Destinationen
«Marco Odermatt testet in Samnaun seine Skis»
Samnaun im Unterengadin und Ischgl in Tirol betreiben gemeinsam das grösste Skigebiet in den Ostalpen. Auch die Bergbahnen sind miteinander verflochten. Wie geht das genau?
Günther Zangerl: Die erste Bergbahn in Ischgl wurde in den 1960er-Jahren in Betrieb genommen. 73 Aktionäre haben das ermöglicht. Als sich Samnaun etwa eineinhalb Jahrzehnte später ebenfalls zum Bau einer ersten Bergbahn entschloss, haben wir uns von Anfang an beteiligt. Die Silvretta Seilbahn AG Ischgl ist Mehrheitsaktionärin bei den Bergbahnen Samnaun.
Das heisst, die Tiroler reden den Bündnern drein?
Viktor Prinz: Die beiden Bahnbetriebe sind als unabhängige Aktiengesellschaften organisiert. Mit den Verantwortlichen der Silvrettaseilbahn AG pflegen wir eine äusserst angenehme, kollegiale und lösungsorientierte Zusammenarbeit. Diese ist geprägt von grossem Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung.
Aber Günther Zangerl sitzt zusammen mit fünf weiteren Ischglern im Verwaltungsrat der Bergbahnen Samnaun. Hannes Parth, der frühere Chef der Silvretta Seilbahnen, ist sogar Präsident des Verwaltungsrates.
Prinz: Ja, das stimmt. Zusammen mit sieben Samnauner Verwaltungsräten obliegt ihnen die oberste Leitung der Gesellschaft und die Überwachung der Geschäftsführung.
Zangerl: In Österreich ist der Aufsichtsrat nicht ins operationelle Geschäft involviert, was in der Schweiz aufgrund entsprechender Unterschiede im Organisationsrecht weniger strikt getrennt ist.
Auch die Kräfteverhältnisse sind unterschiedlich. Die Silvretta Seilbahnen machen einen dreimal grösseren Umsatz als die Samnauner.
Zangerl: In normalen Jahren setzt die Silvrettabahn etwa 80 Millionen Euro um.
Prinz: In Samnaun sind es rund 27 Millionen Franken.
«Viele Leute aus dem Tourismus und der Gastronomie suchten Alternative in anderen Branchen.»
Während der Corona-Pandemie erlitten beide Betriebe massive Einbrüche. Wie haben Sie diese erlebt?
Zangerl: Corona traf uns sehr hart. Wir fuhren zum ersten Mal in unserer Geschichte ein Defizit ein. Wenn der Lockdown weiter angehalten hätte, wäre es für uns richtig schwierig geworden. Auch der Fachkräftemangel akzentuierte sich während der Covid-Zeit. Viele Leute aus dem Tourismus und der Gastronomie suchten Alternative in anderen Branchen und kamen später nicht mehr zurück. Dennoch haben wir niemanden entlassen oder gekündigt.
Apropos Beschäftigung: Samnaun ebenso wie Ischgl waren mausarme Bauerndörfer am Ende der Welt, und der Tourismus liess sich vor dem Bau der Bergbahnen nur zögerlich an. Das heisst, die Destinationen konnten sich dank den Bergbahnen entwickeln, und dank ihnen finden auch viele Menschen Arbeit?
Zangerl: Wir haben im Winter rund 580 Angestellte; jetzt kommen mit der neuen Silvretta-Therme nochmals mehr als 100 hinzu. Die Bahn und ihre Gastronomiebetriebe sind ein wichtiger Arbeitgeber und spielen eine entscheidende soziale Rolle: Indem Menschen eine Lebensgrundlage erhalten, werden Bauernsterben und Abwanderung gestoppt, die in anderen alpinen Gegenden zu beobachten sind.
Prinz: Die Bergbahnen Samnaun beschäftigen 110 Leute für die Bahnen und 160 bis 170 in der Gastronomie. Dabei hat Samnaun nur knapp 800 Einwohner.
Die in Samnaun und Ischgl verkauften Skipässe gelten für die ganze Silvretta-Arena beidseits der Landesgrenze. Kann der clever kalkulierende Gast in Österreich vom tieferen Preisniveau und vom schwachen Euro profitieren und Tagespässe günstiger kaufen als in Samnaun?
