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Der Wunsch nach Frieden ist vielerorts vorhanden, doch die Realität sieht vorerst düster aus - und der Ukraine-Konflikt tangiert auch wieder die Reisebranche. Bild: AdobeStock

Kommentar Der Ukraine-Krieg hinterlässt jetzt schon tiefe Spuren

Jean-Claude Raemy

Kaum neigt sich die Covid-Pandemie dem Ende zu, kommt mit dem Krieg in der Ukraine ein neues Problem auf die Reisebranche zu. Diese Auswirkungen gibt es bereits - und viele weitere könnten noch folgen.

Diese Woche konnte ich in Budapest beim touristischen Teil des V4-Meetings reinhören. «V4» sind die so genannten Visegrad-Staaten, also Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen, welche seit 20 Jahren in vielen Bereichen kooperieren. Am Dienstag drehten sich die Diskussionen vor Ort noch um den Tourismus-Restart nach der Covid-Krise und, in meinem Fall, um die fast komplette Aufhebung der Massnahmen in der Schweiz, was viele als positives Signal verstanden. Doch am gestrigen Donnerstag, als die Meldungen über die russische Invasion der Ukraine die Runde machten, veränderte sich der Ton sofort. Überall kamen Sorgen zum Ausdruck - natürlich bei den Vertretern der V4-Staaten, welche teils eine Grenze mit der Ukraine teilen, aber auch bei den Fachbesuchern aus unterschiedlichsten Teilen Europas, die sogleich die Konsequenzen für das eigene Geschäft abzuwägen begannen. Es war schon fast absurd: In Budapest wurde länderübergreifend der Tourismus als Mittel zur Völkerverständigung zelebriert, während nur einige Hundert Kilometer ostwärts mit Waffengewalt versucht wurde, neue Grenzen zu ziehen.

Es sind seit Invasionsbeginn inzwischen etwas mehr als 24 Stunden vergangen. Bereits jetzt haben ukrainische Flüchtlinge die Grenzen in Polen und teils auch in Ungarn passiert. Der ukrainische Luftraum ist geschlossen, keine Airline fliegt mehr dorthin - Swiss und die Airlines der Lufthansa Group hatten bereits kurz vor der Invasion die Flüge eingestellt. Auch der Luftraum über Moldawien ist inzwischen geschlossen. Das EDA empfiehlt Schweizer Staatsangehörigen in der Ukraine, das Land «mit eigenen Mitteln» zu verlassen; von Reisen nach Belarus, einem verbündeten Russlands, wird ganz abgeraten, während in Russland lediglich von Reisen in die Grenzgebiete zur Ukraine abgeraten wird, also in die Oblaste Brjansk, Kursk, Belgorod, Woronesch, Rostow und Krasnodar, wo der Ausnahmestand gilt.

Doch für viele Veranstalter ist klar: Das Russland-Geschäft kommt als Ganzes zum Erliegen. Ein in Budapest anwesender Reiseveranstalter aus Deutschland, der im Sommer mehrere gut gebuchte Gruppentouren durch St. Petersburg auf dem Programm hat, liess durchblicken, dass er sich diese «ans Bein schmieren» kann. Erste konkrete Reaktionen gibt es auch: Mit sofortiger Wirkung stellt beispielsweise der Münchner Reiseveranstalter Hauser Exkursionen seine Reiseangebote nach Russland ein und nimmt keine entsprechenden Buchungen mehr entgegen. Es werden sicherlich noch mehr solche Aktionen folgen, ob aus Solidarität zur Ukraine oder wegen mangelnder Geschäftsperspektiven, spielt letztlich keine Rolle. Man hört, dass Aeroflot-Flugzeuge bereits nicht mehr in Grossbritannien landen dürfen, und nun Russland umgekehrt britischen Airlines das Landerecht in Russland verweigert. Derweil hat die Ukraine International Airlines seit heute bis auf Weiteres den Passagierflugbetrieb aus Sicherheitsgründen eingestellt - was angesichts der Schliessung des gesamten ukrainischen Luftraums natürlich auch Sinn macht.

