Destinationen

Bianca Pestalozzi (On AG, General Manager Europe, links), Martin Nydegger (Direktor Schweiz Tourismus) und Nathalie Lüthi (Head of Marketing Zürich Tourismus) an der heutigen ST-Pressekonferenz. Bild: TN

«Wir müssen acht Krisen gleichzeitig bewältigen»

Gregor Waser

Die Halbjahres-Bilanz von Schweiz Tourismus sieht nicht schlecht aus. Doch bis zum Vor-Pandemie-Niveau sei noch ein langer und steiniger Weg, lautet der Befund von ST-Direktor Martin Nydegger. Ein neuer Trumpf: die Schweizer Städte joggend zu entdecken.

Als am 9. März 2020 Martin Nydegger im Kleinen Saal am Schweiz-Tourismus-Hauptsitz vor den Schweizer Medienvertretern sass, machte er eine sehr sorgenvolle Miene. Die Pandemie war im Anzug, das Ausmass noch kaum erkennbar, doch die Unsicherheiten für das Reiseland Schweiz waren plötzlich enorm.

Nun, zweieinhalb Jahre später, zeigt sich für den ST-Direktor eine einigermassen stabile Reisewelt, doch weiterhin stehen zahlreiche Fragezeichen im Raum. An der heutigen Halbjahreskonferenz sagte Nydegger: «Wie haben uns die Post-Pandemie schon anders vorgestellt. Dass es irgendwo klemmt, sind wir uns im Tourismus ja gewohnt. Früher folgte ebenfalls eine Krise nach der anderen. Doch jetzt kämpfen wir gleich mit acht Krisen gleichzeitig.»

Und Martin Nydegger benannte sie:

  • Pandemie («gerade in Asien halt die Pandemie die Menschen weiterhin im Bann»)
  • Energieversorgung («es zeichnen sich Engpässe und höhere Kosten für Hotels und Bergbahnen ab»)
  • Beschaffungsengpässe («die Lieferketten sind teils noch unterbrochen, es fehlen Materialien»)
  • Fachkräftemangel («Hotels und Restaurants müssen wegen Personalmangel zum Teil die Öffnungszeiten reduzieren»)
  • Klimawandel («für den Tourismus eine grosse Herausforderung»)
  • Krieg («wie geht es in der Ukraine weiter, was passiert in Taiwan»)
  • Wechselkurs («heute Morgen kostete ein Euro noch 96 Rappen»)
  • Inflation («zieht unseren Gästen das Geld aus dem Portemonnaie»)

Grundsätzlich sei der Sommer sehr gut ausgefallen, auch dank des guten Wetters. Im Detail betrachtet sieht das erste Halbjahr aber durchzogen aus.

Zwischen Juni und August verzeichnete die Schweiz drei Prozent mehr Übernachtungen und 12 Prozent mehr Eintritte bei den Bergbahnen. Doch den Juli einzeln betrachtet: da waren zehn Prozent weniger Schweizer Gäste hier geblieben, die dürften das Mittelmeer wieder entdeckt haben.

Was aber weiterhin schmerzt: nach wie vor fehlt ein Drittel der ausländischen Gäste, was drei Millionen Übernachtungen in den ersten sechs Monaten entspricht. Der Rückgang am grössten: aus Indien fehlen 85 Prozent der Gäste, aus China sogar 93 Prozent.

Mit Jogging den Städtetourismus fördern

Fehlende Touristinnen und Touristen gerade aus den Fernmärkten sind insbesodere für die Schweizer Städtedestinationen verheerend. Die Städte landesweit mussten im ersten Halbjahr weiterhin leiden, von Lausanne (-21 %) bis Luzern (-33 %).

Um den Städtetourismus bei seiner Aufholjagd nach zwei Jahren Pandemie weiter zu unterstützen, hat Schweiz Tourismus einen Plan: Neu werden in diesem Sommer unter dem Slogan «Run the Swiss Cities» Gäste dazu eingeladen, die Schweizer Städte auf verschiedenen Jogging-Routen selbst zu entdecken und kennenzulernen.

Verschiedene Videoclips inspirieren dazu, die Ortschaften laufend zu entdecken, die Streckenvorschläge stehen dazu auf der Sport-App Strava zum Download bereit. Die Schweizer Städte locken dabei mit ihrer grossen Naturnähe und den kurzen Distanzen zwischen den Sehenswürdigkeiten. Die Kampagne läuft ab sofort für die nächsten Wochen.

Gemeinsam mit dem Schweizer Laufschuhersteller On AG wird die Kampagne in der Schweiz, in Deutschland, in Frankreich sowie in den Benelux-Staaten aktiv ausgespielt. Auf Social Media ist sie weltweit sichtbar.

Über diese Initiative freut sich auch Nathalie Lüthi, Head of Marketing Zürich Tourismus: «Zürich eignet sich überaus, um spezielle Erfahrungen zu machen, für aktive Erholung und die Natur joggend zu entdecken. Mit dieser Kampagne können wir den urbanen, aktiven Lebensstil in den Fokus rücken».

Geschäftstourismus erst teilweise zurück

«Kongresse und Seminare sind zwar vielerorts zurück», stellt Martin Nydegger fest, «doch der individuelle Geschäftstourismus ist noch zurückhaltend, Zoom und Teams spielen da sicher auch eine Rolle». Chancen ortet Nydegger künftig damit, dass Business Traveller künftig verstärkt ihre Geschäftsreisen mit einigen Leisure-Tagen verbinden. Sicherlich ein Gebiet, wo Zoom & Teams dann nicht mehr konkurrieren können.

Zu den Prognosen äusserte sich der ST-Direktor so: «Im Herbst dürften wir ein leichtes Plus der Logiernächte verzeichnen.» Während die Welttourismusorganisation UNWTO schätzt, dass bis Ende Jahr in Europa wieder 60 bis 80 Prozent der Gäste zurück sind, geht ST davon aus, bis 2023 wieder 91 Prozent der Gäste begrüssen zu können, 2024 dann wieder 100 Prozent