Destinationen

Kann man noch in die Türkei reisen? In den Iran? In die Arabischen Emirate? Nach Usbekistan? Bild: Pixabay

Einwurf Die Reise ins undemokratische Land

Artur K. Vogel

Sind Badeferien bei Diktatoren opportun? Menschenrechts- und Drittwelt-Aktivisten wollen Touristen davon abhalten, in undemokratische Länder zu reisen. Aber nach welchen Kriterien? Und wer würde unter einem solchen Boykott leiden?

Unter den Ländern, die momentan einen Tourismusboom erleben, finden sich die klerikale Diktatur Iran, die kommunistischen Diktaturen Vietnam, Laos und Kuba und die absolutistisch regierten Golf-Emirate mit Dubai und Abu Dhabi. Viele Reisedestinationen sind faszinierend, aber nicht demokratisch: China und Tibet, Ägypten, Oman, Äthiopien oder Marokko, Katar und Bahrain etwa finden sich auf der Wunschliste der Weltreisenden weit oben, jedoch weit unten auf dem Demokratie-Index, den die britische Zeitschrift «The Economist» jedes Jahr veröffentlicht.

Zudem herrscht in vielen Reiseländern epidemische Korruption, wie einer Liste der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International zu entnehmen ist: Ganz schlecht steht es um Usbekistan (mit den berühmten Städten Samarkand und Buchara), asiatische Reiseziele wie Laos, Kambodscha, Burma, Iran, Nepal, Vietnam oder Indonesien, afrikanische wie Simbabwe, Kenia, Madagaskar oder Ägypten, lateinamerikanische wie Venezuela, die Dominikanische Republik, Argentinien und Mexiko. Dabei reden wir noch nicht einmal von Nordkorea, welches als Reiseland einen gewissen Exoten-Status geniesst, auf dem Demokratie-Index den 167. und letzten Platz belegt, auf dem Korruptionsindex den 174., untertroffen nur von Somalia, wo allerdings kaum jemand seinen Urlaub verbringen würde.

Das zeigt, wie schwierig die Forderung zu erfüllen wäre, welche Menschenrechts- und Drittwelt-Aktivisten aufstellen: dass man in Diktaturen keine Ferien verbringen solle. Wo zieht man die Grenze? Sollte man noch nach Thailand, nach Sri Lanka oder in die Türkei reisen? Die Regierungen der drei beliebten Reiseziele gelten dem «Economist» als «Hybridregime» mit demokratischen und diktatorischen Elementen. Oder soll man nur jene Länder meiden, die eindeutig autoritär regiert werden, etwa Marokko, Kuwait, Jordanien, Russland und die bereits erwähnten Emirate und Diktaturen? Schon die Kriterien für die Fragestellung sind unscharf.

Erst recht unklar ist die Antwort auf die nächste Frage. Wenn Touristen in ein autoritär regiertes Land reisen: Welche Folgen hat das für die Wirtschaft des Landes, für das jeweilige Regime und für die Bevölkerung?

Gesellschaftliche Effekte

Reisende und Fachleute machen die Erfahrung, dass Tourismus auch in Diktaturen positive gesellschaftliche Effekte haben kann. So habe ich auf Reisen in den Iran erlebt, dass immer wieder junge Menschen, erstaunlicherweise mehr Frauen als Männer, auf mich und meine Begleiter zugekommen sind; dass sich lebhafte Diskussionen über den Iran und unsere Herkunftsländer entspannten; dass Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut wurden. Wann immer die herrschenden Mullahs über den «gottlosen Westen» herziehen, ist sich eine zunehmende Zahl von gebildeten Iranerinnen und Iranern bewusst, dass dies nur Propagandalügen eines Regimes sind, dem die Basis zunehmend entgleitet. Dasselbe gilt für Reisen in Kuba.

Auch in Burma/Myanmar dürfte der Tourismus dazu beigetragen haben, dass die regierende Offiziersclique seit 2011 häppchenweise demokratischere Strukturen und Praktiken zugelassen hat. Erst durch Reisende konnten sich viele Burmesen über den Zustand der Aussenwelt informieren, da der Zugang zu freien Informationen erschwert war. Im November 2015 wurden schliesslich Wahlen abgehalten, welche die oppositionelle Nationalliga für Demokratie von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi haushoch gewonnen hat. Es wird sich jetzt weisen, ob die Militärs tatsächlich auf die Macht verzichten.

Tourismus ermöglicht also Begegnungen zwischen den Kulturen und kann dazu beitragen, dass Länder sich öffnen. Natürlich muss sich jeder Reisende bewusst sein, dass sein Geld auch in die Kassen des Regimes, seiner Exponenten und Profiteure fliesst. In Burma gehören viele Hotelanlagen hohen Militärs und ihren Familien. Im Iran beherrschen intransparente religiöse Stiftungen grosse Teile der Wirtschaft. Sie unterstehen direkt dem religiösen Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei. In Kuba kontrolliert die Revolutionsarmee gemäss Untersuchungen der Universität Miami mehr als 60 Prozent der Wirtschaft: Hotels und Restaurants, Busgesellschaften, Autovermietungen, eine Detailhandelskette und so weiter.

Nur das Wetter zählt

Die meisten Touristen kümmern sich nicht um die politische Lage oder die Menschenrechte in ihren Reiseländern; nur das Wetter, die günstigsten Preise und die empfundene Sicherheitslage zählen. Doch wer bewusst reisen will, kann dies in fast allen Ländern tun. Statt nur zu fragen, wohin, sollte man sich auch die Frage stellen, wie man reist. Wer sich in einem All-inclusive-Resort verbarrikadiert, trägt sicher weniger zur Entwicklung eines Landes bei als jemand, der hinausgeht, den Kontakt mit den Menschen sucht, sich auf Gespräche einlässt und lokale Anbieter berücksichtigt. In Kuba etwa kann man dem Regime ein Schnippchen schlagen, indem man in privaten Restaurants isst, private Taxis benutzt und in Privatwohnungen übernachtet, in sogenannten casas particulares, statt in den staatlichen Hotels.

Reiseveranstaltern kann man keinen Vorwurf machen: Die meisten sind kommerzielle Unternehmungen, die Gewinne erwirtschaften müssen und jene Destinationen anbieten, die sich verkaufen lassen. Touristen hingegen haben die Möglichkeit, sich für oder gegen ein Angebot zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung gibt es keine allgemein gültigen Kriterien. Jeder muss mit sich selber ausmachen, ob er ein Land bereisen will, und wie.