durchlebt seit einigen Jahren einen unvergleichlichen touristischen Boom. Das Land ist friedlich (Nr. 1 im «Global Peace Index»), bietet einzigartige Natur aus «Feuer und Eis» (Vulkane und Gletscher) und ist dank dem National Carrier Icelandair, aber auch dank weiterer Airlines wie Wow Air oder Easyjet einfach zu erreichen. Die isländische Fussball-Nationalmannschaft verzaubert halb Europa und der europäische Norden ist sowieso generell im Trend. Island zu bereisen ist aktuell richtig cool. Aber Island taucht auch immer mehr in den Medien auf im Zusammenhang mit dem Phänomen des «Overtourism».

Bislang heissen die Isländer die wachsenden Touristenmassen auch herzlich willkommen - doch nach Branchen-Einschätzung droht die Stimmung zu kippen. «Wir sehen Zeichen, dass die Toleranz gegenüber den Touristen abnimmt, vor allem in den beliebtesten Gegenden», sagt die Direktorin des isländischen Tourismusindustrie- Verbands, Helga Árnadóttir, der Deutschen Presse-Agentur. Das sei für den zweitwichtigsten Wirtschaftszweig auf der Vulkaninsel eine grosse Gefahr: «Das müssen wir ernst nehmen», so Árnadóttir.

Der Tourismus war für Island nach der schweren Finanz- und Bankenkrise ein Lebensretter. Das Land war 2008 am Boden – doch es war erstmals auch für Normalbürger als Ferienziel erschwinglich. Cleveres Marketing und ein gezielter Ausbau der touristischen Infrastruktur folgten. Die Islandsbank prognostiziert für dieses Jahr rund 2,3 Millionen Besucher - ein sattes Plus von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit 2010 hat sich die Touristenzahl 335‘000-Einwohner-Land, welches in etwa gleich gross ist wie die Schweiz, mehr als vervierfacht. In den Sommermonaten ist jeder fünfte Mensch im Land ein Tourist.

Der Tourist ist Segen und Fluch zugleich

«Die meisten Isländer stehen dem Tourismus immer noch positiv gegenüber und verstehen seine Bedeutung», sagt Árnadóttir. Möglicherweise aber brauche die Branche Grenzen. «Wie viele Gebäude in Reykjavik dürfen Hotels sein? Wie viele Restaurants? Wie viele Wohnungen wollen wir vermieten? Diese Entscheidungen muss die Regierung treffen», fordert sie.

Einheimische beschweren sich vor allem über Vandalismus, die Einführung von Eintrittsgeldern für Nationalparks, steigende Preise und Hotelbaustellen. Im vergangenen Jahr gab es wochenlange Diskussionen, weil öffentliche Toiletten fehlten und Touristen ihre Notdurft am Rand von Strassen und Privatgrundstücken verrichteten.

Der Tourismus habe aber auch positive Seiten, betont Árnadóttir: «Wir haben jetzt Restaurants überall im Land, wo es früher nur Hotdog-Buden gab. Das hat die Lebensqualität der Menschen bereichert.» Viele Bauern auf dem Land hätten mit dem Tourismus ein zweites Standbein gefunden.

Bessere Verteilung übers Jahr und übers Land

Ziel von Regierung und Industrie sei, dass die Besucher das ganze Jahr über kommen - auch im dunklen Winter - und das ganze Land bereisen - nicht nur den Südwesten um die Hauptstadt Reykjavik. Dafür aber müsse sich die Regierung stärker engagieren. «Die Infrastruktur muss gestärkt werden. Strassen zu Touristenzielen müssen sicher und auch im Winter befahrbar sein», fordert Árnadóttir, «leider konzentriert sich die Regierung weniger darauf, als wir wünschen.»

Dabei bringen Touristen laut Islandsbank fast 40 Prozent der isländischen Deviseneinnahmen. Jeder Besucher trage umgerechnet rund 1600 Euro zur heimischen Wirtschaft bei. Die Hälfte der seit 2010 geschaffenen Jobs habe direkt oder indirekt mit dem Tourismus zu tun.

Als Risiken für den Island-Tourismus sieht die Verbandschefin die in den vergangenen zwei Jahren instabile politische Situation und den Wechselkurs der isländischen Krone. «Die Touristen bleiben nicht mehr so lange, weil es teuer wird», sagte Árnadóttir. Bereits 2015 lagen die Preise für Übernachtung und Verpflegung der Statistik zufolge 44 Prozent über EU-Durchschnitt. Sie erwarte deshalb, dass sich der Tourismus-Boom bald abschwäche und bei einem «normalen Wachstum» von drei bis fünf Prozent einpendle.

(JCR/AWP)