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Travelnews-Chefredaktor Jean-Claude Raemy und Klàra Wirth (Head of Tourism Development Germany/Austria, Visit Hungary NTO) beim Gespräch im Budapester Hotel Radisson Blu Beke. Bild: TN

Ungarn blickt wieder verstärkt auf Schweizer Touristen

Jean-Claude Raemy

Das zentraleuropäische Land weiss zu gefallen. Travelnews hat vor Ort in Budapest bei Klàra Wirth (Head of Tourism Development D/A von Visit Hungary) nachgefragt, wie es mit dem Tourismus wieder aufwärts gehen soll und ob die Schweiz auch wieder verstärkt bearbeitet wird.

Frau Wirth, vor sechs Jahren wurde das Tourismusbüro Ungarns in der Schweiz geschlossen. Darf die Schweiz irgendwann wieder mit etwas mehr «Bearbeitung» durch Ungarn rechnen?

Im Rahmen unserer Restart-Strategie laufen im April/Mai Evaluationen über unterschiedlichste Quellmärkte. Wir werden dabei unser neues Statistiktool nutzen und zahlreiche Parameter analysieren, darunter etwa die Kaufkraft eines jeweiligen Quellmarktes. Unter diesem Aspekt ist es also sicherlich denkbar, dass Ungarn die Schweiz touristisch wieder verstärkt bearbeiten wird. Ob dies in Form einer lokalen Vertretung oder über ein Repräsentanzbüro erfolgt, wird jeweils situativ entschieden.

Welche Parameter werden denn in diesem neuen Statistik-Tool erfasst?

Grundsätzlich verbessern wir die Erfassung und die Analysemöglichkeiten anhand der Daten, welche uns von Unterkünften im ganzen Land übermittelt werden. Früher wurden nur gewerbliche Unterkünfte erfasst, inzwischen haben wir auch Daten von Airbnb-Anbietern und dergleichen. Wir erhalten also Daten von Hotels, Campings, Ferienwohnungs-Anbietern oder auch aus dem Gastgewerbe. So wird deutlicher, woher unsere Gäste kommen - und zwar basierend auf ihrem Wohnort und nicht ihrer Nationalität, um die Quellmärkte adäquat abzubilden -, wohin sie innerhalb Ungarns reisen, was sie gerne unternehmen, welche Sehenswürdigkeiten sie bevorzugen, wieviel sie ausgeben und mehr. Dieses Tool wird uns ein zielgruppengerechtes, datengetriebenes Tourismusmarketing ermöglichen. Zudem werden auch die Forecast-Möglichkeiten verbessert.

Wie erfolgreich war eigentlich Ungarns Tourismus während der Pandemie?

2021 konnten wir insgesamt 29 Millionen Übernachtungen verzeichnen. Das war zwar um 26 Prozent besser als der Wert von 2020, aber immer noch deutlich unter dem Wert von 2019, als wir 42 Millionen Übernachtungen verzeichneten. Es sieht aber schon wieder deutlich besser aus: Im letzten Quartal 2021 allein verzeichneten wir bereits wieder 5,6 Millionen Übernachtungen, und dies zu 70 Prozent von ausländischen Besuchern - dank vergleichsweise lockeren Einreisebestimmungen - während unser Tourismus zuvor wie andernorts auch stark vom Binnentourismus durch die Krise getragen wurde.

Welches sind die wichtigsten Quellmärkte?

Nach absoluter Menge sind es die Deutschen, bei den Ausgaben pro Kopf sind die Österreicher aber zuvorderst. Auch China war ein wichtiger Markt, der jedoch aktuell inexistent ist. Die USA bilden einen weiteren wichtigen Markt, welcher nun langsam zurückkommt. Besonders im Bereich der Flusskreuzfahrten ist der US-Markt enorm wichtig, weil viele Cruise-Angebote für Amerikaner in Budapest starten oder enden und diese auch zahlreiche Übernachtungen in der Hauptstadt generieren.

Und mit dem «Discover Hungary Famtrip» und dem «Discover Central Europe Networking Day» wird nun der Aufschwung weiter befeuert?

