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Die wunderschöne Altstadt von Danzig lädt Gäste aus aller Welt auch weiterhin zu sich ein - völlig problemlos. Bild: AdobeStock

Europas Osten sollte nicht touristisch sanktioniert werden

Jean-Claude Raemy

Wie sicher ist Osteuropa? Gibt es einen Rückgang der touristischen Nachfrage infolge des Ukraine-Krieges? Wir haben Statements aus Polen, Ungarn und Estland eingeholt. Die Tourismusdirektoren bemühen sich zu versichern, dass Ferien in ihren Ländern weiterhin möglich und absolut sicher sind.

Der Ukraine-Krieg hat weit reichende Folgen. Eine davon ist, dass die touristische Nachfrage für an die Ukraine angrenzende Länder - primär Polen, die Slowakei und Ungarn - sowie weitere Länder im Osten Europas, etwa im Baltikum, zurückgegangen ist. Dies wurde auch von Osteuropa-Spezialist Kira Reisen gegenüber Travelnews bestätigt.  

Das wollen die Tourismusverantwortlichen der betroffenen Länder so nicht hinnehmen. Marcin Plachno, Leiter der polnischen Tourismusorganisation im Wien (die auch für die Schweiz zuständig ist) betont gegenüber Travelnews, dass das Land weiterhin alle Besucher willkommen heisst und ein sicheres Ferienziel für Reisende bleibt. Zum einen sei Polen ein Mitglied der EU sowie der NATO, was für Sicherheit sorgt. Zum anderen seien alle Touristenattraktionen geöffnet und Besucher können wie gewohnt Hotels und Unterkünfte buchen. Plachno schliesst: «Wir tun alles in unserer Macht stehende, um für die Sicherheit des Landes und der Touristen zu sorgen. Polen lädt Reisende aus dem Ausland dazu ein, unsere lebenswichtige Tourismusindustrie zu unterstützen.»

Die polnische Regierung hat Pläne angekündigt, einen Fonds in Höhe von 8 Milliarden Zloty (rund 1,7 Milliarden Franken) für die vom Krieg im Nachbarland betroffenen Personen einzurichten. Dass Polen eine führende Rolle bei der Flüchtlingshilfe einnimmt, wird von vielen Seiten gutgeheissen. Nun wäre es natürlich auch schön, Polen bei dieser grossen Aufgabe zu unterstützen. So gesehen ist Tourismus, also Ferien im dortigen Land, auch eine Form von Wirtschaftshilfe.

«Tourismus ist ein Wirtschaftszweig des Friedens.»

Ungarn ist, wie Polen auch, ebenfalls ein Nachbarland der Ukraine, und damit mit etwas mehr Zurückhaltung bei der Reisenachfrage konfrontiert. Das staatliche Fremdenverkehrsamt HTA (Hungarian Tourism Agency) erklärt in einem Statement gegenüber Travelnews: «Ungarn ist nach wie vor ein sicheres Land und das Leben geht hier ganz normal weiter. Die ungarische Regierung tut ihr Möglichstes, um eine Verwicklung in den Krieg zu vermeiden und die Sicherheit sowohl der eigenen Bevölkerung als auch der Touristen, die das Land besuchen, zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz möchten wir feststellen, dass der Tourismus ein Wirtschaftszweig des Friedens ist und wir all jenen eine helfende Hand reichen, die in Not sind. Dabei spielt die Ungarische Tourismusagentur als staatlicher Akteur eine koordinierende Rolle und derzeit sehen wir, dass die Solidarität der ungarischen Tourismusbranche mit den Betroffenen dieser Notsituation ein bis dato noch nie dagewesenes Ausmass erreicht hat.»

