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Gefängnisse wie jenes von Guantanmo auf Kuba ziehen Besucher und Touristen an. Bild: Fotolia

«Katastrophen-Tourismus ist kein Trend, aber ein Geschäft»

Linda von Euw

Auschwitz, Tschernobyl oder Guantanamo ziehen Touristen an. Bei dieser Form des Tourismus handle es sich aber nicht um Schaulust, wie Professor Urs Wagenseil von der Hochschule Luzern erklärt.

Ground Zero, Killing Fields, Fukushima, Tschernobyl, Auschwitz – Namen, die jeder kennt, weil dort Schlimmes passiert ist, das die Weltgeschichte geprägt hat. Während der Grossteil von uns diese Orte nur aus Geschichtsbüchern oder von Fernsehbildern her kennt, gibt es immer wieder Menschen, die diese Stätten bewusst aufsuchen.

Dieses Tourismusphänomen hat einen Namen: Dark Tourism – dunkler Tourismus. Umgangssprachlich fällt auch schon mal das Wort Katastrophen-Tourismus. Diese Art des Reisens sei kein Trend, aber auf jeden Fall ein Tourismusgeschäft, sagt Professor Urs Wagenseil von der Hochschule Luzern. Er erklärt: «Mir sind keine Reisebüros bekannt, die solche Trips vermarkten, das sind eher Anbieter vor Ort, die lokale Touren durchführen.»

Die Touristen sollen aus der Geschichte lernen

Selber besuchte Urs Wagenseil (Bild) unter anderem schon die Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, auch Ground Zero und die Killing Fields hat er gesehen. Mit Schaulust habe das aber nichts zu tun: «Das ist nicht wie bei einem Unfall auf der Autobahn, wo man vielleicht noch Verletzte oder Tote sieht. Diese Touren sind so gestaltet, dass die Geschichte erlebt werden kann und zwar mit dem Ziel, daraus zu lernen, damit sie sich nicht wiederholt.»

Was ihm auffällt: Auch bei Gruppenführungen herrsche vor Ort jeweils eine unglaubliche Ruhe: «Jeder Teilnehmer ist mit sich selber und der Tragödie beschäftigt und geht in sich. Danach muss man das Erlebte erst einmal verarbeiten.» Der Tourismusdozent spricht daher lieber von bildendem Tourismus anstatt Katastrophentourismus.

Die meisten dieser Orte seien Mahnmale. Speziell sei hierbei zum Beispiel der Tunnel in Paris, wo Lady Diana den tödlichen Unfall hatte. «Die Menschen wollen nicht den Unfall an und für sich sehen, sondern vor allem der Person gedenken», erklärt Wagenseil.

Zu den «Dark-Tourism-Zielen» gehören unter anderem:

Killing Fields Phnom Penh, Kambodscha

Unter der Herrschaft der maoistischen Roten Khmer wurden zwischen 1963 und 1998 fast 21 Prozent (1,7 bis 2,5 Millionen) der kambodschanischen Bevölkerung brutal ermordet. Wissenschaftler, Lehrer, Ärzte und andere Intellektuelle standen ganz oben auf der schwarzen Liste der Roten Khmer. Aber auch vor Kindern und Frauen machten sie nicht Halt. Viele der Hingerichteten kamen vermutlich aus dem Gefängnis Tuol-Sleng (S-21) in Phnom Penh, das als Folter- und Verhörzentrum diente. Das einstige Gymnasium ist heute ein Museum. Die Killing Fields umfassen über 300 Stätte in Kambodscha, wo die Massenmorde stattfanden. Verschiedene Anbieter organisieren geführte Touren, die Einblick über dieses dunkle Kapitel Kambodschas gewähren.