Ja, wir haben insgesamt 170 Personen nach Ungarn eingeladen, sowohl Medienvertreter als auch Reiseveranstalter. Letztere können am ersten «Discover Central Europe Networking Day» auf rund 70 touristische Anbieter aus den V4-Ländern - Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen - zusammentreffen. Es ist eine Veranstaltung zur Tourismusförderung, welche im Rahmens des V4-Kongresses erfolgt, deren Präsidentschaft aktuell Ungarn obliegt und welche deshalb in Budapest durchgeführt wird. Die gemeinsame touristische Vermarktung Zentraleuropas soll auch in den kommenden Jahren weitergeführt werden, mit weiteren solchen Live-Business-Meetings an unterschiedlichen Orten der V4-Staaten.

«2021 konnten wir insgesamt 29 Millionen Übernachtungen verzeichnen.»

Sprechen wir hier aber weiter über Ungarn. Welches sind überhaupt die tragenden Säulen des touristischen Angebots?

Eine der wichtigsten Säulen ist gewiss der Bereich Gesundheit und Wellness. Wir sind bekannt für unsere Bäderkultur, Budapest allein verfügt ja schon über 123 Quellen, welche 21 Bäder alimentieren, wovon 10 Heilbäder sind. Damit ist Budapest die grösste Kurstadt Europas. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in Ungarn nun gerade post-Covid-Behandlungen boomen. Es werden beispielsweise im Kurort Heviz, das am grössten natürlichen Thermalsee der Welt liegt, spezielle Packages angeboten, also individuelle Therapien, mit denen Langzeitfolgen einer Covid-Infektion behandelt werden. Man hat nicht nur verschiedene Bade- und Aktivitätsmöglichkeiten, sondern wird bei der Regeneration auch ärztlich betreut. Die ärztliche Betreuung in Ungarn ist bekanntlich sehr gut, zumal auch viele Ärzte Deutsch sprechen, und therapeutische Kuren müssen hier nicht verschrieben werden. So kann man sich optimal behandeln lassen, in schönem Ambiente, und zu sehr vernünftigen Preisen.

Für seine Angebote im Gesundheitstourismus ist Ungarn in der Tat seit langem bekannt. Was sind weitere tragende Säulen des Tourismus?

Im Jahr 2023 trägt zum zweiten Mal eine ungarische Stadt den Titel «Kulturhauptstadt Europas», nämlich Veszprém am Plattensee. Oder genauer: 2023 wird mit Veszprém/Balaton - Balaton ist der ungarische Name des Plattensees - erstmals eine ganze Region Europäische Kulturhauptstadt. Von der bedeutenden europäischen Auszeichnung soll also gleich die ganze Region profitieren. Wir wollen aus der Balaton-Region ein Tourismusziel für alle vier Jahreszeiten machen. Hier gibt es Museen, hervorragende Gastronomie, Nachtleben. Veszprem selber ist bekannt als Festivalstadt. Rund um den Balaton kann man beispielsweise auch per Velo unterwegs sein; spezielle Empfehlungen gibt es etwa bei BalatonBike365.

Ebenfalls gut zu wissen: Auf dem Balaton ist motorisierter Wassersport verboten. Ansonsten lässt sich hier jede andere Art von Wassersport geniessen. Man kann Kanutouren unternehmen, oder Wandern, oder wie erwähnt auch Velotouren. Die Region ist flach und bietet viel Infrastruktur. Ein wunderbares Ziel für Familien!

Wie kommt man eigentlich zum Balaton?

Es gibt von Budapest aus natürlich öffentliche Transporte. Ich möchte hier aber erwähnen, dass Ungarn für Autofahrer absolut sicher und unkompliziert ist. Die Strasse sind in gutem Zustand, gut beschildert und im Land kann man sich auf Deutsch oder Englisch in der Regel auch verständigen.

Vom Balaton hört man viel. Gibt es auch noch andere ähnliche Orte?