Prinz: Nein. Die Ticketpreise sind auf beiden Seiten gleich hoch. Das hat uns in Samnaun in den letzten Jahren Millionen gekostet, denn mit steigendem Frankenkurs mussten wir die Preise nach unten anpassen, um auf demselben Niveau zu bleiben wie Ischgl. Nehmen wir unser wichtigstes Angebot, den Sechs-Tage-Skipass. Er kostet in Samnaun jetzt effektiv weniger als vor fünf Jahren. Das heisst auch, dass man bei uns für ein grösseres und attraktiveres Skigebiet weniger bezahlt als in anderen Destinationen der Region.
«Wir haben die Saison dieses Jahr um einen Monat verlängert, unter anderem dank der Therme.»
Wie lässt sich die Saison 2022/23 an?
Prinz: Wir sind sehr gut gestartet und haben die Zahlen von 2018/19 bereits wieder erreicht.
Zangerl: Wir konnten den Umsatz gegenüber derselben Periode 2021/22 in der laufenden Saison bisher nahezu verdoppeln und sind damit gleichauf mit den stärksten Saisonen, die wir je verzeichnet haben.
In Samnaun stehen grosse Investitionen und Bauvorhaben bevor. Bitte erzählen Sie uns mehr.
Prinz: Wir planen in den nächsten Jahren Investitionen von 90 bis 100 Millionen Franken. Weit fortgeschritten ist die Planung der neuen Zehner-Gondelbahn von Samnaun-Laret hinauf auf den Muller. Sie wird die bestehende Doppelstock-Seilbahn ab Samnaun ins Skigebiet entlasten. Zudem können wir hier einen Schlittelweg hinunter nach Laret einrichten. Momentan muss man zu Fuss, zur Schlittelpiste auf der gegenüberliegenden Talseite hochsteigen. Die Samnauner Stimmberechtigten haben bereits Ja gesagt. Das Plangenehmigungsverfahren ist in Bern seit 2020 anhängig. Wir hoffen, noch 2023 mit dem Bau beginnen zu können. Weiter wollen wir eine neue Zubringerbahn von Samnaun Dorf auf den Salaaser Kopf bauen und das Gebiet zwischen Salaaser Kopf und Greitspitz durch zwei neue Sesselbahnen erschliessen.
Die Silvrettabahnen haben in Ischgl soeben rund 75 Millionen Euro in die Silvretta-Therme investiert. Welche weiteren Ausbaupläne haben Sie?
Zangerl: Wir wollen mittelfristig mehrere Sesselanlagen erneuern. Zudem muss auch unsere älteste und wichtigste Zubringerbahn in den nächsten Jahren ersetzt werden, die Silvrettabahn, erbaut 1998. Und dann denken wir über eine Erschliessungsbahn zum Salaaser Kopf. Damit könnten wir – neben dem bisherigen, sehr stark frequentierten Übergang nach Samnaun über die Idalpe – einen zweiten Korridor schaffen. In welcher Form sich diese Idee verwirklichen lässt, hängt aber auch von der Umsetzung des erwähnten Projekts zur Erschliessung des Salaaser Kopfs von Samnauner Seite ab. Und dann müssen wir auch weitere gastronomische Einrichtungen eröffnen; das Angebot am Berg ist inzwischen zu klein.
Was wollen Sie mit all diesen Investitionen erreichen?
Prinz: Samnaun liegt auf rund 1800 Metern; das Skigebiet geht bis hinauf auf 2900 Meter. Deshalb können wir schon heute bessere Schneeverhältnisse bieten als viele andere Destinationen. Tatsächlich haben wir die allerbesten Schneeverhältnisse oft im April. Dann kommt übrigens auch schon mal Marco Odermatt nach Samnaun, um hier seine Stöckli-Skis für die nächste Saison zu testen. Wir wollen mit unseren Investitionen die Frequenzen im Tal erhöhen und die Auslastung der Hotels und Ferienwohnungen verbessern.
Zangerl: Wir haben die Saison dieses Jahr um einen Monat verlängert, unter anderem dank der Therme. Ziel ist es, auch im Sommer mehr Gäste anzulocken. Man kann bei uns Bergwandern und Klettern; es gibt viele Möglichkeiten für Biker. Und auch kulinarisch ist einiges los.