Tschernobyl, Ukraine

Am 26. April 1986 kam es nur 100 Kilometer von der Hauptstadt Kiew entfernt zur Explosion des Reaktors Nummer 4. Tausende Mitarbeiter des Atomkraftwerkes kamen dabei ums Leben. Die 43‘000 Einwohner der nur drei Kilometer von Tschernobyl entfernt liegenden Stadt Prypjat ahnten zunächst nichts von der Katastrophe. Am 27. April gingen die Menschen gewohnt ihrem Alltag nach – bei einer 600‘000 mal höheren Strahlenbelastung als sonst. Erst am Nachmittag wurden sie informiert, dass sie die Stadt innert zwei Stunden verlassen müssten. Seit da ist Prypjat eine Geisterstadt, die noch für Jahrhunderte unbewohnbar bleiben wird. Verschiedene Veranstalter bieten Touren in das rund 35 Kilometer grosse Sperrgebiet an. Mit dabei ist immer ein Geigenzähler, der die Radioaktivität misst. Laut eines Anbieters einer solchen 2-Tages-Tour nehme der Körper dabei eine um 500 kleinere Strahlendosis auf, als bei einer üblichen Röntgenaufnahme beim Arzt.

Auschwitz-Birkenau, Krakau/Polen

Im grössten Konzentrationslager (Auschwitz) und Vernichtungslager (Birkenau) der Nationalsozialisten wurden rund 1,5 Millionen Menschen ermordet. Auschwitz war der wichtigste Ort für die «Endlösung der Judenfrage». Etwa eine Million der Getöteten waren Juden, aber auch Polen, Roma, sowjetische Kriegsgefangene sowie Tschechen und Belarussen zählen zu den Opfern. Heute kann man die Orte des Grauens besichtigen und sieht dabei zum Beispiel die Eisenbahnrampe, wo die nach Birkenau transportierten Menschen ausstiegen sowie die Überreste der Gaskammern, Häftlingsbaracken und Stacheldrahtzäune.

Fukushima, Japan

Am 11. März 2011 erschütterte ein schweres Erdbeben die Küste Japans. Dieses löste ein Tsunami aus. 18‘000 Menschen kamen ums Leben, ganze Städte wurden ausgelöscht. Im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I) fiel der Strom aus. Dabei kam es zu einer Kernschmelze – ein atomarer Super Gau. Etwa 170‘000 Menschen mussten evakuiert werden, rund 20 Kilometer um das Atomkraftwerk herum ist Sperrgebiet. Für Touristen werden Touren in die acht Kilometer entfernt liegende Stadt Namie angeboten wie auch Führungen durch Felder, wo die Landwirtschaft heute verboten ist. Auch Schiffstouren können gebucht werden, bei denen man bis 1,5 Kilometer an das Atomkraftwerk herankommt. Zwei atomare Ereignisse der anderen Art ereigneten sich in Japan zum Ende des zweiten Weltkrieges: Nagasaki und Hiroshima stehen als Zeugnisse für die Auswirkungen des Atomkrieges und zählen ebenfalls zu den japanischen «Dark-Tourism-Zielen».

Guantánamo, Kuba

Das Freiluftgefängnis der USA wurde 2001 im Auftrag von Georg Bush auf Kuba errichtet und gehört zum dunklen Kapitel der jüngeren Geschichte der USA. Ursprünglich sollten hier al-Kaida-Kämpfer inhaftiert werden. Fast 800 Insassen zählte das Gefängnis seit der Eröffnung. Wie sich herausstellte, waren rund 90 Prozent davon keine al-Kaida-Kämpfer. Barack Obama kündigte während seiner Amtszeit die Schliessung des Camps an. Anfang 2017 sollen aber noch immer 41 Häftlinge vor Ort gewesen sein. Touristen können von Kuba aus den Grenzort Caimanera, nördlich des 118 Quadratkilometer grossen US-Stützpunktes, besuchen. Dort gibt es eine Art kleines Museum, wo Luftaufnahmen des Camps zu sehen sind sowie eine Landkarte, die die Dimensionen des riesigen Stützpunktes zeigen.