Im Osten des Landes findet man etwa den Theiss-See. Dieser ist die etwas weniger bekannte, weniger gut ausgebaute und dafür etwas günstigere Alternative zum Balaton. Es ist ein Stausee, um welchen viele hübsche Dörfer liegen, sowie einige sehenswerte Bioreservate.

«2023 wird mit Veszprém/Balaton erstmals eine ganze Region als ‹Europäische Kulturhauptstadt› definiert.»

Kommen wir nochmals zu den tragenden Säulen des Tourismus. Da gibt es doch auch die Küche...

Natürlich, Gastronomie und Genuss sind in Ungarn sehr wichtig und das Angebot entsprechend gross. Allein in Budapest gibt es 20 Restaurants mit Michelin-Stern-Auszeichnung, dazu farbenfrohe lokale Märkte und die wunderschöne grosse Markthalle von Budapest. Im Land gibt es auch 22 Weinanbaugebiete in sechs verschiedenen Regionen. Ein grossartiges Rotweingebiet ist beispielsweise Villanyi, unweit von Pecs. Die berühmteste Region ist allerdings Tokaji, im Nordosten des Landes, wo die berühmten Süssweine herkommen. Der Begriff «Tokajer» wurde von der EU als geografische Herkunftsangabe von Wein übrigens umfassend gesetzlich geschützt.

Weitere berühmte Erzeugnisse der ungarischen Küche sind Paprika-Salami, der Obstbrand «Palinka», sowie Fleischerzeugnisse vom Mangalica-Schwein oder vom ungarischen Graurind. In Budapest hat es übrigens auch hochwertige Cafés, ähnlich wie in Wien, wo man in gehobenem Ambiente Kaffee geniessen kann, dazu vielleicht Pogatschen, also die ungarischen Käsebrotchen, oder eine Esterhazy-Torte. Dank unserem guten Klima wachsen hier viele hervorragende Gemüse. Sie sehen, Ungarns Küche ist weit mehr als Gulasch. Oder anders gesagt: Bei uns kann man auch den Hunger auskurieren.

Was ist mit der Kultur?

Davon bieten wir natürlich auch sehr viel. Besonders das grosse Kulturangebot in Budapest ist bekannt. Inzwischen bieten wir aber im ganzen Land gute touristische Infrastruktur, damit auch die vielen Schlösser und weitere Sehenswürdigkeiten ausserhalb Budapests besucht werden können. Das lässt sich sogar zu Fuss machen, auf einem Fernwanderweg. Es wurde und wird auch weiterhin viel investiert, gerade auch im bislang touristisch etwas unterentwickelten Osten des Landes.

Das klingt nach gezieltem Ausbau.

Das ist es auch. Wir wollen mit den Anbietern landesweit neue Produkte entwickeln und die touristische Wertschöpfung verbessern. Ungarn hört nicht mit Budapest auf. Unsere Hauptstadt ist fantastisch, aber das Land bietet noch viel mehr. Natürlich möchten wir, dass unsere Gäste die durchschnittliche Aufenthaltszeit verlängern. Wir wollen, dass Ungarn als Reiseland wiederentdeckt wird, idealerweise gleich während einem zweiwöchigen Aufenthalt. Wir sind mit Reiseanbietern im Austausch, um neue Routen und Angebote zu entwickeln, im Gruppengeschäft wie im Individualbereich. Marketingkooperationen werden jetzt wieder hochgefahren. In der Schweiz hat es allerdings recht wenige Osteuropa-Spezialisten...

Gibt es denn auch spezifische Nischen, die man ausbauen will und die für Spezialisten von Interesse sein könnten?

Ungarn ist im Sporttourismus recht aktiv. In Kürze finden wieder die Wassersport-Weltmeisterschaften der FINA in Budapest statt; wir richteten diese Spiele schon 2017 aus, in diesem Jahr war eigentlich Fukuoka an der Reihe, doch wegen der Pandemie wurde die WM erneut an uns vergeben. Spannend ist auch, dass das Radrennen Giro d'Italia dieses Jahr von Budapest aus starten wird. Budapest ist wunderbar geeignet für Jogger. Da gibt es also sicher interessante Möglichkeiten. Auch das MICE-Geschäft kehrt nun zurück. Und beim Filmtourismus sind wir erst am Anfang: Nachdem immer mehr Filme und Serien in Ungarn - insbesondere in den Filmstudios von Etyek nahe Budapest - gedreht werden, eröffnet sich hier auch neues Potenzial.

