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Seit 100 Tagen in seinem neuen Amt als Leiter der DZT in der Schweiz: Stefan Mieczkowski. Bild: TN

«Das 49-Euro-Ticket kann zu völlig neuen Reise-Ideen animieren»

Reto Suter

Stefan Mieczkowski ist seit 100 Tagen Leiter der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) in der Schweiz. Wo er noch Wachstumspotenzial sieht und welche deutschen Reiseziele neu in den Fokus rücken, verrät er im Gespräch mit Travelnews.

Stefan, du lebst seit über zehn Jahren in der Schweiz. Wie viel Schweizer steckt schon in dir drin?
Stefan Mieczkowski: (Schmunzelt) Wenn ich – wie jetzt an Ostern – zu Familie und Freunden nach Westfalen fahre, schauen sie mich manchmal schon schief an. Ich verwende inzwischen manche Schweizerdeutsche Begriffe, die sie teilweise nicht kennen. Ich habe mich gut eingelebt und fühle mich in der Schweiz sehr wohl.

Du bist bereits seit 2009 für die DZT tätig. Inwiefern helfen dir diese Erfahrungen in deiner neuen Rolle als Leiter der DZT in Zürich?
Das ist ein grosser Vorteil. Zum einen kenne ich die Kontakte auf Schweizer wie auch auf deutscher Seite. Zum anderen bin ich mit den Strukturen vertraut: die DZT wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Es hilft sicher, dass ich die entsprechenden Rahmenbedingungen während 13 Jahren kennen lernen konnte.

Jetzt bist du 100 Tage in deinem neuen Job. Wie waren die ersten gut drei Monate?
Sie gingen extrem schnell vorbei. Wir haben unsere Kampagnen aufgegleist wie die Bahnreisen-Kooperation mit der SBB und 16 Partnern. Zudem hatten wir unsere Medienkonferenz Ende März. Und ich konnte mich an der CMT in Stuttgart, der Fespo hier in Zürich und der ITB in Berlin als neuer Leiter vorstellen, teilweise bin ich dabei auch mit neuen Ansprechpartnern in Kontakt gekommen.

«Mit dem Fokus auf nachhaltiges Reisen möchten wir junge Zielgruppen ansprechen, die bereits heute mehr Wert auf dieses Thema legen»

Wo siehst du sonst noch Wachstumspotenzial?
Wir wollen das Potenzial in der Romandie verstärkt nutzen. Und wir werden mit dem Fokus auf nachhaltiges Reisen junge Zielgruppen adressieren, die bereits heute mehr Wert auf das Thema legen. Häufig kennen diese die grossen Metropolen. Wir möchten die Gäste aber auch für Regionen begeistern, die in der Schweiz bisher weniger bekannt sind.

Wo wollt ihr da konkret ansetzen?
Es geht zum einen über Themen. Jetzt haben wir gerade die UNESCO-Kampagne mit verschiedenen Routen lanciert. Diese Routen starten in den grösseren Städten, aber der Gast kommt immer wieder in ländliche Regionen. Die Kombination aus Stadt und Land wird für die Reisenden immer interessanter. Erfreulicherweise haben sich auch die Reiseveranstalter des Themas angenommen. Sie nehmen beispielsweise neue Regionen ins Programm, etwa den Rheingau in der Nähe von Frankfurt, wo es tolle Musikevents und schöne Weinbaugebiete gibt. Oder neben Sylt und Rügen auch die weniger bekannten Inseln von Nord- und Ostsee.
Zum anderen nutzen wir verstärkt Sinus-Milieus zur Kundenansprache, also wertebasierte Lebenswelten, um nachhaltigkeitsaffine und kulturinteressierte Kundengruppen gezielt anzusprechen.