Bei russischen und ukrainischen Touristen beliebte Ferienländer haben auch schon pragmatisch reagiert. Ägypten etwa hat den Touristen aus Ländern, welche direkt vom Konflikt betroffen sind, eine kostenlose Verlängerung der Ferien zugesichert, «bis eine sichere Rückkehr in die Heimat gewährleistet ist». Wie viele Ukrainer (und Russen) aktuell in Ägypten gestrandet sind, ist nicht bekannt. Jährlich besuchen aber mehrere Millionen Touristen aus diesen Ländern das Pharaonenland, gerade in den Wintermonaten. In Ägypten stellt man sich bereits auf - neue - empfindliche Tourismus-Einbussen ein. Auch andere Reiseziele mit hohem Touristenanteil aus Russland/Ukraine, etwa die Türkei oder Zypern, dürften kaum über die jüngste Entwicklung erfreut sein.

Wie wird die globale Nachfrage tangiert?

Ähnliche Sorgenfalten gibt es auch schon bei Schweiz Tourismus: Der russische Quellmarkt ist hierzulande wichtig. Ob und wie dieser vom neuen Krieg tangiert wird, ist noch unklar, doch CEO Martin Nydegger liess an der gestrigen Medienkonferenz seine Sorge angesichts dieser neuen Lage bereits durchblicken. Auch für Osteuropa/Russland-Spezialisten ist die Lage ernst - Kira Reisen hatte etwa bereits letzte Woche gegenüber Travelnews festgehalten, dass bei einem bewaffneten Konflikt die gesamte Osteuropa-Nachfrage tangiert sein könnte. Natürlich wird auch Russlands Incoming-Tourismus leiden: Das Finalspiel der Champions League im Mai wird wohl nicht wie geplant in St. Petersburg stattfinden (die UEFA sucht bereits Alternativen), und es gibt auch grosse Fragezeichen zum Formel-1-Rennen in Russland vom September - hier werden Sportreiseveranstalter Mehraufwand haben.

Es ist aber nicht nur eine Art «lokales Problem» am östlichen Rand Europas. Die langfristigen Konsequenzen, welche das Tourismusgeschäft als Ganzes treffen dürften, werden erst langsam sichtbar. Der Ölpreis pro Barrel stieg gestern innert Kürze um 5-10% und war damit klar über 100 Dollar, mit Tendenz zu weiteren Steigerungen. Die Sanktionen gegen Russland - immerhin einer der grössten Öl- und Gas-Förderer der Welt - werden die Rohstoffverteilung treffen bzw. neu ordnen. Das wird die Treibstoffpreise global erhöhen. Die Treibstoffzuschläge der Airlines werden steigen, während etwa auch Busreiseveranstalter über Treibstoffzuschläge nachdenken müssen. Die Frage ist hier, wie lange dieser Effekt anhält.

Ein weiteres grosses Fragezeichen stellt sich bei den Investitionen. Die Ukraine-Krise hat schon vor dem Einmarsch russischer Truppen die Börsen tangiert und einen grossen Teil zum bisherigen negativen Wachstum des S&P500 beigetragen. Innert Kürze wurden bereits auch die Börsenkurse grosser Reiseunternehmen und Airlines negativ belastet. Ob die Börsen(kurse) diese Krise ähnlich gut meistern wie damals den russischen Einmarsch auf der Krim, ist zumindest fraglich. Besonders ärgerlich ist es aber aus Sicht der Tourismusindustrie, dass just jetzt, wo nach der langen Pandemie-Lähmung endlich wieder so etwas wie Buchungslust spürbar ist, schreckliche Kriegsbilder in unsere Stuben gesendet werden und wir uns mit einer unsicheren geopolitischen Lage auseinandersetzen müssen. Das wird sich früher oder später auf die Buchungslust auswirken. Viele werden jetzt nochmals zögern, Reisen - zumindest Flugreisen in entfernte Gebiete - zu buchen, und möglicherweise zunächst die weitere Entwicklung des Konflikts abwarten. Sollte dieser über die Grenzen der Ukraine hinausschwappen, sieht es für den Tourismus düster aus - und dies nach den mageren Jahren der Pandemie. Es bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass der Konflikt lokal begrenzt bleibt - was zynisch klingt, natürlich wünschen wir uns Frieden für die Ukraine - und somit der positive Effekt des Pandemie-Endes deutlich stärker sein wird als die negativen Effekte der Ukraine-Krise.

Es ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass dem Schweizer Reise-Verband (SRV) von Seiten des Bundesrats eine Zusicherung für weitere Abfederungsmassnahmen mitgeteilt wurde, um den Reisebranchen-Unternehmen in der fragilen Krisensituation beizustehen. Diese wird es brauchen. Man kann nämlich festhalten, dass sich die Situation im globalen Ferienverkehr trotz dem absehbaren Ende der Pandemiekrise vorerst leider nicht so schnell entspannen wird.