«Ungarn hört nicht mit Budapest auf. Unsere Hauptstadt ist fantastisch, aber das Land bietet noch viel mehr.»

Was ist mit Unesco-Stätten?

Diese sind im touristischen Marketing immer wichtig. Ungarn hat acht Unesco-Welterbestätten. Eines ist eine Weltnaturerbestätte, die Höhlen im Nationalpark Aggtelek. Die anderen sind Weltkulturerbestätten. Besonders berühmt sind jene in Budapest, die aber nur als eine Stätte gelten, nämlich das Burgviertel in Buda und der Uferbereich der Donau. 2002 wurden diese um die Andrássy-Strasse und die «Földalatti», die älteste U-Bahn auf dem europäischen Kontinent, erweitert. Die weiteren Weltkulturerbestätten in Ungarn sind das traditionelle Dorf Hollokö, die Benediktinerabtei Pannonhalma, die Puszta von Hortobagyi - das grösste Steppengebiet Europas -, der frühchristliche Friedhof von Pecs, die Kulturlandschaft Fertöd am Neusiedlersee sowie die bereits erwähnte Tokajer Weinregion.

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, auf kulturelle Leistungen von Ungaren zu verweisen. In unserem Land wurden beispielsweise das Streichholz, der Dynamo oder der Kugelschreiber erfunden, sowie natürlich der Zauberwürfel von Ernö Rubik, oder auch das Vitamin C erstmals isoliert. Dazu gibt es auch ein enormes musikalisches Erbe, von Franz Liszt bis hin zu traditioneller Musik der Roma.

Noch etwas zur Covid-Lage im Land. Wie sieht es aus? Die Einreise war jedenfalls völlig unproblematisch.

Die Einreise auf dem Landweg ist aus allen Nachbarstaaten Ungarns unbeschränkt und ohne Test- und Quarantänepflicht möglich. Bei einer Einreise auf dem Luftweg wird noch ein Covid-Zertifikat verlangt, also eine Bescheinigung über Impfung oder Genesung, oder alternativ ein negativer PCR-Test, der nicht älter als 72 Stunden ist. Vor Ort wird das Covid-Zertifikat eigentlich nur noch in Nachtclubs oder Bädern verlangt; einzelne Restaurants dürfen dies aber auf eigenen Wunsch hin auch noch verlangen. Die Maskenpflicht gilt nur in geschlossenen Innenräumen.

Zum Abschluss noch etwas zu den Preisen: Ungarn ist, gerade für Schweizer, ziemlich günstig, nicht?

Bei uns erhält man hochwertige Qualität zu erschwinglichen Preisen. Es gibt günstige Flüge - auch aus der Schweiz - mit Easyjet oder Wizz Air, dazu natürlich auch mit Swiss. Das Kulturangebot ist ebenfalls recht günstig, wie auch die Nutzung von gesundheitlichen Einrichtungen. Selbst die Hotels sind vergleichsweise günstig. Ein Zimmer im Four Seasons in Budapest gibt es bereits im niedrigen Hundert-Franken-Bereich. Und auch unsere hochwertige Gastronomie kostet recht wenig: Einen Halbliter Bier gibt es schon ab umgerechnet zwei Franken, oder ein Dreigang-Menü ab 17 Franken. Doch wir bewegen uns nicht im Budget-Tourismus: Der Service und die Freundlichkeit der Einheimischen sind ebenfalls hochwertig.

Wenn Schweizer also Wellness, Gesundheit, gute Gastronomie, kaiserliche Geschichte und Traditionen schätzen, und dies erst noch zu vernünftigen Preisen, dann sind sie in Ungarn genau richtig.


Travelnews wird in den kommenden Tagen weitere Informationen und Impressionen aus Ungarn publizieren.