Destinationen

Südtürkei: Grosse Angst – kleiner Preis

Daniel Gerber

Unser Autor war vor Ort und sprach mit Veranstaltern, Reiseleitern und Sicherheitspersonal.

Nichts deutet bei der Ankunft in Antalya darauf hin, dass die Ankommenden mit Misstrauen empfangen werden. Erst die Bodenschwellen am Zugang zum Flughafen, die die Federung des Busses auf eine harte Probe stellen, lenken die Aufmerksamkeit auf einen festungsähnlichen Kontrollposten, der einer Zollstation gleicht. Bewaffnete Uniformierte kontrollieren mit strengem Blick die langsam vorbeifahrenden Gefährte. „Der Flughafen Antalya gilt seit Jahren als einer der sichersten der Welt“, wird Reiseleiter Mehmet Erdogan etwas später nicht ohne Stolz verkünden.

Die etwa sechzigminütige Fahrt Richtung Side zeigt keineswegs ein Land im Ausnahmezustand. Zwei Polizeiautos aus der Gegenrichtung und drei Polizisten, die an einer Kreuzung stehen, sind die einzige Ausbeute aufmerksamer Beobachtung. „Die Südtürkei ist sicher, denn sie ist praktisch hermetisch abgeriegelt“, sagte Bentour-Chef Deniz Ugur im Vorfeld meiner Reise. Die Ferienregion Südtürkei werde mit strengen Zufahrtskontrollen weit ausserhalb der Touristengebiete gesichert: „In den einzelnen Ferienorten ist die Überwachung kaum mehr spürbar. Das liegt auch an den zwei- bis dreitausend zivilen Fahndern, die teils als „gewöhnliche“ Berufsleute wie Taxifahrer, Verkäufer oder Angestellte bei der Müllabfuhr Dienst leisten und Verdächtiges sofort melden.

Die Anfahrt zum Hotel Royal Alba in Çolakli ist aufgrund erneuter Strassenschwellen nochmals holprig. Poller und Markierungshütchen zwingen den Busfahrer zu langsamer Kurvenfahrt. Im Security-Häuschen kontrolliert die Sicherheitsbeamtin gewissenhaft die Zufahrtsberechtigung und öffnet dann die Barriere zum Hoteleingang.

Die Zufahrt zum Hotel lässt sich nicht so leicht passieren.

200'000 Arbeitsplätze sind gefährdet

25 gut ausgebildete Mitarbeiter unterstehen Serdar Ergin, dem Sicherheitschef der Royal Alba Gruppe. „Diese müssen alle ein staatlich unterschriebenes Zertifikat vorweisen können“, erklärt er und ergänzt einen Tag vor dem Istanbuler Flughafen-Attentat: „Wir Security-Manager der Hotels stehen in engem Kontakt mit der Gendarmerie, die für die Sicherheit im Gebiet zuständig ist. Eigentlich sehen wir keine besondere Gefährdung, aber wir überwachen so konzentriert, als würde ein Attentat bevorstehen.“ Zusätzlich zum Sicherheitspersonal überwachen unauffällig platzierte Kameras alle Hotel- und Strandzugänge. Dort patrouillieren auch Gendarmerie und zivile Fahnder. „Die Daten der angekommenen Gäste werden jeden Abend an die Kontrollorgane übermittelt“, fügt Jenny Deval, die Guest Relation Managerin, an.

Das Bild von leeren Liegestühlen am Strand entpuppt sich spätestens dann als Seifenblase, als ich um acht Uhr morgens kaum mehr ein freies Sonnenbett finde. Auch das etwas längerdauernde Check-in liess bereits erahnen, dass das Hotel nahe an der Überbuchungsgrenze läuft. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, als ich erfahre, dass die Alba-Gruppe eines ihrer drei Hotels in Çolakli, das Alba Ressort, als Reaktion auf die drastisch gesunkenen Buchungszahlen in der Südtürkei schlichtweg nicht geöffnet hat. Über dreihundert Mitarbeiter haben somit keinen Saisonvertrag erhalten.  

Knapp eine Million Angestellte haben im Jahr 2015 noch rund 42 Millionen Touristen betreut, wie Basaran Ulusov, Vorsitzender der türkischen Reisebüros, weiss. Bereits 150'000 Hilfskräfte, die vielfach als Saisonarbeiter aus Anatolien zuwandern, sollen ebenfalls keinen Arbeitsvertrag mehr erhalten haben. Und sollte der Trend anhalten, sind weitere 200'000 Arbeitsplätze gefährdet. „Wenn man nun allenfalls aus politischen Gründen nicht mehr in die Türkei reist, dann straft man die Falschen“, sagt Ugur und ergänzt „denn gerade die Hoteliers und ihre Angestellten gehören eher zu den weltoffenen, demokratischen Kräften in der Türkei und leiden unter dem Reiseboykott besonders.“ 

Sicherheitschef Serdar Ergin.