Der Rheingau in der Nähe von Frankfurt wird als Ferienregion immer wichtiger. Bild: Adobe Stock

Wie fleissig buchen die Schweizer Gäste für 2023 Ferien in Deutschland?
Die Indikatoren sind positiv, dass ein gutes Jahr auf uns wartet. Schweizerinnen und Schweizer buchen wieder weiter im Voraus – nicht mehr nur sechs, sondern durchschnittlich rund neun Wochen vor der Reise. Die signifikanteste Änderung gegenüber Vor-Corona ist die Verschiebung bei der Wahl des Verkehrsmittels. Es wird deutlich weniger geflogen – davon profitiert die Bahn und letztlich auch die Umwelt. Das ist auch ein schöner Erfolg für unsere Kooperation mit der SBB.

Stichwort Bahnreisen: Anfang April startete der Vorverkauf für das 49-Euro-Ticket, das jeweils für einen Monat im ganzen deutschen öffentlichen Nahverkehr gültig ist. Was versprichst du dir davon?
Die Einführung des 49-Euro-Tickets ist ein grosser Schritt nach vorn – auch für ausländische Touristinnen und Touristen, die nach Deutschland reisen. Neben dem attraktiven Preis vereinfacht es das Reisen ungemein. Sie müssen sich nicht mehr in jeder Stadt oder Region mit den unterschiedlichen Tarifsystemen beschäftigen – das ist servicefreundlich und gehört damit zu unserer Vorstellung von Qualitätstourismus. Diese Kundenfreundlichkeit senkt die Hemmschwelle, statt des eigenen Autos den ÖV zu nutzen. Nicht zu vergessen: das 49-Euro-Ticket öffnet auch Perspektiven für das Produkt und neue Reiseideen. So könnte beispielsweise ein Gast im Rahmen seiner Berlin-Reise mit dem 49-Euro-Ticket noch einen Abstecher an die Ostsee oder nach Dresden machen. Das wäre natürlich ganz im Sinne unserer Kampagne «stay a little bit longer». Ohnehin bin ich überzeugt, dass das Thema Rundreisen an Bedeutung gewinnen wird.

«74 Prozent der Schweizer Gäste waren schon viermal oder häufiger in Deutschland»

Inwiefern unterscheidet sich die Erwartungen von Schweizer Touristen im Vergleich zu anderen Märkten?
Der Schweizer Gast ist überdurchschnittlich an qualitativ hochwertigen Angeboten interessiert. Besonders im grenznahen Tourismus spielt das vergleichsweise günstige Preis-Leistungs-Verhältnis eine Rolle. So sind die durchschnittlichen Hotelpreise trotz der derzeitigen Inflation in Deutschland immer noch tiefer als in anderen europäischen Destinationen. Was im internationalen Vergleich ebenfalls auffällt: Die Gäste aus der Schweiz kommen gerne wieder, 74 Prozent von ihnen waren schon viermal oder häufiger in Deutschland.

Der Mega-Streik beim öffentlichen Verkehr in Deutschland ist noch nicht lange her. Bereitet dir diese Entwicklung Bauchschmerzen?
Der Streik von Ende März war in den Medien glücklicherweise nicht das grosse Thema. Ich bin optimistisch, dass sich die Tarifpartner einigen und es keine neue Streikwelle gibt, die den Reiseverkehr beeinträchtigt.

Nächster wichtiger Termin ist für dich der Germany Travel Mart, der ab kommendem Sonntag in Essen stattfindet. Wie gross ist das Interesse aus der Schweiz?
Das Interesse am Ruhrgebiet ist gross. Die Schweizer Delegation ist stark, aber aufgrund von Personalmangel und Terminkollisionen leider nicht so zahlreich, wie ich es mir gewünscht hätte. Wie erwähnt wurde das Deutschland-Angebot bereits erfreulich ausgebaut, und wir sind in einem guten Austausch mit unseren wichtigsten Schweizer Trade-Partnern, auch mit unseren weiteren Eventangeboten wie dem Deutschland-Workshop im Mai.