Nicht direkt an die Ukraine angrenzend, aber an Russland, ist derweil das beliebte baltische Reiseland Estland. Wie sich die Ukraine-Krise konkret auswirkt, ist laut Evely Baum-Helmis (Destination Manager D/A/CH von Visit Estonia) noch unklar: «Ein vollständiges Bild der Auswirkungen des Krieges auf den Tourismus wird Anfang Mai vorliegen, wenn die Unterkunftsstatistiken für den März, den ersten vollen Kriegsmonat, verfügbar sind. Die aktuellen vorläufigen AirBnB-Daten für März zeigen keinen Rückgang, sondern eher einen Anstieg im Vergleich zu März 2021.» Sprich: Am ehesten wirken sich aktuell noch Coronavirus-Beschränkungen auf den Tourismus aus (obwohl die Coronavirus-Beschränkungen im Inland nahezu aufgehoben sind und auch die Abschaffung der Maskenpflicht absehbar ist, und nur noch ungeimpfte Reisende mit Quarantäne rechnen müssen).

Auch Evely Baum-Helmis hält hervor, dass Estland ist Mitglied der NATO, der Europäischen Union und von Schengen ist und es heute keine direkte militärische Bedrohung für das Land gebe - genauso wenig wie für andere (ost-)europäische Länder. «Das Alltagsleben und die Dienstleistungen funktionieren in Estland genauso gut wie in Berlin oder London», versichert sie, «die Gäste können ohne Hindernisse in Estland ihren Urlaub verbringen! Wir sollten auf die Realität reagieren, nicht auf die Angst. Die europäischen Länder haben Russland mit Sanktionen belegt. Es ist äusserst wichtig, dass wir dieses Misstrauen nicht noch weiter ausdehnen und uns gegenseitig touristisch sanktionieren. Wenn wir zu skeptisch werden, unsere Reisepläne aufgeben und Buchungen stornieren, werden wir die täglichen Kontakte abwürgen und die Wirtschaft der verbündeten Länder unnötig in Schwierigkeiten bringen, nicht weil ein Krieg droht, sondern nur aus Angst.»

«Die Ängste sind unbegründet.»

Klar ist: Russland hat eine Landgrenze mit 14 Ländern und eine Seegrenze mit vier weiteren. «Es wäre ungerecht und auf lange Sicht für alle schädlich, Reisen nur wegen einer Grenze zu vermeiden», führt Baum-Helmis weiter aus. Während infolge Coronavirus die Aussenministerien verschiedener Länder Reisewarnungen wegen der Gefahr des Coronavirus herausgaben, ist dies aktuell wegen dem Ukraine-Krieg übrigens auch nicht der Fall: Kein Aussenministerium eines Landes hat eine Reisewarnung für Estland und die anderen baltischen Staaten sowie für die nordischen Länder, die alle in der Nähe Russlands liegen, herausgegeben.

Das gilt übrigens auch für die direkt an die Ukraine angrenzenden Staaten. Für Polen oder Ungarn gibt es in den Reisehinweisen des EDA zwar einen Passus zum Ukraine-Krieg, jedoch keine ausdrücklichen Empfehlungen, nun auf Reisen dorthin zu verzichten.

Nicht zuletzt baut Reisen auch Vorurteile ab. «Die Krise ist in aller Munde, wir helfen der Ukraine und den Ukrainern, aber das Bedürfnis, sich auszuruhen und zu reisen, ist nicht verschwunden», versichert Baum-Helmis, «eine Ferien- oder Geschäftsreise in ein anderes Land bringt so viele Menschen wie möglich in direkten Kontakt, baut Misstrauen und Spannungen ab und trägt so direkt zur Verbesserung der Sicherheitslage bei.» In diesem Zusammenhang hält auch Evely Baum-Helmis fest, dass Estland Ferienreisende willkommen heisst und alle Attraktionen offen sind. Hotels und andere Beherbergungsbetriebe und Attraktionen täten ihr Möglichstes, um die Flüchtlingshilfe in der Ukraine zu unterstützen, aber es gebe immer noch viel Platz und eine breite Palette von Angeboten in allen Dienstleistungsbereichen, und die Investitionen in den Fremdenverkehr in Estland gehen weiter.

Kurzum: Eine diffuse Angst wegen einer geografischen Nähe zu den Konfliktparteien mag verständlich sein, ist aber letztlich unbegründet. Ferien in Polen, Ungarn oder Estland - oder auch in der Slowakei oder in den anderen baltischen Staaten - sind aktuell völlig unbedenklich.