Touristen bleiben vermehrt in der Ferienanlage

Die türkische Wirtschaft treffe das zwar, aber politischen Druck könne man auf die Regierung so sicher nicht ausüben, findet Ugur. Der Tourismus ist mit einem BIP-Anteil von gut 10 Prozent ein wichtiger Wirtschaftssektor. Erdogans Regierung hat der notleidenden Branche 80 Millionen Euro staatliche Hilfe versprochen, Ferienflüge in die Türkei wurden mit 7'000 Euro bedacht und der Flughafen von Antalya verzichtet aktuell auf Lande- und Startgebühren

Über das Ausbleiben der Touristen ereifert sich Mehmet Erdogan, der als Reiseleiter für Jahn Reisen, ITS Coop und DerTour im Einsatz ist: „Das ist nun die Folge der übertriebenen Berichterstattung der Medien in den Herkunftsländer. Türkei-Kenner haben keine Angst und kommen der günstigen Preise wegen gar mehrmals“, sagt er. Gerade an den Zielen der Touristenausflüge sei das Sicherheitsaufkommen besonders gross. Nichtsdestotrotz: Der Verkauf von Ausflügen sei um mehr als 50 Prozent eingebrochen, denn die Gäste blieben vermehrt in den Ferienanlagen.

Leere Strassen in Side.

Türkeibuchungen der Schweizer Reiseveranstalter bis zu 70 Prozent eingebrochen

Eingebrochen sind auch die Türkeibuchungen bei den Schweizer Reiseveranstaltern: „Wir schätzen, dass die Anzahl Gäste aus der Schweiz in diesem Sommer gesamthaft um die 30 Prozent hinter Vorjahr liegen. Bei ITS Coop Travel ist die Einbusse leider weit höher und liegt bei rund 60 Prozent“, wie Andi Restle, Geschäftsführer von ITS Coop Reisen, sagt. Hotelplan Suisse vermeldet gar 70 Prozent Rückgang bei den Türkeibuchungen. Wie sich der Anschlag auf das Reisegeschäft vom Spezialisten Bentour auswirken wird, bleibt abzuwarten. Deniz Ugur, Co-Geschäftsleiter von Bentour, sagte kurz vor dem Anschlag, dass er seit April eine Trendwende erkennen könne. Bentour beförderte im letzten Jahr noch 40'000 Passagiere in die Türkei. „Nach sehr schwachen Buchungszahlen zu Jahresanfang, liegen die Buchungen zur Zeit um 30 bis 40 Prozent über dem Vorjahr. Allerdings rechnen wir mit einem Umsatzeinbruch von 12 Prozent, weil das Preisniveau um gut 30 Prozent unter demjenigen des Vorjahres liegt", sagte Ugur kürzlich.

Der von mir auf eigene Faust unternommene Ausflug mit dem Dolmus-Bus nach Side zeigte relativ leere Busparkplätze, wenige Touristen auf den Einkaufsstrassen und teils überengagierte, teils fatalistische Restaurateure und Händler: „Die religiösen Eiferer machen uns das ganze Geschäft kaputt und schaden der Türkei“, echauffiert sich Ercan Yilmaz, der Textilwaren für jeden und jede Gelegenheit verkauft und noch einige weniger druckreife Aussagen folgen lässt, was angesichts des von ihm genannten Umsatzrückgangs von 40 Prozent nachvollziehbar ist.

Ferienanlagen werden gar nicht oder nur teilweise geöffnet

Kann man eine Reise in die Südtürkei wagen trotz dem jüngsten Attentat? Deniz Ugur betont, dass die bisherigen Attentate staatlichen Institutionen, vorab Polizisten und Militär, gegolten hätten. Es sei nicht darum gegangen, Touristen zu treffen. Auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung vermag ein wenig zu beruhigen: Der Zahl der bedauernswerten gut Hundert hauptsächlich in Istanbul und Ankara getöteten Personen in diesem Jahr, stehen mehr als 30'000'000 Sonnensuchende gegenüber. Zudem wissen die Verantwortlichen in der Türkei, dass jede weitere Negativschlagzeile die Saison noch katastrophaler macht als sie sonst schon ist. Entsprechend darf davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte noch motivierter als anderswo ihrer Aufgabe nachgehen.

Unter den Hotelgästen ist die Terrorangst kein Thema. In der Umgrenzung der Hotelanlage wird vom ausgezeichneten Preis-/Leistungsverhältnis geschwärmt. Der überaus zuvorkommende Service wird gelobt, Pool und Strand genossen. „Es kann uns auch daheim etwas passieren“, sagen Michelle-Marie (26) und Sandra-Christin (21) aus Paderborn „doch das ist dann so oder so Schicksal.“

Die Hoteliers versuchen alles, um ihr Land wieder als Feriendestination attraktiv zu machen: Wie die Alba-Gruppe öffnen viele Hoteliers  einzelne Anlagen gar nicht oder nur teilweise, um Fixkosten zu sparen. Sie verzichten auf Gewinnmargen und versuchen mit Preisnachlässen und hochmotivierten Arbeitskräften das an sich schon gute Preis-/Leistungsverhältnis noch vorteilhafter zu machen.

Den Preis der Angst zahlen vor allem die im Tourismus tätigen – profitieren könnten die Reisenden.